Читать книгу Das Honecker-Attentat und andere Storys - Dieter Bub - Страница 17

Warten auf Brigitte B.

Оглавление

Empfang in der Botschaft, die nicht Botschaft heißt, denn das wäre die Anerkennung von zwei Staaten in Deutschland – und auch wenn es zwei Staaten sind, durch Grenzen voneinander getrennt, mit eigenen Parlamenten, eigenen Gesetzen, eigenen Armeen, eigener Währung, eigenen Staatsbürgerschaften. Erforderliche Wortklaubereien. Diplomatie. Staatsrecht. Während der Staatsmaler und Oberregulierer der bildenden Kunst, Willi Sitte, Ralf Winkler, der unter dem Namen A. R. Penck im Westen mit seinen Bildern bereits anerkannt und gefragt ist, den Dresdner Maler einen Schmierfinken nennt, „den wir hier nicht brauchen“, hat der „Nicht-Botschafter“ sondern „Ständige Vertreter“ Klaus Bölling den Mann mit dem Hut eingeladen, der verkündet, jeder Mensch sei ein Künstler, der, selbst im Westen, mit Fettecken, Schlittenrudeln, Krankenbetten irritiert, niemals offiziell ins Land des sozialistischen Realismus gebeten worden wäre. Beuys ist ein Exot, nicht eine einzige Installation hätten sie ihm in der DDR gestattet, ihn stattdessen einen Pfuscher, Revanchisten, Spinner gescholten.

Zu Beuys wollen sie alle – die in Vorschriften und Genehmigungen eingezwängten Maler, Bildhauer, Schriftsteller und selbst ihre Verweigerer, die Partei-Kulturfunktionäre kommen, diskret, haben nichts zu sagen, sagen nichts, könnten sich in diesem Fall aber durchaus einverstanden erklären – Beuys zeigt Zeichnungen aus den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit. Müller wartet nicht auf Beuys, Müller kennt ihn, den Radikaldemokraten, der sich für die neue Politik der grünen Bewegung engagiert. Müller wartet auf die Frau vom Lande. Er wartet vergebens. Sie und ihr Mann kommen nicht.

Die STäV, die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR. Ein Neubau in der Hannoverschen Straße, schräg gegenüber dem Eckhaus, in dem Wolf Biermann seine aufmüpfigen Texte gegen die vergreisten Genossen schrieb, ein paar hundert Meter vom Brechthaus und vom Dorotheenstädtischen Friedhof entfernt. Die STäV hat alles, was zu einer diplomatischen Vertretung gehört, wie Wirtschafts- und Kulturabteilung und Pressestelle. Der Kontakt zu den Korrespondenten ist besonders wichtig, weil die Beziehungen zwischen West und Ost sensibel sind, weil Äußerungen der DDR-Führung seismografisch registriert und analysiert werden. Es sind Hinweise für die Journalisten, die daraus in ihren Berichten unterschiedliche Schlüsse ziehen. Sie werden in die „Laube“ gebeten, einen abhörsicheren Metallraum, aus dem nichts herausdringen soll. Hier werden Tendenzen innerdeutscher Beziehungen „unter Drei“, nicht zur Veröffentlichung bestimmt, bekannt gegeben. Alles gilt als irgendwie brisant, die Teilnehmer als verschworene Gemeinschaft, wichtige Geheimnisträger. Günther Gaus, der erste Mann aus Bonn in der DDR, zelebriert die Treffen gekonnt lässig. Er, Ex-Chefredakteur und TV-Gastgeber, beherrscht Unterhaltung in jeder Form. Ein Moderator, der die Laubenstunde zum angenehmen Ereignis macht, selbst wenn es nur wenig Neues gibt. Gaus macht die STäV zum offenen Haus, nicht nur für West-Journalisten, sondern auch für Künstlervolk aus dem Osten. Abende, die beim Wein in heiterer Runde bis weit nach Mitternacht andauern. Sein Nachfolger ist um Fortsetzung bemüht, freilich mit zeitlich begrenzter Sperrstunde der Geselligkeit. Die Unterschiede erklären sich mit dem Wechsel in Bonn – Gaus ist der Mann Willy Brandts, Klaus Bölling der Abgesandte Helmut Schmidts.

Brigitte B. in den Kleveschen Häusern. Sie arbeitet an der Holzskulptur aus dem 16. Jahrhundert, ein halbes Jahrtausend überdauert, festigt, retuschiert. Zufrieden. In Ruhe. Ungestört auf der Insel ihres Gartens. Gelegentlich Besuch von künstlerischem Landvolk, Verehrern, Sommergästen aus der Stadt am Wochenende. In diese Welt bringt der Fremde aus dem Westen Unruhe, seine Hartnäckigkeit, Grüße, kurze Mitteilungen. Unmissverständliche Werbung bedeutet Störung, Ungewissheit. Trotzdem beschäftigt er sie. Neugier. Sie spricht mit ihrer Freundin, so wie sie alles mit Jutta bespricht. Jutta, Model für Exquisit, das besondere Luxuslabel der DDR. Mit der „Modekiste“ unterwegs. Vorführungen in allen Teilen der Republik zwischen Rügen und Erzgebirge, mit Damenkleidung, die es nicht zu kaufen gibt.

Zu besonderen Anlässen wird das Modelteam zu den Obergenossen nach Wandlitz beordert, zur Vorführung von Ober- und Unterbekleidung, Negligés für die Honecker-Führungsriege, Lustvolles für die Graumänner, die meinen, alle Frauen in der Republik, in ihrer DDR, könnten sich leisten, was sie anschauen.

Frauen unter sich. „Sie interessieren sich für uns, die Westmänner. Wir sind die exotischen Frauen aus dem Osten. Sie sagen, wir hätten etwas Besonderes.“

„Vielleicht, weil wir so hilfsbedürftig sind?“

„Oder so selbstbewusst! Das vermutet Lothar.“ Lothar Loewe, der ARD-Korrespondent in der DDR, verehrt Jutta.

„Was ist mir dir?“

„Ich weiß nicht. Aber – es könnte Komplikationen geben …“ „Tu, was du möchtest.“

„Was will ich?“

„Interessiert er dich?“

„Kann sein, irgendwie aufregend.“

Zur Akkreditierung des stern-Korrespondenten in Ostberlin veranstaltet der Verlag ein Fest in einem der wenigen feinen Restaurants an der Spree: Mit exquisiten Speisen und Getränken, Champagner und Weinen aus dem Kaufhaus des Westens, der Lieferadresse des Staatsratsvorsitzenden und seiner Genossen in Wandlitz. Zweihundert Gäste, Deutsche aus zwei deutschen Staaten, die einen haben die Mauer- und Stacheldrahtgrenzen mühelos passiert, die anderen sind hier, in der „Hauptstadt der DDR“ zu Hause. Ein Dialog, Ost-West-Gespräche zwischen Funktionären, Partei-Journalisten, Künstlern und Klaus Bölling, dem neuen Diplomaten aus Bonn.

Bölling, erfolgreicher Journalist, der zum Politiker wurde, einst auch Chefredakteur von Müller, erscheint mit seiner jungen burschikosen Frau, die ohne Rücksicht auf Etikette mit Henry Nannen plaudert und flirtet. Nannen ist entzückt. Seine Chefsekretärin, Uschi, Organisatorin und Kassenwart, erklärt das Fest zum gelungenen Ereignis, derweilen der Restaurantleiter und seine von der Staatssicherheit trainierten Kellner und Kellnerinnen das Treiben mit Argwohn und Ablehnung verfolgen. Im Gedränge können sie nur wenig zu Kontakten und Gesprächen ermitteln.

Dabei gibt es keine konspirativen Gespräche, nur einen kuriosen Austausch von Berichten. Die Westdeutschen erzählen auch hier, wie überall, von ihren Erlebnissen auf Transitwegen und bei Grenzkontrollen.

„Es ist alles um vieles besser geworden, im Vergleich zu früher.“

„Die Abfertigung zügig, die Grenzsoldaten je nach politischer Wetterlage mehr oder weniger freundlich.“

„Einmal haben sie unseren Wagen regelrecht auf den Kopf gestellt, also nicht wirklich, aber wir mussten die Sitze hochheben, Koffer öffnen, Handschuhfach, alles.“

„Sie haben eine alte Wanduhr unserer Großmutter konfisziert.“ „Besser reisen Sie mit Exponaten und einer Quittung aus dem offiziellen Antiquitätenhandel der DDR“, sagt einer.

„Es war ein Familienerbstück.“

„Auch die werden von uns verkauft. Alles regulär.“

Das sind ihre Erfahrungen, die sie in Erinnerung haben, mehr nicht, als Beweis für die Untauglichkeit dieses Staates, als Entschuldigung. Sie waren in ihrem Leben weder in Weimar oder Eisenach, in Halle, Leipzig oder Dresden. Die Städtenamen Görlitz, Plauen, Zwickau, Mühlhausen sagen ihnen nichts.

Für einige, auch für Henry Nannen, ist es der erste Besuch in Ostberlin. Hierher hat er sich noch einmal aufgemacht, in diese Stadt in der Stadt, die mehr sein muss, Hauptstadt neben der Teilstadt, von der er dann doch nicht mehr sehen wird, nicht mehr sehen will nach diesem Provinzauftrieb von blassen, ängstlichen Funktionären in schlecht sitzenden Anzügen, von Genossen aus der zweiten Reihe, von Kollegen mit verklebten Augen, verschlossenen Ohren, verbissenen Mündern. Wären da nicht die Unbeherrschten! Die interessanten, angenehmen Gäste sind Schriftsteller, bildende Künstler, Schauspieler. Unter ihnen Renate Krößner, Star aus Solo Sunny, dem DDR-Road-Movie einer Sängerin, die durch die Tristesse ostdeutscher Provinz reist. Müller hatte einen Antrag für ein Interview mit Renate Krößner gestellt. Er war mit der Begründung abgelehnt worden, sie, die Krößner, habe dieses Angebot abgelehnt. Im Gespräch mit Schmitt erfährt sie zum ersten Mal von dieser Anfrage des stern. Das kleinmiefige Trio im Außenministerium hatte für sie entschieden. Die Spitzel erleben, wie die Westdeutschen und die Künstler aus der DDR, denen sie ständig nachschenken müssen, immer ausgelassener werden, sorglos, fröhlich. Der Skandal: nicht genehmigt spielen zwei Jazzer auf, ein deutsches Duo aus Hamburg und Ostberlin. Müller begrüßt, trifft gute Bekannte, knüpft neue Kontakte, verabredet sich. Unter den Besuchern auch sie, die mit ihrem Mann gekommen ist, die wichtigste Besucherin an diesem Abend, Brigitte B. In einem günstigen Augenblick lädt er sie ins Theater ein. Sie wird kommen, ihn begleiten. Glück, Hoffnung. Ein gelungenes Fest.

Das Honecker-Attentat und andere Storys

Подняться наверх