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Die Akkreditierung

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Als die Hamburger Chefredaktion ihn in Ostberlin als Korrespondenten anmeldet und das Gremium im Außenministerium über den Antrag berät, gibt es keine Bedenken. In den Unterlagen der Staatssicherheit finden sich die Abschriften von Berichten und Kommentaren für den NDR. Beiträge über die Weltjugendfestspiele vermitteln den Eindruck von einem Fest globaler Völkerfreundschaft, von der Solidarität mit Unterdrückten, vom Kampf gegen Ausbeutung und Diktaturen. Eindeutig Müllers Sympathien für die Verfolgten aus Chile, für die Demonstranten in Westberlin. Sein Dossier weist ihn als Linken aus, der aus Protest nach dem NATO-Doppelbeschluss aus der SPD ausgetreten ist, als Kritiker Amerikas und Gegner des Vietnamkrieges, als einen Spätachtundsechziger.

In den Unterlagen befinden sich Manuskripte über die Weltjugendfestspiele, von Besuchen der Ostseewochen in Rostock, Leipziger Messen, von Festivals des politischen Liedes – mit einem süffisant ironischen Ton. Sie werden erst viel später seine Identität als Republikflüchtling erkennen, der unbemerkt wenige Jahre vor der Akkreditierung die Gelegenheit zu einem heimlichen Klassentreffen genutzt hatte. Sie bescheinigen dem Neuen nach Durchsicht der Unterlagen durchaus Sympathien für die DDR und eine kritische Haltung gegenüber den Konservativen in der Bundesrepublik.

Ausführlich die Dokumentation einer Reportage auf der Insel Rügen und in Stralsund.

Zu MÜLLER wurde bekannt, dass er keiner Partei angehört. Nach seinen Angaben steht er der SPD nahe und befürwortet deren Programm. Er erkennt den Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR an und sieht deren positive Seiten für die Entwicklung zwischen beiden deutschen Staaten. Des Weiteren erkennt er die daraus sich ergebenden Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten der BRD in der DDR an.

In Binz waren die Genossen der Staatssicherheit nach der Teilnahme an den Diskussionen der Hamburger Studenten mit einer ausgewählten FDJ-Delegation wieder in ihre Zentrale nach Stralsund zurückgekehrt. Sie hatten versäumt, die Stunden nach den Gesprächen und dem Abendessen zu überwachen. Die Westdeutschen trafen sich in der Kneipe gegenüber der Jugendherberge mit einheimischen Jugendlichen, seltener Westbesuch, Reden bis in die Morgenstunden über die Veränderungen in Westdeutschland durch die Bewegung der Achtundsechziger-Generation, die sich aufgemacht hatte verkrustete Strukturen aufzubrechen und die Gesellschaft zu verändern. War die DDR nicht auch, auf andere Weise, erstarrt? Diese Nächte, nach denen niemand, auch der Wirt nicht, anschließend ein Protokoll verfasste, diese Nächte einer unkontrollierten Begegnung waren die Ausnahme.

„Dass wir hier nicht raus können, das isses“, schimpft Jochen. „Wir wollen doch gar nicht abhauen, wir würden ja wiederkommen“, meint Peter.

„Stell’ dir vor, Dänemark ist ganz nah, selbst mit der Luftmatratze haben es ein paar geschafft.“

„Ein zwei Stunden mit der Fähre. Einen Tag und dann wieder zurück. Mehr nicht“, ergänzt Jochen.

„Was willst du da? Die warten gerade auf uns. Mit unserer Mark, die nichts wert ist“, mischt sich Angelika ein. „Selbst in Bulgarien sind wir doch nur Deutsche zweiter Klasse, wenn wir da überhaupt hindürfen.“

„Sie lassen euch nicht reisen, weil sie euch nicht trauen. Sie fürchten, ihr würdet abhauen.“ Hatte Müller damals erklärt.

„Stimmt wahrscheinlich.“

„Na klar.“

„Wir sind eben noch keine gefestigten sozialistischen Persönlichkeiten.“

So ging es nächtelang. Runde um Runde.

Danach bekam er Post. Gesine wünschte sich ein Autogramm von Roland Kaiser. Müller war kein Roland Kaiser-Fan und vergaß die Bitte. Gesine wartete, ahnte nicht, dass sie eines fernen Tages Roland Kaiser erleben sollte, live.

Wann immer es ging, war er zurückgekehrt, in dieses Land, das zu Deutschland gehörte und doch so weit entfernt war. Er hatte, nach dem Ende des Kalten Krieges und der Minderung der Gefahr gegenseitiger Vernichtung jede Gelegenheit zu Reisen in die DDR genutzt, war so zu einem Spezialisten für deutsch–deutsche Fragen geworden, hatte von Hamburg und Westberlin aus die Beziehungen zwischen beiden Staaten kommentiert.

Müller machte sich keine Illusionen über seine Arbeit. Er hatte im Sender als Experte für deutsche Fragen gegolten, weil er sich die erforderlichen Grundkenntnisse über die Geschichte und die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten erworben hatte, weil er sich über Viermächteabkommen, Besucherregelungen, Transitvereinbarungen, Helsinki, Grundlagenvertrag und deren Akteure, soweit sie bekannt waren, informiert hatte, weil er einen Teil dieser Geschichte selbst erlebt und immer wieder beobachtet und kommentiert hatte. Im Gegensatz zum Großteil seiner Kollegen wusste er, wer zur Gruppe Ulbricht gehört hatte, kannte er die Geschichte der Zwangsvereinigung von KPD und SED, die Namen und Funktionen von Grotewohl, Sindermann, Hilde Benjamin, Honecker, Mittag, Herrmann, Hoffmann und Axen. Er konnte zuordnen, abwägen, kommentieren. Er verdankte viele Kenntnisse dem WDR-Publizisten Peter Bender.

Müller berichtete wie alle anderen über Ansätze zu einer vermeintlichen Liberalisierung, über Verbesserungen von Warenangebot und Gastronomie, kommentierte mit Wohlwollen Tendenzen, die der Öffentlichkeit nur vorgegaukelt wurden. Zur Strategie der Staats- und Parteiführung gehörte es, ihre Schändlichkeiten vergessen zu machen, den 17. Juni, den Bau von Mauer und Grenzanlagen die Bereitschaft zum Einmarsch nach Prag, die Verfolgung, Bestrafung und Einkerkerung Andersdenkender, die Tötung von Flüchtlingen mit Waffen und Minen. Erst jetzt, nachdem er wirklich hier angekommen ist, wird ihm das Ausmaß von Unrecht und Menschenverachtung bewusst.

Das Honecker-Attentat und andere Storys

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