Читать книгу Hygienearzt in zwei Gesellschaften - Dietrich Loeff - Страница 8
Die mütterliche Seite
ОглавлениеMeine Mutter stammte von Bauernfamilien in Niederschlesien. Die Großmutter war aus Deutsch-Nettkow, ihre Eltern waren Mittelbauern. Das Dorf heißt heute Nietkowice und liegt ungefähr in der Mitte zwischen Krossen (Krosno Odrzańskie) und Grünberg (Zielona Gora), direkt an der Oder. Meine Großmutter starb im Winter 1945 an den Spätfolgen der Flucht mit ihren Strapazen. Mein Großvater mütterlicherseits stammte aus dem nahen Dorfe Beutnitz. (Bytnica). Seine Eltern waren ebenfalls Bauern, er aber schlug eine Beamtenlaufbahn ein. Da er 1937 gestorben ist, kannte ich ihn nicht.
Meine Mutter kam 1904 in Potsdam zur Welt, doch zogen meine Großeltern sehr bald mit ihr nach Berlin. Sie war sprachbegabt und eine gute Zeichnerin. Ein Hochschulstudium hätte sich angeboten, doch reichte das Beamtengehalt meines Großvaters nicht weit und die Ehefrauen von Beamten durften damals nicht arbeiten, weil das den Staat blamiert hätte, der seine Beamten schlecht bezahlte. Deshalb wurde nur dem jüngeren Bruder meiner Mutter, Walter, eine gediegene Ausbildung ermöglicht, der ein guter Techniker wurde und an den Anfängen der deutschen Fernsehindustrie in den dreißiger Jahren beteiligt war.
So wurde meine Mutter Schreibkraft, geübt in Stenografie und Schreibmaschinenarbeit. Durch ihre Umsicht arbeitete sie sich zur Sekretärin herauf und war bis 1933 im preußischen Innenministerium tätig. Als die Nazis an die Macht kamen, verlangten sie von ihr, aus der SPD auszutreten. Das lehnte sie ab. Daraufhin wurde sie ohne weitere Umstände aus dem Innenministerium in eine Krankenkasse versetzt. Das betreffende Schriftstück befindet sich noch in meinem Besitz. Der Empfang am neuen Arbeitsplatz war bemerkenswert: „Ach deswegen sind Sie nach hier umgesetzt worden? Na, dann werden wir gut zusammenarbeiten“, empfing sie ihr neuer Chef. Meine Mutter hat sich dann in die sehr andere Aufgabe rasch eingelebt, erforderliche Prüfungen gut gemeistert und ihre Tätigkeit auch nach dem Kriege und längerer Krankheit ab 1950 fortsetzen können.
Anderen Beschäftigten des preußischen Innenministeriums ging es schlechter. Ein hochkarätiger Jurist, den sie kannte, Robert Kempner, wurde, weil er Jude war und auch öffentlich gegen die Nazis anschrieb, entlassen und drangsaliert. Er emigrierte voller Zorn in die USA. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen war er Stellvertreter des Chefanklägers der USA, Robert H. Jackson und hat sich auch danach – wieder in Deutschland lebend – intensiv für die Bestrafung der Schuldigen und die Entschädigung der Opfer eingesetzt.