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Alltag eines Korrespondenten in Ostberlin

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Müller versorgt sich in der Kaufhalle – das Brot für 51 Pfennige, zwei Sorten Joghurt, drei Sorten Käse, Butter, Milch, alles einfach und schmackhaft, subventioniert. Auch wenn er sich unauffällig kleidet, die Verkäuferinnen erkennen in ihm einen von drüben, Misstrauen gegenüber diesem Mann, der sich Besseres leisten könnte und der, offenbar auch noch schwul, einen goldenen Ring im linken Ohr trägt.

„Ist was?“, fragt er die Neugierige hinter der Kasse, die aufdringlich das Schmuckstück betrachtet.

„Nö, nö“, sagt sie. „Is nischt.“

„Is wirklich nischt?“, fragt er.

„Nö, nö“, sagt sie.

„Sie meinen den Ring im Ohr. Trag’ ich, seit ich Baby bin. Immer dringeblieben.“

„Ach so“, sagt sie.

„Quatsch“, sagt er. „Gefällt mir nur. Bin aber nicht schwul. Ich liebe Frauen.“

„Ist schon in Ordnung“, sagt sie.

„Na ja, dann. Was macht das hier?“

„Drei zweiundachtzig“, sagt sie.

‚Ich sollte was über Schwule in der DDR schreiben‘, denkt er, ‚und über die Ostfrauen, die alle irgendwie Yvonne oder Marlene heißen. Sie haben irgendetwas.‘

„Du solltest dich vor ihnen hüten“, antwortet er sich.

„Warum sollte ich mich vor ihnen hüten?“

„Frauen, die sich für dich interessieren, wollen entweder mit dir in den Westen oder sie sind vom Staatssicherheitsdienst.“ „Ich weiß. Es sind die wahren Kämpferinnen des Sozialismus.“

Er hat sie erlebt, die Karl-Marx-Liebesdienerinnen mit dem MfS-Ausweis. In den Hotels und Bars der Messestadt Leipzig, die eleganten Westfrauen aus dem Osten, perfekt gekleidet, ihr Englisch im leicht warmem mitteldeutschen Klang, sächsisch oder thüringisch. Er wusste um die Sozialismus-Mätressen aus der Kaderschmiede der Partei, die nicht nur darin geschult waren, ihren Kurzzeit-Liebhabern nach dem Orgasmus zu schmeicheln und ihnen nebenbei weiter verwertbare betriebliche und familiäre Geheimnisse zu entlocken, sondern die vor ihren Einsätzen noch in einer Schönheitsklinik der Staatssicherheit bei Halle an der Saale körperlich aufgemotzt worden waren. Zwar ideologisch perfekt, galt es, kleine körperliche Mängel zu kaschieren: Beseitigung von Krähenfüßen, Brustvergrößerungen, Nasenoperationen. So waren die Ost-Mata-Haris auf dem Leipziger Messe-Parkett, verlockende Sehenswürdigkeiten und die Westmänner, wenn auch gewarnt, leichte Beute. Ihre Zielpersonen waren die Bosse aus Führungsetagen, mittelständische Unternehmer und Politiker, die sich alle umgarnen ließen, eingesponnen im Netz der Firma, die von Dienstreisen immer wieder zurückkehrten und, um Enthüllungen zu Hause zu entgehen, Informationen preisgaben, freiwillig oder erzwungen. Sie hatten sich eingelassen.

Er ernährt sich aus der Kaufhalle. Will kosten, auskosten. Er leistet es sich, für Pfennigbeträge. Hausmannskost als exotische Speise. Schmackhaft. Ein Experiment für einen, dem jederzeit, ein paar hundert Meter entfernt, alles serviert wird, chinesisch, kroatisch, türkisch, spanisch, japanisch und italienisch, an jeder Ecke. Die Stadt, die Weststadt als eine große Fressmeile von der Albertstraße bis zum Savignyplatz. Gleich neben dem Westberliner stern-Büro sein Italiener – das Il Sorriso: Pasta, Scampi vom Grill, Mozzarella, Vino Nobile aus Montepulciano, Vitello, Sabaglione, Tiramisu, Grappa, Vernacchia, Chianti Classico, Gran Sasso Primitivo Puglia aus Vendemmia.

Hier, im Osten, ein einziger Italiener mit sächsischem Koch und sächsischer Bedienung, Pizza mit Haufenbelag, Wein aus Rumänien – das Besondere für Devisen im Interhotel, in Leipzig am Ring. Müller weiß: er hat sich diesen Aufenthalt selbst verordnet. Er will dabei nicht nur, wie er sich immer wieder versichert, zurück in die Heimat, zu den Wurzeln. Er will fort aus seinem bisherigen Leben des Überflusses und des Überdrusses, der Sattheit, Gewohnheit mit allen Bequemlichkeiten.

Das Honecker-Attentat und andere Storys

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