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11. WEITERGABE DES EIGENEN RELIGIÖSEN BRENNENS: SCHÖNE GOTTESDIENSTE ALS LOBPREIS DER SCHÖPFUNG

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PFARRER KARL KAMPE

Dietlind Fischer/Interview: Albrecht Schöll

Also, die Grundbedingung ist sicher, dass ich von Anfang an ein religiöser Mensch war.

Würde ich überhaupt als die Mitte meines Arbeitens äh ansehen, schöne Gottesdienste zu feiern.

11.1 Persönliche Situation

Karl Kampe, 55 Jahre alt, arbeitet als Gemeindepfarrer und zusätzlich als Verantwortlicher für eine City-Kirche, in der besondere Predigtreihen und Gottesdienste veranstaltet werden.

11.2 Religiöse Sozialisation

Seine Biographie rekonstruiert Karl Kampe explizit von der Position einer Selbstgewissheit aus, mit der er sich als religiöser Mensch von Anfang an empfindet. Diese Empfindung habe er schon als Kind gehabt. Als Grundschüler habe ihn die Geschichte von Abraham und Isaak so sehr berührt, dass er durch einen geradezu archaischen Vollzug eines tatsächlichen Brandopfers Kontakt zu dem Numinosen suchte. Seine Familie kennzeichnet er demgegenüber als nicht besonders religiös oder kirchlich gebunden. Als Jugendlicher entwickelte er dann ein starkes Interesse an Musik und spielte Orgel. Das hält ihn im Resonanzraum von Kirche. Aber seine Begabung reichte nicht, um hauptberuflich Kirchenmusiker zu werden. So bezeichnet er in seiner Erzählung das Theologiestudium als zweite Wahl.

11.3 Studium und Vikariat

Gleich zu Beginn des Studiums begegnet er der Theologie Paul Tillichs und das, so sagt er, begeistert ihn für theologische Fragestellungen, entflammt ihn geradezu. Kurz darauf kam dann aber auch gleich eine sehr starke auch Persönlichkeitskrise, die mit Identitätsfindung zu tun hatte. […] Das war nicht zu trennen voneinander, also, und da war tatsächlich, das war ein schwerer Schock. Er ist schockiert beispielsweise über die Art, mit der die Auferstehung Jesu als ein theologisch zu begreifender Inhalt zwar naturalistisch »aufgeklärt« wurde, aber ohne einen Bezug zu übergreifenden theologischen Gesamtzusammenhängen herzustellen. So erlebt er die Zeit seines Studiums als einen sehr starken theologische(n) oder auch religiöse(n) Kampf, aber ich kann dieses Religiöse nicht von äh persönlichen Fragestellungen und Identitätssuche und/und so weiter trennen.

Den Beruf des Pfarrers strebt er während des Studiums nicht ausdrücklich an, vielmehr zögert er die Entscheidung dafür lange hinaus. Er geht ins Vikariat und wird auch ordiniert als Pfarrer. Die Frage, welchen Stellenwert diese Ausbildungsphase und anfängliche Berufstätigkeit für ihn hat, thematisiert er in seiner Erzählung nicht.

Die von einem starken Gefühl getragene Überzeugung, gottgewollt zu sein und mit einer Gottespräsenz in der Seele zu leben, zieht sich durch sein Leben und stellt einen Fundus dar, auf den Kampe in Krisensituationen zurückgreift und der ihm in mancherlei schwierigen Situationen als innerer Kompass Entscheidungsoptionen öffnet.

11.4 Berufliche Entwicklung, Berufsverständnis und Professionsprofil

Ihm wird nach dem Vikariat eine Stelle als Pfarrer mit besonderem Dienstauftrag an der Universität angeboten, verbunden mit der Möglichkeit einer Promotion. Er bekommt ein Promotionsstipendium, promoviert in Kirchengeschichte über eine pietistische Gruppe des 17. Jahrhunderts. Zunächst begeistert ihn die sachlich klare Herangehensweise kirchengeschichtlicher Forschung: Jetzt wird eine Geschichte erzählt, die wird erforscht und äh da hat man das erste Mal mit äh ähm mit fundamentalen Sachen zu tun. Ja, man geht ins Archiv, man forscht und/ und so. Inhaltlich sieht er seine Forschertätigkeit als einen auch persönlichen Bildungsprozess: Die Bücher vom wahren Christentum, […] das ist nicht nur dann Forschungslektüre gewesen, sondern über diese Lektüre habe ich sehr viel selber mich religiös bilden können. Aber nach acht Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität ist er der Arbeit dort überdrüssig und will nicht mehr als Wissenschaftler arbeiten. Er sucht nach Auswegen und entscheidet sich dann bewusst für den Beruf des Pfarrers. Diesen Schritt erlebt er zum einen als Befreiung von kleingeistiger Enge und zugleich als einen Sprung ins kalte Wasser, der das Risiko des Scheiterns enthält. Heute ist er davon überzeugt, dass seine anfänglichen Vorbehalte sich aufgelöst haben und er überzeugt sagen kann: Was ist das für ein schöner Beruf.

Wer sich bereits in der Kindheit als religiös empfindet und handfest nach Erfahrungen des Numinosen sucht und dann über eine so lange Zeit den Pfarrerberuf auf Distanz zu sich hält und für etliche Jahre eine berufliche, wenn auch thematisch nahe Alternative an der Universität findet, und wer dann letztlich doch den Sprung des beruflichen Wechsels wagt, dürfte über eine besonders intensive Disposition für den Pfarrerberuf verfügen. Für Karl Kampe konzentriert sich in dieser Position und Aufgabenstellung das Erfüllt-Sein von dem, was ihn zu einem religiösen Menschen von Anfang an gemacht hat und damit eine unhintergehbare Grundbedingung seines Selbstverständnisses geworden ist. Wiederholt markiert Kampe deutlich, dass für ihn seine auf einer elementaren Gefühlsbefindlichkeit aufruhende Religiosität und sein theologisches Verstehen dieses Umstandes untrennbar miteinander verbunden sind.

In der Konsequenz dieses so fundierten Selbstverstehens als Möglichkeitsbedingung für seine Professionspraxis benennt Kampe die Gestaltung von schönen Gottesdiensten als das Zentrum seiner Tätigkeit. Darunter versteht er unmittelbar auch körperlich intensiv wahrnehmbare, theatralisch inszenierte und musikalisch gestaltete ästhetisch-liturgische Formen des Gottesdienstes. Die ziehen als sinnliche Ereignisse nach seiner Wahrnehmung auch kirchenferne Menschen an und bringen sie miteinander kommunikativ in Beziehung. Darüber hinaus sind in diesem Sinne »schöne« Gottesdienste auch solche, die als Predigtreihen thematisch fokussiert und mit Themen der Musik verknüpft sind; oder die in jahreszeitlicher Kontextuierung Menschen anzusprechen versuchen. Ihm ist wichtig, dass er dabei durch einfache Sprache und beispielsweise durch die Nutzung besonderer Bibel-Übersetzungen ein Verstehen ermöglicht, das alltagssprachlich anschlussfähig ist.

Es ist nicht so, dass sich Karl Kampes Selbstverständnis als religiöser Mensch in pietistischer Versenkung oder als frömmlich demonstrierte öffentliche Lebenspraxis äußerte. Das Leben im Pfarrhaus als Ort inmitten eines sozialen Brennpunkts und in beruflich permanenter Verfügbarkeit ist ihm auf Dauer sogar ein Gräuel geworden. Als er endlich in eine private Wohnung umziehen kann, weil die Gemeinde das Pfarrhaus anderweitig nutzen will, steigert sich sein Lebensgefühl erheblich. Das private Wohnen nach elf Jahren in einem Pfarrhaus ermöglicht ihm, deutlicher zwischen beruflicher Beanspruchung bzw. Selbstverpflichtung und privaten Bedürfnissen zu trennen. In einem Alter, in dem viele Pfarrer die Pfarrstelle wechseln, wechselt er seinen Wohnbereich und gewinnt an privater Lebensqualität.

So wie Karl Kampe die schönen Gottesdienste sowie wundervollen Feiern mit geistig behinderten Konfirmanden begeistert beschreibt, sieht er es als Zentrum seines Professionserfolgs an, wenn es ihm zu gelingen scheint, Räume zu schaffen für das Empfinden des Wirkens des Heiligen Geistes, d. h. für das von den Teilnehmenden körperlich-emotional sich vollziehende Spüren eines religiösen Lebensgrundes. Man kann nur irgendwie ein Feuer weitergeben an/ ähm ähm von dem was er/ wo/ wo man selber brennt, sagt er. Er realisiert in seinem evangelischen Gottesdienst eine fast priesterliche Performanz, wenn er – mit geschlossenen Augen – Fürbitten frei formuliert. Das versteht er als Erfahrung von Präsenz und Anwesenheit, für das Beziehungsgeschehen in der Kommunikation. Denn: Wo die Beziehung nicht aufgenommen werden kann, ist auch keine Botschaft möglich.

Und im Konfirmandenunterricht versucht er einen Unterschied zu machen zwischen der Interpretation von biblischen Texten und ihrer liturgischen Ingebrauchnahme: Entweder ich vertraue jetzt mal auf das, was die Katholiken so sehr gut können und irgendwie so auf sozusagen die Kraft der Litanei, […] in einen Rhythmus kommen, ja mich einüben und irgendwo den Geist über/aus dem allen irgendwie einfach schweben zu lassen. Ja, oder ich mache jetzt Analyse und sage »Was steht da?«

Seine Fundierung, ein religiöser Mensch zu sein, stärkt und unterstützt er mit der Lektüre von Zauberbüchern, zu denen er – neben dem Gesangbuch – Texte spätmittelalterlicher Mystiker wie Meister Eckhart und Johannes Tauler zählt. Er nennt diese Bücher deswegen Zauberbücher, weil die es schaffen, sozusagen, einen aus dem Gefühl der Enge herauszuholen […] in eine andere Dimension.

Für Karl Kampe lebt ein religiöser Mensch aus dem Vorgegebenen der Religion selbst, aber auch der Gemeinde und Kirche. Er gestaltet unter Einbezug seiner Person die Tradierung und Aktualisierung der christlichen Religion – in der Erwartung, dass sich darüber religiöse Persönlichkeiten bilden.

Für die künftige Ausbildung von Pfarrern mag er keine Richtung angeben. Aber die permanente Reflexion dessen, woher man kommt, ist ihm wichtig: Pfarrer sollen doch irgendwie Feuer gefangen haben an dem, worum es in der Bibel geht. Traditionell gesprochen soll die Liebe zu Gottes Wort das berufliche Essential sein und bleiben. Ihm hat die Entschiedenheit des neuen Papstes gefallen, der besonderen Wert auf die Kirche für die Armen legt. Aber Kampes Verständnis von Kirche erschöpft sich nicht darin, Kirche für die Armen zu sein. Wir sind auch Kirche, sage ich jetzt mal, für die Schönheit, also um Schönheit auszudrücken, ja, oder um die Schöpfung zu preisen, zu loben.

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