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Ein Direktor

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Indessen war mein einstiger Englischlehrer durch Staats- und Parteitreue zum Stellvertretenden Direktor und bald zum obersten Chef der Schule aufgestiegen. Er erteilte einen strikt am historischen Materialismus, das heißt der marxistischen Geschichtsinterpretation orientierten, aber in den Fakten und seiner inneren, glasklaren Logik exzellenten Geschichtsunterricht. Außerdem sorgte er für eine lückenlos staatstreue Orientierung der Schule und schonte sich dabei nicht. Für unsere Entwicklung schuf er auch die dazu nützlichen Verbindungen. Dabei kam ein Zufall gelegen.

Einige Schüler der 12. Klasse hatten an den tschechischen Schriftsteller deutscher Sprache, F.C. Weiskopf, geschrieben, der sich damals gerade in der Volksrepublik China aufhielt. Weiskopf antwortete und bald hielt er bei uns eine Schriftstellerlesung. Uns alle faszinierte seine Fähigkeit, aus seinem Leben ganz unkompliziert zu berichten und dabei vom freien Plauderton fast unmerklich auf den Text seiner veröffentlichten Erzählungen überzuleiten. Das festigte die Beziehungen zu Weiskopf, den ich heute noch gern lese, und zur Tschechoslowakei (ČSR, später ČSSR). Bald erhielt unsere Schule den ehrenvollen Namen „Klement Gottwald“ (des Staatspräsidenten und Vorsitzenden der KP der ČSR) und sie war „Schule der deutsch-tschechoslowakischen Freundschaft“.

Der Botschafter dieses Landes war bei den meisten Schulfesten freundlicher Ehrengast und man konnte bei uns auch Tschechisch lernen. Die Nationalhymne der Tschechoslowakei mit den damaligen Texten (ein Teil für Tschechien, der die Schönheit der Natur lyrisch besingt, danach eine Passage – der Slowakei gewidmet – die an den antifaschistischen Aufstand der Slowaken 1944 erinnern soll.) kann ich heute noch. Text und Melodie des tschechischen und des jetzt getrennten slowakischen Teils sind gleich geblieben.

Der Direktor tat noch etwas anderes für unsere Bildung. Aus seiner Jugendzeit kannte er einen Arbeiter des nahen Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) Schöneweide, der jetzt auch ehrenamtlich Rudertrainer war. Dem bot er Gelegenheit, an unserer Schule für seinen Sport zu werben und bald war fast unsere halbe Klasse, auch ich, in der Sektion Rudern der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Lokomotive RAW Schöneweide. Das kräftigt die Arme: In dieser Zeit gab es für mich keine klemmenden Schiebetüren der Berliner S-Bahn. Spätestens beim zweiten Versuch waren sie immer offen, auch wenn Tunichtgute sie von innen heimlich zu blockieren versuchten. Die meisten Mitschüler ruderten aber nicht lange. Doch einmal auf den Geschmack gekommen, wechselten einige dann nur die Sportart – ich ging zur Leichtathletik und war ein leidlicher Mittelstreckenläufer – andere wechselten auch bloß den Verein.

Zweierlei habe ich von da mitgenommen: Erstens, wer im Sommer auf dem Wasser Spaß haben will, muss im Winter bei der Bootspflege mitmachen. Seitdem habe ich was gegen Leute, die im Wald zwar jagen, aber sich vor der winterlichen Wildfütterung und anderen dazu gehörenden Arbeiten drücken wollen. Zweitens habe ich mir etwas Freude bewahrt, die Welt vom Wasser aus zu sehen und verdanke dem einige schöne Bootstouren, zuletzt mit 53 Jahren, mit dem Paddelboot auf den Seen Mecklenburgs.

Hygienearzt in zwei Gesellschaften

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