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Phoneme als Grundeinheiten

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Jede Menschensprache benutzt diskrete Grundeinheiten, die selbst keine Bedeutung haben, aber Bedeutungen unterscheiden können: die Phoneme. Man ermittelt die Phoneme einer Sprache durch paarweisen Vergleich. Dazu muss man sich natürlich die gesprochene Sprache vorstellen, denn die Schrift versucht die Phoneme bereits durch passende Buchstaben zu erfassen – was nicht immer vollkommen gelingt: Nicht jede Sprache hat eine eigene Schrift, und die Schrift beruht oft auf veralteten Aussprachen. Außerdem unterliegen die Phoneme selbst auch noch phonologischen Regeln: so gehört zu radeln das Wort Rad, das aber [rat] gesprochen wird. (Auslautverhärtung: stimmhafte Konsonanten werden am Wortende stimmlos.)

Im Paarvergleich zeigt sich, dass Rad und Rat eigentlich nicht im Konsonanten, sondern im Vokal verschieden gesprochen werden: [rat] vs. [ra:t] – in Rad ist der Vokal ungespannt, in Rat ist er gespannt und dadurch länger (angezeigt durch ‘a:’). Man kann sich nun das Experiment vorstellen, bei dem die Lautfolge [rat] in vielen Zwischenschritten allmählich in [ra:t] überführt wird. Fast bei jedem Hörer gibt es einen Punkt, wo er nicht mehr das erste Wort (Rad), sondern das zweite Wort (Rat) versteht; dazwischen gibt es nichts. Ganz ähnlich sollte man den Übergangspunkt zwischen [rat:әn] (Ratten) und [ra:tәn] (raten) finden können. Die Sprachwahrnehmung ist kategorial: diskrete Phoneme führen zu diskreten Wörtern. – Den Paarvergleich kann man natürlich auch an anderen Stellen eines Wortes durchführen: In der Wortmenge {lappen, latten, lacken, lallen, lassen, laschen, lachen} lassen sich 8 verschiedene Konsonantenphoneme, in der Wortmenge {passe, tasse, kasse, basse, gasse, fasse, lasse, nasse, masse, rasse, hasse} sogar 11 verschiedene Konsonantenphoneme erkennen.

Jede Sprache hat ihre ganz eigenen Phoneme. Grundsätzlich sind immer mehr Konsonanten als Vokale vorhanden, aber der Grund dafür ist nicht ganz klar; vielleicht gibt es mehr Möglichkeiten, Konsonanten zu differenzieren als Vokale. Die Sprachen mit dem kleinsten Überschuss an Konsonanten sind Andoke, eine Sprache in der Amazonasregion von Südkolumbien, die 9 Vokale und 10 Konsonanten besitzt, und Rotokas, eine Ostpapua-Sprache auf der Insel Bougainville (im Norden der Salomonen), mit 5 Vokalen (a, e, i, o, u) und nur 6 Konsonanten (p, t, k, g, v, r). Rotokas gilt zugleich als die Sprache mit den wenigsten Phonemen überhaupt; sie hat u.a. zweisilbige Wörter, die nur aus Vokalen bestehen, wie ou.a ‘ich bekomme’ und oe.a ‘sie.plural’.

Die Sprachen mit den meisten Konsonanten (im Verhältnis zu den Vokalen) sind die nordwestkaukasischen Sprachen. Der Bzyp-Dialekt des Abkhasischen kennt 67 Konsonanten zu 2 Vokalen, und von Ubyx, einer ausgestorbenen Sprache, heißt es, dass es sogar 81 Konsonanten zu 2 Vokalen gab. Diese beiden Vokalphoneme waren vermutlich ein zentraler und ein tiefer Vokal (ə und a). – Zu den Sprachen mit 3 Vokalen gehört das klassische Arabisch (a, i, u), zu denen mit 4 Vokalen das Aztekische (a, e, i, o). Die Zahl der Vokale kann sich durch Prozesse wie Umlautung, Nasalierung oder Längung offenbar auch schnell verändern. So ist bemerkenswert, dass das Spanische nur 5 Vokale kennt (a, i, e, o, u), während das Französische 16 Vokale hat.

Man könnte denken, dass eine Sprache mit wenigen Vokalen viele Konsonanten braucht und eine Sprache mit wenigen Konsonanten viele Vokale benötigt, um expressiv erfolgreich zu sein (d.h. alles in ihr ausdrücken zu können). Dem ist aber nicht so. Das oben erwähnte Rotokas hat nur 6 Konsonanten bei 5 Vokalen. Am anderen Ende der Skala steht die in Botswana gesprochene Khoisan-Sprache !Xóõ mit fast so vielen Konsonanten wie Ubyx (nämlich 77), aber 31 Vokalen; die Zahl der Phoneme kann also zwischen 11 und 110 schwanken. In jedem Fall ist die Zahl der Phoneme relativ klein, doch wenn man Wörter aus ihnen bildet, indem man verschiedene Phoneme aufeinander folgen lässt, ergeben sich extrem viele mögliche Wörter, mit denen man entsprechend viele Bedeutungen assoziieren kann.

Als Beispiel sei ein Ausschnitt des Deutschen mit nur 6 Phonemen betrachtet:

Wie viele Wörter sind in entenbraten verborgen? Aus {a, b, e, n, r, t} lassen sich fast 50 einfache deutsche Wörter bilden (Vorsicht: Hier sind die gesprochenen Laute notiert – egal, wie die Wörter im Deutschen tatsächlich geschrieben werden): {ab, an, abent, aber, abt, ar, art, ba:n, ban, bant, bar, bare, baren, bart, bat, ben, be:r, bert, be:t, brant, brent, braten, eben, ente, erbe, ernte, nabe, nar, narbe, na:t, nater, nent, net, rabe, ran, rant, rar, rat, rate, tane, tand, tarn, tat, te:r, trab, tran, trene, trent}

Es sind noch mehr möglich, auch zusammengesetzte wie eben entenbraten.

In einem nächsten Schritt können abgeleitete oder zusammengesetzte Wörter gebildet werden, aus diesen dann ganze Phrasen, einfache und zusammengesetzte Sätze. Jede Sprache hat ihr eigenes System der Wortbildung (Morphologie) und Satzbildung (Syntax); es sind teilweise verhältnismäßig einfache Regeln, teilweise auch sehr komplexe.

Sehr einfach ist die Flexion im Englischen. Der Plural z.B. nimmt nur Bezug auf den letzten Laut des Wortes: /-iz/ nach einem Sibilanten (kiss – / kisiz/), /-s/ nach einem stimmlosen Laut (cat – /kæts/), sonst stimmhaftes /-z/ (boy – /boiz/). Interessanterweise gilt genau dieselbe Regel für die 3. Person im Singular Präsens (he kisses, he talks, he goes), woran man erkennt, dass es sich bei der Variation {-iz, -s, -z} um eine ganz normale lautliche Regularität handelt. Die Regel selbst kann also sehr einfach lauten: Der englische Plural endet so wie die 3.sg.präs. auf ein stimmhaftes /-z/, das lautlich seiner Umgebung angepasst wird. Ausländer, die Englisch lernen, haben kein Problem mit dem Plural. Eher haben sie ein Problem mit den unregelmäßigen Verben oder den Partikelverben, insgesamt aber ist der Einstieg ins Englische relativ einfach. Englisch ist fast ideal als Zweitsprache. Die meisten Sprachen haben mehr Schwierigkeiten in ihrem Profil – Schwierigkeiten, die ein Muttersprachler kaum bemerkt, die dem Ausländer aber schnell auffallen.

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