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6. »FEUER GEFANGEN, WAS KIRCHE ANGEHT« DIE FRÖMMIGKEITSFUNDIERTE BEREITSCHAFT, RELIGIÖS DEN MENSCHEN IN IHRER EIGENEN SYMBOLIK ZU BEGEGNEN

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PFARRER FRANZ FALCK

Andreas Feige/Interview: Bernhard Dressler

Also in die Wiege gelegt worden ist mir das NICHT. Ich komme aus einem Handwerkshaus.

Und habe dann aber so in der Konfirmationszeit Feuer gefangen, was Kirche angeht.

6.1 Persönliche Situation

Franz Falck ist zum Zeitpunkt des Interviews 48 Jahre alt. Er ist verheiratet und kinderlos. Seine Pfarrstelle liegt in einem dörflichen Gebiet, in dem agrarische Strukturen mit ländlicher Industrie durchmischt sind.

6.2 Grundlegende Pfade im Berufszugang

Wäre es nach den Eltern gegangen, hätte ihr Sohn Franz später ihren Handwerksbetrieb weitergeführt – also das getan, was sie ihm als Erbe ›in die Wiege‹ haben legen können. Der Lebensweg von Franz Falck verläuft anders; nicht zuletzt deswegen, weil er aktiv und mit viel Eigenaufwand schon sehr früh in die Steuerungs- und Entscheidungsprozesse in seinem Lebensablauf eingegriffen hat.

In seiner Erinnerung war es so in der Konfirmationszeit, dass er Feuer gefangen hat, was Kirche angeht. Damit verwendet Herr Falck zwei sich scheinbar eher nicht harmonisch ergänzende Sprachfiguren: Dem sehr ausdrucksstarkdeutlichen Feuer gefangen stellt er die inhaltlich eher verschwommene Sprachfigur des was Kirche angeht zur Seite. Der später im Gespräch nachgelieferte Kontext macht allerdings nachvollziehbar, warum er zu einer Ausdrucksfassung greift, die ein weites Feld signalisiert.

Seine erste Konkretion liegt in der Schilderung der in dieser Konfirmationszeit begonnenen Mitgliedschaft im CVJM. Dort wird er sehr früh mit in die Führungsverantwortung gegenüber den Jungscharlern genommen: Und habe dann gemerkt, das passt zu mir, das mache ich gerne. Und umgekehrt sind die Jungscharler, die kleineren, dann gerne mit mir auch zusammen. Damit kann er das Gefühl erfahren, in einem Sozialkontext beheimatet zu sein – im CVJM im engeren und in der Kirchengemeinde im weiteren Sinne. Diese Beheimatung und das zusätzliche In-die-Verantwortung-genommen-sein ist nicht etwa nur ein Nebenprodukt. Es macht vielmehr den sowohl inhaltlich(-religiös) begründeten als auch rituell (im Gottesdienst) anschaulich-konkret in den Mittelpunkt gestellten Sinn aus. Es scheint, dass sich beim jungen Falck dafür so etwas wie ein bejahendes und bejahtes Gefühl – in Unterscheidung zu einem bloß kognitiv elaborierten Bewusstsein – entwickelt hat, das ihn sich für den Bereich Kirche auch lebensplanmäßig interessieren ließ.

Diese Deutung gründet darauf, dass bereits in der Zeit, in der die Entscheidung anstand, welche dritte Fremdsprache es im Gymnasium sein sollte, sich Franz Falck mit Blick auf ein mögliches Theologiestudium für »Griechisch« entscheidet, ohne bisher als zweite Fremdsprache Latein gehabt zu haben. Unter diesen erschwerten Bedingungen ist eine solche Entscheidung absehbar mit der Aussicht auf hohe Anstrengungen verbunden. Die können, was sein Elternhaus angeht, nicht z. B. durch ein Milieu akademisch gebildeter Altsprachler unterstützt werden. Sie müssen vielmehr in einem häuslichen Kontext stattfinden, der von handwerklicher Arbeit und täglichen wirtschaftlichen Entscheidungen geprägt ist. Diese mit hoher Ich-Stärke arbeitsaufwendig und erfolgreich zum Abschluss geführte Entscheidung von Franz Falck wird in beiden Formulierungen erfasst: im Feuer gefangen ebenso wie im was Kirche angeht. Im Wort Kirche dürfte dann auch das Wort »Glaube« umfasst sein.

Die Wahl der Formulierung was Kirche angeht bekommt durch eine zweite Konkretion eine weitere Bedeutung: Seinen Religionsunterricht qualifiziert Franz Falck – anders als Viele, die sich auf den Weg ins Pfarramt machen – ausdrücklich nicht als Motivationsquelle für ein Theologiestudium. Denn der RU habe nicht jene Menge Fragen behandelt, von denen er sagt, dass sie bei ihm vorhanden gewesen seien und die er gern geklärt bekommen hätte. Offenkundig gab es in seiner Wahrnehmung Differenzen zwischen dieser Menge nicht behandelter Fragen und seinem empirisch qua CVJM gewonnenen und sehr geschätzten Erfahrungsbild von Kirche. Gleichwohl – oder vielleicht auch gerade deswegen – bleibt es dabei: Also das Pfarramt war so immer mein Ding, wo ich dachte, da passe ich hin.

6.3 Das Studium

In dieser Lebensphase hat er die Leidenschaft für die Theologie bekommen und hat zugleich eine leidenschaftliche Liebe zur Geschichte und zur Gegenwart unserer Kirche entwickelt. Kierkegaard und Bonhoeffer sind nicht nur wichtige theologische Orientierungsfiguren, sondern sie begleiten ihn durch sein Leben: Von Bonhoeffer hat er nicht nur sämtliche Werke im Regal stehen, sondern er greift auch immer wieder darauf zurück, immer wieder. Charakteristisch für das, was ihn existenziell bewegt, ist die Verknüpfung besonders von zwei im Studium gewonnenen Einsichten. Zum einen war es die Auseinandersetzung mit evangelischer Beichte. Das war die Entdeckung im Studium, dass es so etwas gibt, und das selber für mich zu entdecken und dann eben praktisch-theologisch zu durchdenken, welche Chancen liegen denn in der Beichte heute.

Zum anderen wird für ihn die entscheidende Entdeckung im Studium: Luther. Einerseits sagt Herr Falck, dass er – was heute eher selten geschieht – die pietistische Frömmigkeit sehr schätzt. Er sehe aber auch die möglichen Engführungen einer gesetzlich verstandenen pietistischen Frömmigkeit. Und eben im Blick darauf habe ich von dem [Luther] doch auch für meinen eigenen Glauben [etwas] gehabt. Die von Luther ausgehende Warnung vor der – bzw. die Befreiung von der – Gefahr einer gesetzlich praktizierten pietistischen Frömmigkeit ist das, was er als das für ihn existenziell wichtige theologische Thema benennt. Demgegenüber gehört z. B. die Spannung zwischen Dialektischer Theologie und Kulturprotestantismus nicht zu den Themen, die ihn sonderlich interessiert haben. Dagegen engagiert er sich schon früh im Studium in der, wie es damals noch hieß, Pfarrergebetsbruderschaft und er hat das dort stattfindende intensive Auseinandersetzen für seine Persönlichkeitsbildung als unglaublich bereichernd empfunden. Damit wird nicht nur theologisch-positionell, sondern auch im Blick auf sein Involviertsein als theologisch fragende Person anschaulich, was Herr Falck im Studium an der Theologieje länger je mehr schätzen und lieben gelernt hat: In Gestalt der Lutherischen Denkpositionen verhalf sie ihm dazu, seine Neigung zu einer von persönlicher Frömmigkeit getragenen Lebenshaltung und Lebenspraxis theologisch-kritisch zu reflektieren und zu gestalten. Für die setzt er – nicht ohne erläuternd-differenzierende Kommentierung – den Fachterminus Pietismus ein. Diese Praxis war möglicherweise in ihm bereits in der CVJM-Zeit geweckt worden; oder sie wurde, weil schon vorher irgendwie vorhanden, dort implizit oder explizit befriedigt.

6.4 Das Vikariat

Herr Falck macht nach dem 14. Semester sein Erstes Examen. Gern nimmt er das Angebot eines Hochschullehrers an, der ihm eine halbe Mitarbeiterstelle mit Promotionsmöglichkeit ermöglicht. Drei Jahre später erfolgt die Promotion und es fügt sich, dass Herr Falck das Vikariat relativ zeitnah anfügen kann. Ausführungen zur seinen Vikariatserfahrungen erfolgen nicht. Das seinerzeit übliche Assessment-Verfahren erlebt Herr Falck als erhebliche Kränkung.

6.5 Aus dem Alltag seiner Pfarramtspraxis – Indikatoren für seine »Religionskompetenz« als Professionszentrum

Beim Angebot von Gottesdiensten ist Herr Falck vergleichsweise hoch aktiv, denn ich habe nicht selten in acht Tagen acht bis zehn Gottesdienste. Dazu gehört auch jeweils monatlich an einem Dienstag ein 6.00-Uhr-Gottesdienst mit Abendmahl … das ist mir wichtig, denn es sind bis zu zehn Leute da, … die mitten im Leben stehen und die das als wunderbaren Einstieg für ihren Tag nehmen. Angesichts des zahlenmäßig begrenzten Zuspruchs interpretiert er seine Bemühung als Realisierung des Prinzips des Apostel Paulus, auf vielerlei Weise einige zu gewinnen.

Nach seiner Einschätzung gibt es in seinem Pfarrgebiet eine Unzahl von Milieus, weil hier eine gute Industrie ist. Herr Falck versucht auf diese Pluralitätslage von Lebensstilen ästhetisch angemessen dadurch zu reagieren, dass er den Schwerpunkt seiner Gottesdienstangebote auf den Typus Thomasmesse setzt. Mit deren Einführung hat er hier gleich angefangen, nachdem er sie bereits während seines Vikariats kennen und schätzen gelernt hatte. Nach seinem Urteil erreichen wir mit der Thomasmesse Milieus, die wir sonst nicht erreichen. Auf die Frage nach einer möglichen freikirchlichen Konkurrenz und nach dem Verhältnis zur Freikirche wie auch zu den katholischen Geschwistern findet Franz Falck die sehr freundlich-fromme, in der Sache unspezifisch bleibende Formulierung, es sei ein ganz gutes, versöhntes Miteinander.

Bei seiner sich bewusst religionspädagogisch verstehenden und mit der Bibliolog-Methode operierenden Konfi-Arbeit ist Herrn Falcks Ausgangsperspektive, dass die Konfi-Arbeit doch die eine einzige Stelle ist, wo in der Gesellschaft wirklich mal alle beieinander sind. Dabei sieht er sie nicht als so etwas wie freizeitfüllende Jugendarbeit, denn das, was ich von denen erwarte, das sie können sollen, ist schon nicht ganz ohne. Für sein Angebot schwebt ihm methodisches Feuerwerk vor, um allein über die Methode zu zeigen, der Gegenstand ist so faszinierend, da könnt ihr euch gar nicht ausklinken.

Demgegenüber empfindet er die Kasualgespräche und deren Vorbereitungen als heute sehr viel anstrengender, sehr viel zeitaufwendiger. So fallen ggf. für Trauungen mit Menschen aus kirchenfernen Familien drei Traugespräche an, davon eines mit mindestens zwei Stunden; zuzüglich der Zeit für den Austausch von 20 mails. Sein dafür nicht verweigerter Aufwand ist getragen von dem Versuch, mit einer bestimmten Symbolik den Menschen nahe zu kommen, dass es nicht meine Symbolik ist, sondern deren Symbolik.

Die sich in ihrer Identität als gleichsam lutherisch kontrolliert pietistisch verstehende Person Franz Falck ist im Blick auf die traditionelle Ästhetik des Kirchlichen offen bzw. ausgesprochen anpassungswillig. Zumindest gilt das im Blick auf seine Konfis: Und auch DA versucht man immer wieder jedes Jahr was Besonderes zu bieten. Wo es mal gelungen war, war im Jahr 2007 zu sagen: »Konfirmand 007 – mit der Lizenz zum Glauben«. Und dann hat der Organist die James-Bond-Melodie auf die Orgel gebracht. Das war Sahne, ja. DAS sind so die Highlights.

Im Blick auf spezielle Zielgruppen-Arbeit berichtet der Pfarrer Falck offen auch von vergeblichen Versuchen. Eine Zeit lang hatte er, weil mir z. B. die Theologie ein großes Anliegen ist, noch die Hoffnung gehabt, ich könnte damit irgendwelche hinterm Ofen hervorlocken mit Glaubenskursen. Einer lief mit knapp zehn Leuten ganz gut, der nächste hatte nur zwei Leute. Dezidiert positiv sieht er ein anderes Feld seiner (kirchen-)gemeindeöffentlichen Tätigkeit: Mit dem Männerstammtisch gehe ich in eine Kneipe. Das ist mir wichtig. Dass eben nicht alles im Gemeindehaus stattfindet unterm Kreuz. Als Mann unter Männern zu sein, das ist in so einer Kirche auch noch eine spannende Erfahrung. Von daher sind das schon auch Anliegen.

6.6 Zum Professionsprofil von Pfarrer Falck

Herr Falck erscheint als ein vom Typus des liebevoll-nüchternen, sozialkommunikativ begabten Motivators und Organisators vielfältiger Gemeindeaktivitäten geprägter Mensch. Er unterscheidet sich im Blick auf seine Praxis prägnant vom Typ eines den Modus von Erweckungspredigten bevorzugenden Amtsinhabers, der seiner leidenschaftlichen Liebe zur Gegenwart unserer Kirche in eben dieser Attitüde Ausdruck zu verleihen versuchen würde. Vielmehr zeigen seine Selbstbeschreibungen Indizien eines religions- und religiositätsästhetisch offenen Pfarrer-Habitus. Der ist zwar vermutlich auch von einem – allerdings auf die eigene Person begrenzt bleibenden – dezidierten Bemühen um eine fromme Lebensgestaltung geprägt. Aber von seiner amtlichen Pfarrer-Position aus versucht er, die Mitglieder seiner Gemeinde (etwa im Konfirmandenunterricht, in den Thomasmessen, bei Kasualien oder im Konfirmationsgottesdienst) in je ihren eigenen Symbolwelten aufzusuchen und anzusprechen. Welche theologische Argumentatorik und Semantik und welcher deutende Bezug zu dem heute dominierenden, tendenziell zumindest szientistisch geprägten Welt- und Lebensverständnis dabei von ihm realisiert wird, kann aus seinen berufsbiographischen Selbstauslegungen natürlich nicht geschlossen werden. Aber eine große Differenz zwischen kommunikativ und perspektivisch zugewandtem Wollen einerseits und sprachlich wie theologisch abgehoben-frommem Predigen andererseits würde wohl den Praxistest am Männerstammtisch in der Kneipe langfristig kaum überstehen.

Sein Eingebundensein in den immer noch überwiegend fraglos vorhandenen Rahmen institutionell-staatskirchenrechtlich abgesicherter Regelungen und Ausdruckstraditionen erlaubt ihm, professionspraktisch zu unterscheiden: Zwischen seiner individuellen Verankertheit in einem zwar an einer Art kontrolliertem Pietismus orientierten, aber wohl eher nur im privaten Raum Ausdruck findenden Frömmigkeitsverhalten auf der einen Seite; und andererseits den vielfältigen, nach den Symboliken der Leute fragenden Aktivitäten, z. B. in Gestalt der Thomasmessen oder eben auch für eine kleine Abendmahls-Gottesdienstgemeinde morgens früh um 6.00 Uhr. Die tragen dazu bei, dass er von Vielen als kommunikativ zugänglich erlebbar sein dürfte. Beide Elemente persönlich miteinander zu vereinbaren, aber berufspraktisch nicht zu vermengen, macht seinen Professions-Habitus aus.

Insgesamt scheint Herr Falck dem Typus von Pfarramtspraxis zu entsprechen, der sorgfältig und sehr arbeitsaktiv den gegebenen Kirchengemeindebestand pflegt. Dabei kann er für seine Person auf jene Selbstreflexionsfähigkeiten im Blick auf eigene Persönlichkeitsstrukturen zurückgreifen, die er bereits im Studium im Kreis der Pfarrergebetsbruderschaft hat einüben können. Es könnte gut sein, dass von dieser Differenz zwischen Person und Profession bis heute sein Auftreten als »pastor loci« profitiert.

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