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2. ZUM FORSCHUNGSINSTRUMENT

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Wenn an Pfarrerinnen und Pfarrer Fragen nach der je konkreten Gestalt des Spannungsdreiecks: »individuell gelebte praxis pietatis/Spiritualität theologische Überzeugung erstrebte/faktische Berufsschwerpunkte« in direkter Weise gestellt würden, sähen sie sich wahrscheinlich mit der Aufgabe einer Analyseleistung konfrontiert, bei der auch sie selber nicht klar entscheiden könnten, ob sie bei ihrem Bemühen um Antworten die Analyse einer objektiven Situation oder einer (womöglich defizitär, gar schuldhaft empfundenen) subjektiven Befindlichkeit vornehmen bzw. vornehmen sollten. Im Ergebnis würde dann mit der Gefahr gerechnet werden müssen, dass zu allererst Rechtfertigungsbedürfnisse die Kommunikationsinhalte und Modi ihrer Vermittlung prägen, nicht aber die eigentlich angestrebte, unbeschwert und unbefangen vorgetragene Auskunft über die berufliche Existenz gegeben wird.

Deshalb muss nach einem Zugangsmodus zu den Gesprächsteilnehmern gesucht werden, der diese davon entlastet, die nicht zur Untersuchung anstehenden Systematisierungsanforderungen zu explizieren. Der davon entlastete Zugang kann über das narrative Interview erreicht werden (SCHÜTZE 1983). Für das hier präsentierte Forschungsprojekt wurde als Eingangsstimulus für die berufsbiographische Erzählung die Frage gewählt: »Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Pfarrerin/Pfarrer geworden sind?«. Auf dem Weg einer auf diese Frage reagierenden Erzählung und damit der intuitiven, auch emotionalen Rekonstruktion des eigenen Blicks auf diese Entwicklungsgeschichte hin kommen dann i. d. R. jene Dimensionen der beruflichen Selbstauslegung zum Vorschein, die als die tiefengründig wirkenden und darin eben besonders bestimmenden Motivations- und Steuerungskräfte auch der derzeitigen Befindlichkeit bzw. Positionierung in dem oben benannten Spannungsdreieck zu verstehen sind. Denn im Erzählen wird die Person in Zugzwänge involviert, die sie dazu bewegen, ihr faktisches Handeln gemäß dem Erinnerungsstrom darzustellen, und zwar hinsichtlich der Gestaltschließung, der Relevanzfestlegung und der detaillierten Darstellung der erlebten Ereignisse (SCHÜTZE 1984). Neben der auf die berufsbiographisch-erzählerische Selbstauslegung abzielenden Eingangsfrage ist für die Interviews ein mehr oder weniger flexibel gehandhabter Leitfaden für anzusprechende Erzählpunkte zum Einsatz zu bringen.

Als Analyseinstrument braucht es also ein Verfahren, das, methodisch reguliert, die Gefahren einer Subsumptionslogik zu vermeiden hilft – einer Logik, die unvermeidlich jedem Beobachter dadurch eignet, dass er, gleichsam automatisch und unbewusst, die ihm eigene Weltsicht auch zur Aufmerksamkeits- und Relevanzbestimmungsfolie für berichtete und/oder beobachtete Erzählfakten nimmt. Stattdessen sollen möglichst nur der Erzählende und sein Erzählaufbau in seiner Semantik und Faktenidentifizierung zu Wort kommen. Besonders die theoretisch fundierte Analysetechnik der Objektiven Hermeneutik nach ULRICH OEVERMANN bietet sich in Verbindung mit der Erzählanalyse nach FRITZ SCHÜTZE dafür an. Sie ist bereits in den genannten ReligionslehrerInnen-Studien mit guten Ergebnissen zur Anwendung gekommen.

Beiden methodischen Zugängen gemeinsam ist die grundlegende Unterscheidung der beiden Ebenen (a) intentionaler und (b) latenter Sinnstrukturen und deren Bezogenheit aufeinander. Ihre Forschungsintentionen aber sind verschieden ausgerichtet: Die Objektive Hermeneutik fragt nach latenten Sinnstrukturen im Verhältnis zum davon zu unterscheidenden subjektiv intentional gemeinten Sinn. Über die Bestimmung der Differenz dieser beiden Ebenen kann die Erfahrung, das Deuten und Handeln des Subjekts und damit die Fallstruktur rekonstruiert werden. Und es kann nach den Regeln gesucht werden, die die Erfahrungen und Deutungen in Handeln transformieren. Entscheidend ist die Dialektik zwischen Deuten und Handeln: Es ist das Handeln im Feld einer Lebenspraxis, das erst jene Deutungsmuster generiert, etwa in Gestalt habitueller Dispositionen und Überzeugungen, die wiederum die Rahmung abgeben für das konkrete Handeln eines Individuums.

Das Verfahren der Objektiven Hermeneutik analysiert nicht die gesamte lebensgeschichtliche Erzählung, sondern bezieht sich nur auf einzelne Textabschnitte einer Lebensgeschichte. Damit wird die das individuelle Handeln bedingende »Fallstruktur« einer Lebensgeschichte und deren Reproduktion rekonstruiert, nicht aber auch die Erfahrungs-Aufschichtung und die innere Entwicklung der Zusammenhänge von Erleben, Deuten und Handeln. Diese Aspekte werden erst über das biografische Instrument nach Schütze herausgearbeitet: Die Erzählanalyse arbeitet auf methodisch ähnliche Weise die kognitiven Strukturen der Erzählaufschichtung, besonders der Prozessstrukturen der Lebensgeschichte, heraus. Sie analysiert die gesamte (vorgetragene) Erzählung, die als eine Einheit betrachtet wird. In der Auswertung von biografischen Auskünften ergänzen sich beide Verfahren und stellen ein Maximum von Einsichtsmöglichkeiten zur Verfügung, die nicht das Produkt von Folgerungen aus unausgesprochenen, aber latent wirksamen Vorannahmen des/der Interpreten sind.

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