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Der Anruf war überraschend gekommen. Ein Termin in der Chefredaktion des stern.

„Wollen Sie für uns nach drüben, nach Ostberlin?“, fragte Koch. „Sie kennen sich dort doch aus. Und wir suchen einen Nachfolger.“

Müller kannte Koch vom Studiogespräch am Morgen. Koch war ein angenehmer Interviewpartner gewesen, präzise klare Antworten. Er hatte sich mit Koch verabredet, war zu ihm in den „Affenfelsen“ an der Alster gefahren, einen stufenförmig ansteigenden Bürobau, nur tausend Meter vom Sender entfernt. Koch hatte sein Büro im fünften Stock und war zusammen mit Schmidt einer der beiden Chefredakteure – er der Mann für Politik, Schmidt für Unterhaltung und Kultur.

Henry Nannen, „der Alte“, der Erfinder der Illustrierten nach dem Krieg, residierte im siebten Stock, widmete sich immer weniger dem Heft. Er war des Berufs nach Jahrzehnten überdrüssig. Ein Blatt zu machen, jede Woche neu, die beste Illustrierte des Kontinents, in Konkurrenz zu Augstein vom „Spiegel“, dem aggressiven Herausforderer im Chilehaus, hatte seinen Reiz verloren. Henry, der kräftige Grauschopf mit dem Gespür für Geschichten, Stimmungen, Entwicklungen, Wünsche, hatte alles erreicht. Er war noch Herausgeber. Seine große Leidenschaft waren Bilder – Gemälde des Impressionismus und Expressionismus. Er sammelte, suchte fieberhaft und gab ein beträchtliches Vermögen dafür aus.

Koch und Schmidt, die beiden Neuen an der Spitze, sind ein interessantes Duo, der eine spielt den Feingeist, ist ein bemerkenswerter Kenner klassischer Musik und ihrer Interpreten und hat bereits eine Karriere als Blattmacher hinter sich – Chefredakteur der Hör zu und der Hamburger Morgenpost. Er kleidet sich elegant und teuer, liebt gute Weine, erkundigt sich vor Interviews nach den Vorlieben seiner Gesprächspartner, um sie so mit ihren Lieblingszigarren, bevorzugten Cognacs oder Whiskys zu überraschen. Die beiden mögen sich nicht besonders, gehen sich aus dem Weg, beschränken ihre Kontakte auf die notwendigen Absprachen bei den Konferenzen.

Koch, der zupackende Macher, nicht eloquent sondern direkt, mit Gespür für attraktive Geschichten. Koch verstellt sich nicht, entscheidet und fordert Entscheidungen. Der schlanke Vierziger, blond mit kurz geschnittenem Haar, Harris-Tweed-Jackett, blaues Hemd, Karokrawatte, Cordhose, empfängt Müller auf flapsige Art, nicht hamburgisch, bleibt hinter seinem Schreibtisch sitzen, lässig, sagt: „Das hat mir gefallen, das Gespräch bei Ihnen. Danach habe ich mich über Sie erkundigt. Sie waren häufiger drüben. Ein Kenner der Verhältnisse dort.“

„Drüben?“, fragt Müller. „Was meinen Sie?“ Er weiß, was Koch meint.

„In Ostberlin, bei unseren Brüdern und Schwestern, das ist drüben.“

„Immer wieder, wenn sich die Gelegenheit bot: Ostseewoche in Rostock, Leipziger Messe, das Festival des politischen Liedes, die Händelfestspiele in Halle. Ja!“

„Können Sie sich vorstellen, für uns dorthin zu gehen, nach drüben?“, fragt Koch. „Wollen Sie das machen?“

Er wollte, er wäre ohnehin dorthin gegangen, für das Radio als Hörfunk-Korrespondent. Die endgültige Entscheidung darüber sollte in wenigen Wochen getroffen werden.

„Was erwarten Sie?“, fragt er.

„Alles“, sagte Koch.

„Alles, was alles?“, fragt Müller.

„In den vergangenen beiden Jahren war im Heft fast nichts über die Zone zu lesen.“

„Die Zone?“, fragt Müller und weiß um die Verachtung Kochs für die DDR.

„Dieses Land DDR, das bei uns ziemlich in Vergessenheit geraten ist“, sagt er.

„Weil es niemanden interessiert?“, fragt Müller.

„Ich weiß nicht, ob es jemanden interessiert. Sie sollen dafür sorgen, dass es die Leute interessiert. Sie kennen sich doch aus!“

Müller: „Soweit das möglich ist, vieles ist nicht möglich. Es gibt strenge Bestimmungen, Einschränkungen, keine freie Berichterstattung.“

„Die gibt es weder in Moskau noch in Peking – und trotzdem berichten wir darüber“, sagt Koch. „Sie müssen die Geschichten finden, ohne Rücksicht.“

Müller: „Ohne Rücksicht auf was?“

Koch: „Ohne Rücksicht auf Vorschriften. Sie bekommen alles, was Sie benötigen. Wohnung in Ostberlin, Dienstwagen, ein Firmenkonto, steuerfreies Gehalt. Sie können über alles berichten – außer über langweilige Verlautbarungen. Und Sie können Reisen, wohin Sie wollen – nicht nur innerhalb der DDR, nach Warschau, Prag, Budapest, auch nach Moskau.“

Koch ist in den vergangenen Jahren als Mann in Bonn häufiger nach Washington und Moskau geflogen. Die DDR hat ihn nicht interessiert. Er stellt sich das Land als klein, muffig, langweilig vor. Müller sagt zu.

Nannen empfängt ihn, freundlich, distanziert, Zustimmung und Glückwunsch.

Müller wird den Leuten von Deutschland I vorgestellt worden. Deutschland I, der Bereich Politik, für den Heiner Bremer verantwortlich ist, ein guter Analytiker, Anhänger Willy Brandts und Egon Bahrs mit ihrer deutsch-deutschen Entspannungspolitik, dazu als Redakteur bei D1 Ulrich Rosenbaum.

Mit dem Anruf von Koch erfüllte sich ein lang gehegter Wunsch. Er könnte ein Ziel erreichen, dem er sich seit Jahren durch intensive Beschäftigung und Berichterstattung genähert hatte. Er wollte zurückkehren. Unter allen Möglichkeiten war es die reizvollste Aufgabe. Das scheinbar Fremde war ihm vertraut wie nur wenigen.

Er hatte sich der Minenfeld-Grenze und der Elbe dahinter immer weiter genähert: eine Rückkehr in Schritten. Er war auf dem geteilten Fluss unterwegs gewesen, war an Bord der Zollboote aus dem Westen den grauen Schiffen der NVA begegnet. Er hatte am „Tag der deutschen Einheit“, am 17. Juni, mit ehemaligen Bewohnern und Politikern von Gedenkveranstaltungen in Zicherie berichtet. Zeugnisse der Teilung: Hinter dem jenseitigen Ufer der Elbe die Anlagen – Betonmauern vor verfallenen Bauerngehöften, die Bewohner ins Innere des Staates umgesiedelt – Wachtürme, Minenfelder, Hundelaufanlagen, Metallgitterzäune mit Selbstschussanlagen. Er hatte Reportagen über die Dörfer und Kleinstädte entlang der Grenze zwischen Elbe und Harz aufgenommen, den „Eisernen Vorhang“, den „antifaschistischen Schutzwall“ beschrieben.

Das Honecker-Attentat und andere Storys

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