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5. PIETISTISCHE FRÖMMIGKEIT UND LUTHERISCHE POSITIONALITÄT IM VOLKSKIRCHLICHEN UMFELD

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PFARRER ERNST EISENBACH

Bernhard Dressler/Interview: Andreas Feige

Und DAS nun aber, das wurde mir eben im Studium hilf/ heilsam deutlich, das auszutarieren ähm durch die äh/ den Gedanken der Externität. Ich habe mich nicht selber, ich verdanke mich nicht mir selber, ich verdanke nicht den Glauben meiner Entscheidung oder sowas, sondern ich bin ähm gehalten und ich muss mir auch nicht dauernd den Puls fühlen, wie gut bin ich denn heute im Glauben oder so, sondern ich äh/ ich bin befreit und kann von daher mich äh mit einem gewissen Abstand neu angucken. (.) Suche dich nur in Christus und nicht in dir selbst, dann wirst du dich auf ewig in ihm finden.

Ja, also mein Evangeliumsverständnis bringt mich schon in Richtung eines sehr persönlichen Glaubens und da ist die Pluralität eigentlich schon immer da gewesen, auch vor der Postmoderne schon. Sie wird jetzt sichtbarer, aber jeder Mensch hat ja sein persönlich geführtes Leben, jeder Mensch hat seine Zweifel, seine Anfragen, seine Einflüsse durch verschiedene religiöse Erfahrungen. Und die Frage ist immer: Irgendwann komme ich von der Religion zum Glauben, also da bin ich ganz bei Barth geblieben. Religion und Glauben sind zwei fundamental unterschiedliche Kategorien.

5.1 Persönliche Situation

Ernst Eisenbach ist Anfang 40, verheiratet. Er hat zwei Kinder. Er wohnt und arbeitet in einer Kleinstadt im Umfeld eines großstädtischen Ballungsraums.

5.2 Religiöse Sozialisation und das Interesse am Theologiestudium

Ernst Eisenbach ist im Milieu des neueren Pietismus aufgewachsen. Sein Vater war in einem technischen Beruf tätig und hat sich nach seiner Bekehrung zum Laienprediger ausbilden lassen. Seine religiöse Sozialisation sieht er durch eine Mischung aus Intellektualität und Frömmigkeit charakterisiert. Der Bücherschrank seines Vaters ist in seiner Erinnerung ein stark präsentes Symbol dafür. Als Jugendlicher interessiert er sich für Bibel- und Gottesfragen, vor allem Gottesbeweise und für das Verhältnis Glaube und Wissenschaft. E. will zunächst Journalist werden, weil ihn Sprache und ihre Wirkmacht besonders interessieren. Theologie studiert er anfangs als eine Art Grundlagenstudium für den Journalistenberuf. Das Pfarramt spielt als Berufsziel zunächst keine Rolle. Er zweifelt zunächst, die von ihm dafür für nötig gehaltene kommunikative Alltagstauglichkeit zu besitzen. Erst nach seinem Studium hat er seine Pfarrberufstauglichkeit durch relativ viele Gemeindepraktika getestet.

5.3 Prägungen und wichtige Thematiken im Studium und der Weg ins Pfarramt

Im Studium dominiert ein fachliches Interesse. E. bezeichnet sich als Überzeugungstäter und klassischen Geisteswissenschaftler, der nicht groß taktisch studiert hat, sondern nur seinen inhaltlichen Interessen gefolgt ist. Der Pfarrberuf wird von E. nicht zielsicher angestrebt, sondern erscheint nach fünf Semestern eher vage am Horizont. Wahrscheinlich hat dabei eine Rolle gespielt, dass im evangelikalen Milieu gegenüber dem protestantischen Volkskirchentum zunächst Vorbehalte bestanden. Allerdings hat E. im Studium wissenschaftliche Fragestellungen nicht für illegitim gehalten. Er sieht darin keinen Bruch mit seinem frommen Herkunftsmilieu.

Praktische Theologie steht im Studium nicht im Vordergrund. Es dominieren die aus seiner Jugend mitgebrachten Themen, konzentriert auf hermeneutische Perspektiven. Das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft bleibt bis zum Abschluss des Studiums dessen roter Faden. Besonders prägend wird sein Doktorvater, ein systematischer Theologe, der als konservativer Lutheraner und als ein profilierter Kritiker des liberalen Kulturprotestantismus gilt, und der ein sprachtheoretisches, durchaus aufklärungskritisches, aber intellektuell anspruchsvolles dogmatisches Interesse mit Fragen des Gemeindebezugs verbindet. Im Thema seiner Dissertation bearbeitet E. systematische und praktisch-theologische Fragen mit einem interdisziplinären, Theologie und Sozialwissenschaft verbindenden Anspruch.

Herr Eisenbach verordnet sich aufgrund seiner Selbstzweifel selbst über das obligatorische Maß hinaus Praktika in verschiedenen Gemeinden, um seine Eignung für den Pfarrberuf ernsthaft zu prüfen. Er überwindet dabei Zweifel an seiner kommunikativen Alltagstauglichkeit und wird überdies zu einer Berufsperspektive ermutigt, bei der er seine kritische Haltung gegenüber einem zu lauen, unverbindlichen volkskirchlichen Christentum bewahren kann. Theologische Einfachheit und Klarheit werden von E. als Kriterien guter Praxis unterschwellig gegen pastoraltheologische Theorieansätze in Stellung gebracht, die alles in die Randgebiete ausdifferenzieren.

5.4 Bleibende Prägungen durch den Pietismus?

Herr Eisenbach hat in seiner Biografie nie irgendwie einen großen Bruch erlebt, sondern mehr eine Vertiefung und eine Erweiterung, eine Ausdifferenzierung. Es ist ihm wichtig, dass man, auch wenn man aus pietistischen Kreisen kommt, ein intellektuell anspruchsvolles Theologiestudium absolvieren kann. Seine eigene Lernfähigkeit korrespondiert in seiner Perspektive mit der zuweilen verkannten Offenheit seines religiösen Herkunftsmilieus. Er sieht sich im Theologiestudium seinem pietistischen Herkunftsmilieu durchaus nicht entfremdet. Manche seiner Äußerungen sind zugleich als Ausdruck einer pietistischen Frömmigkeit und als implizite Kritik an den Bigotterien frommer Milieus zu verstehen. Seine dezidierte Frömmigkeit erachtet er nicht als weltfremd, sondern mit dem Interesse für gesellschaftliche und kulturelle Zeitdiagnosen vereinbar, und zwar so, dass sein Glaube explizit mit dem Interesse an der ›Welt‹ verbunden bleibt.

E. kritisiert die Selbstverunklarung von Kirche, wie er sie bei Kollegen zu beobachten meint. Dabei verbindet er seine Vorstellung einer erkennbaren Frömmigkeit und eines expliziten Glaubens mit der Bereitschaft, zu einer Minderheitensituation zu stehen. Zugleich stellt er in diesem Zusammenhang einen Bezug zu seinen kommunikativen Begrenzungen her (er spricht von Gaben, die ich möglicherweise in der Form nicht habe, wo Menschen anders rangehen), die in diesem Lichte weniger als Defizite erscheinen, sondern als Begleiterscheinungen der Bemühung, den Glauben explizit zu kommunizieren. Theologiestudierenden empfiehlt er, theologische Reflexion mit einer ausgeprägteren Frömmigkeitspraxis zu verbinden. Zugleich sollten die Curricula stärker auf jene Kerngebiete konzentriert werden, die nach E.s Ansicht einer expliziteren Glaubenshaltung bei der Gestaltung des Pfarrberufs dienen würden: Ich würde sehr stark eine engere Begleitung auch im spirituellen Bereich empfehlen.

5.5 Der Kern des pastoralen Professionskonzepts von Ernst Eisenbach

E. ist mit seiner Mischung aus unangepasster Frömmigkeit und theologischem Kritikbedürfnis keinen leichten Weg gegangen. Die Verpflichtung zu einem scharfen theologischen Urteil, zu dem er sich befähigt und berufen fühlt, kontrastiert nur scheinbar mit seiner Klage über ein zu abgehobenes, theorielastiges Studium. Als promovierter Theologe, der sich selbst gern als Systematiker versteht, verbindet er dieses Selbstverständnis mit einer Kritik an zu viel Scholastik im Studium, weil damit gerade das behindert werde, was erst die Stärke einer systematisch-theologischen Urteilsbildung befördere, nämlich Erdung und Verwurzelung neben der Profilierung einer vor allem an Luther geschulten eigenen konfessionellen Positionalität.

Der Blick auf seine gemeindlichen Erfahrungen ist nicht frei vom Ambivalenzen, die er freilich mit einem gewissen frommen Tonfall resümiert: Kein Tag ist wie der andere und ich riskiere mich jeden Tag neu und ich empfange mich jeden Tag neu, also es gab Phasen, wo ich dachte, das hast du ganz gut im Griff, und dann kommt garantiert irgendwas, was einem den Boden unter den Füßen weghaut. Auch im Pfarrberuf begleitet ihn die Sorge, nicht unbedingt alltagstauglich zu sein, und eine gewisse Lebensfremdheit könne ihn im Umgang mit Menschen behindern. Er macht das daran fest, dass ihm eine einfache, unangestrengte Kommunikation, von ihm etwas abwertend als small talk bezeichnet, nach wie vor schwer fällt. Es besorgt ihn, er könne wahrgenommen werden als jemand, der über etwas redet, das keinen interessiert und damit den Leuten vielleicht auf die Nerven zu gehen. Möglicherweise ist es gerade die von E. durchaus selbstbewusst für sich in Anspruch genommene gedankliche Differenziertheit, die den sprachlichen Ausdruck im direkten Kontakt mit Menschen behindert.

Unumwunden bezieht sich E. auf als konservativ geltende Gemeindeaufbaukonzepte, freilich mit dem besonderen Akzent, den Klagen über eine Kirchenkrise gelassener und nicht mit organisationstheoretischen Konzepten allein zu begegnen: Wir sind es ja nicht die, die Kirche erhalten könnten, das ist ja nochmal eine andere geistliche Dimension, die auch drin ist. Ähm wir sind nicht die Kirchenmanager, und trotzdem kann man ja Dinge besser oder schlechter machen. E. reklamiert für sich einen differenzierten Blick auf ekklesiologische Fragen, der durchaus auch kirchentheoretische Konzepte des protestantischen Mainstreams einbezieht. Eine gewisse theologisch-ekklesiologische Strenge mischt sich dabei mit einer klerikalkritischen Offenheit.

Vor dem Hintergrund der in der Praktischen Theologie von Dietrich Rössler vertretenen Differenzierung dieser drei Felder, das persönliche Christentum, das kirchliche Christentum, das kulturelle oder gesellschaftliche Christentum, möchte E. die Engführung vermeiden, dass die Kirchlichkeit das ganze Christsein wäre. In gewisser Spannung dazu steht indes seine – durchaus polemische – Wendung gegen so eine Verachtung der Kirche […] auch in der Theologie, auch in der praktischen Theologie. Er macht diese Kritik beispielhaft fest an der Verachtung der Kerngemeinde: Das sind, seit den siebziger Jahren, wenn man da in die Untersuchungen guckt, sind das die Kleinbürger, die Zurückgebliebenen, die sozial Schwachen, die alten Frauen, die irgendwie vom Pfarrer betreut werden wollen. Es ist natürlich so, dass unsere Kirche milieuverengt ist und bestimmte Milieus häufiger auftauchen als andere. Aber ich möchte versuchen, im Kern auch dieses Potential zur Frucht und zum Wachstum zu erkennen.

In seiner Gemeinde sieht E. das ganze Spektrum unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeitsformen vertreten. In seinem Berufskonzept ist der Versuch erkennbar, die Art entschiedenen Christentums, wie sie in den landeskirchlichen Gemeinschaften vertreten wird, ohne exkludierende Nebenwirkung mit der volkskirchlichen Normalität zu verbinden. Hinsichtlich seiner dienstlichen Arbeitsweise charakterisiert er sich als jemand, der eine gewisse Offenheit in Organisations- und Leitungsfragen pflegt, um die Freude des Evangeliums nicht durch zu detaillierte Leitungsvorgaben zu beeinträchtigen.

E. formuliert Desiderate bezüglich der Gestaltung seiner pastoralen Praxis, die er nicht vollmundig als eingelöst behauptet. Es ist aber nicht erkennbar, auf welche Reaktionen seine pfarramtlichen Gestaltungsmaximen insgesamt stoßen. Konflikte werden von ihm vor allem in seinem Verhältnis zu Kollegen aufgedeckt. Möglicherweise blendet er Konflikte zu jenen Mitgliedern seiner Gemeinde ab, denen seine Sprache zu abgehoben fromm und seine Theologie zu wenig anschlussfähig an ihre volkskirchlich-konventionelle Religiosität erscheinen könnte. Fraglich ist, wie weit es unter den Bedingungen religionspluraler Gegenwart überhaupt möglich ist, den Pfarrberuf mit der von ihm unter Berufung auf Karl Barth vertretenen expliziten Ablehnung von Religion als Unglaube zu gestalten, ohne sich damit von der Mehrheit der Gemeindeglieder zu isolieren. Immerhin lässt E. zumindest seinen Anspruch erkennen, auch gegenüber jenen Menschen kommunikationsfähig zu bleiben, die sich an seiner dezidierten Frömmigkeit reiben könnten. Es muss offen bleiben, wie die fast unvermeidlich erscheinende Spannung zwischen seiner pietistischen Herkunft und den Aufgaben eines landeskirchlichen Pfarramts von ihm tatsächlich theologisch so bearbeitet wurde und wird, dass sich sein Herkunftsbezug weitet, zugleich aber in einer bestimmten theologischen Dezidiertheit wirksam bleibt. Eben das nimmt er für sich in Anspruch. Das wäre gleichsam die Bedingung für eine Art von ›religionskritischer‹ Religionskompetenz. Seine Fundamentalunterscheidung zwischen Glaube und Religion lässt aber, bei aller geäußerten Akzeptanz der eher volkskirchlichen ›Normalreligiosität‹, vermuten, dass es ihm vor allem um die Stabilisierung der Kerngemeinde geht, die er gegen innerkirchliche bzw. innertheologische Kritik vehement in Schutz nimmt.

Denkbar, aber nicht sicher ist, dass Ernst Eisenbach die Konflikte mit Kollegen betont, weil er hierbei explizierbare Differenzen in der Professionsauffassung thematisieren kann, ohne sich selbst in Frage stellen zu müssen. Ebenso denkbar, aber nicht sicher ist, dass er Konflikte mit anderen Frömmigkeitsstilen und volkskirchlich-religiösen Haltungen in seiner Gemeinde abblendet, weil damit sein Selbstbild als Pfarrer in Frage gestellt sein könnte.

Ähnliches ist zu der Selbsteinschätzung zu bedenken, mit der sich E. (schon im Rückblick auf seine Jugendzeit) als verkopfter Mensch bezeichnet. Wie schlägt er Brücken zwischen seinem intellektuellen theologischen Anspruch und der Alltagssprache der Menschen? Er nimmt für sich in Anspruch, dass ihm das durch Klarheit und Elementarizität gelingt. Es fällt ihm nicht leicht, sich mit einer Kirche zu arrangieren, gegen deren vorherrschende Praxis er Vorbehalte hat. Ihm scheint eine Art Kompromiss zwischen der Beibehaltung landeskirchlicher Grundstrukturen und der einfachen, unmittelbaren und bibelorientierten Praxis vorzuschweben, wie er sie im US-amerikanischen Freikirchentum erkennt. Das wäre ein Balanceakt auf schmalem Grat. Zwar schließt E. volkskirchliche Zugehörigkeits- und Observanzmuster ausdrücklich nicht aus. Er lehnt aber deren Einschätzung mittels jener religionstheoretischen Konzepte ab, die die für ihn unaufgebbare Unterscheidung zwischen Glaube und Religion unterlaufen. Sofern er, was nicht klar erkennbar wird, damit seine persönlichen Glaubenskriterien zum religionskritischen Standard macht, würde er der Religion seiner randständigeren Gemeindeglieder nicht gerecht werden können. Hier deutet sich ein vom ihm gar nicht geleugnetes, sondern theologisch gerechtfertigtes Defizit an Religionskompetenz an.

Die Dominanz kognitiver Zugänge zu theologischen Themen und zum Glauben, die in seiner Erinnerung für seine Jugend- und Studienzeit charakteristisch gewesen ist, scheint er auch im Pfarrberuf durchgehalten zu haben. Diese Dominanz steht in einem gewissen Gegensatz zu pietistischer Frömmigkeit. Ob Ernst Eisenbach im Interview einen Blick auf eine eigene pietistische Frömmigkeitspraxis auch in seinem individuellen und familiären Lebenskontext aus Diskretionsgründen vermeidet, oder ob in dieser Abblendung seine Intellektualität durchschlägt, ist nicht sicher zu sagen. Die Rezeption theologischer Religionskritik würde es ihm aber ermöglichen, hierin keinen Mangel zu sehen. Bei Ernst Eisenbach zeigt sich dezidierte Frömmigkeit in verbalsprachlicher Deutlichkeit, und insofern hält sich das von ihm schon in seiner Jugend so stark betonte Interesse an Sprache und ihrer Wirksamkeit auch in seiner pastoralen Praxis durch.

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