Читать книгу Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie - Dirk Kellner - Страница 55
3.5.2.1 Die Unterscheidung von Ekklesia und Kircheninstitution und die Aufgabe des Gemeindeaufbaus
ОглавлениеDer «Schlüssel zur Bewältigung zentraler ekklesiologischer Fragen sowie für eine theologische Grundlegung des Gemeindeaufbaus» ist nach Fritz und Christian A. Schwarz die «konsequent durchgehaltene Unterscheidung zwischen Kirche und Ekklesia».[652] Im Anschluss an Emil Brunner, Hellmut Gollwitzer und Hans-Joachim Kraus sehen sie eine kategoriale Differenz zwischen der Kirche als einer durch formale Rechtsordnungen geprägten Institution und der Ekklesia als einer personalen Gemeinschaft.[653] Beide Größen seien in ihrem Wesen fundamental verschieden und dürfen nicht miteinander identifiziert werden. Die Ekklesia sei «eine personale Gemeinschaft mit Jesus und mit Schwestern und Brüdern, deren Glaube in der Liebe tätig ist».[654] Ihre elementaren Grundlagen ergeben sich aus dem normativen Konsens des neutestamentlichen Zeugnisses: Glaube («personale Gemeinschaft mit Jesus»), Gemeinschaft («personale Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern») und Dienst («Glaube, der in der Liebe tätig ist»). Diese drei Wesensmerkmale seien für die Kirche als Institution aber gerade nicht konstitutiv. Die Institution funktioniere auch noch, «wenn der Glaube ihrer Mitglieder nachläßt oder gar verschwindet»[655], wenn in ihr die Bruderschaft nicht gelebt wird und die Mitglieder in einer passiven Konsumentenrolle bleiben.
Die Intention dieser Unterscheidung sei nicht eine pauschale Institutionenkritik, sondern die theologische Präzisierung der Aufgabe des Gemeindeaufbaus. Sie ziele nicht auf die Trennung von unvereinbaren Prinzipien, sondern auf die rechte Zuordnung zweier nicht identischer, aber in konstruktivem Verhältnis stehender Größen. Denn im Gegensatz zu Emil Brunner sehen Fritz und Christian A. Schwarz die Institutionalität der Kirche nicht prinzipiell als «Geist-substitut» und damit im direkten Widerspruch zum Wesen der Ekklesia als «Gemeinschaft des Geistes».[656] Die Institution Kirche sei vielmehr der notwendige Rahmen, dessen Aufgabe und geistliche Legitimation gerade darin liege, mit ihrem Recht und ihren Ordnungen dem Ereigniswerden und Gestaltgewinnen der Ekklesia zu dienen. Erst wenn sich die Kircheninstitution aus sich selbst heraus verstehe, gerate sie in einen Widerspruch zum Wesen der Ekklesia. Das «eigentliche Mißverständnis der Kirche» liege daher nicht schon «in der Herausbildung der Institution, sondern in der Identifikation dieser Institutionen mit Ekklesia»[657]. Dies sei der Fall, wenn die Kirche die Mitgliedschaft in ihrer Institution mit der Gliedschaft am Leib Christi gleichsetze. Gegenüber diesem «Illusionismus der Kirche»[658] fordern Fritz und Christian A. Schwarz einen «institutionellen Realismus»[659], der die Kircheninstitution in ihrer relativen Funktion wahrnimmt, äußerer Ermöglichungsgrund der Ekklesia als der wahren Gemeinde Jesus Christi zu sein.
Im Gemeindeaufbau gehe es daher weder um die Stabilisierung der Kirche noch um ihre Erneuerung oder Umwandlung in die Ekklesia. Denn als Institution könne die Kirche niemals Ekklesia sein, «selbst dann nicht, wenn in ihr noch so intensiv geistlich gelebt werden sollte»[660]. Ziel und Aufgabe des Gemeindeaufbaus sei vielmehr das «Ereignis- und Gestaltwerden von Ekklesia» innerhalb, notfalls auch außerhalb der Kirche.[661] Alles Handeln sei darauf auszurichten, «daß möglichst viele Menschen in der Kirche Glieder der Ekklesia werden»[662]. Die Institution könne und müsse zwar Institution bleiben, werde aber nicht in die Eigengesetzlichkeit entlassen. Sie sei vielmehr dem Kriterium ihrer Nützlichkeit zu unterwerfen, das heißt, die Legitimität ihrer gegenwärtigen Gestalt müsse anhand ihrer Funktion gemessen werden, dem Ereignis der Ekklesia zu dienen. Daher seien «alle Faktoren, die das Werden von Ekklesia behindern, aus der Kirche auszumerzen»[663]. Die Gleichsetzung von Kirche und Ekklesia verhindere die Wahrnehmung dieser Aufgabe, insofern sie einerseits die Ekklesia als durch die Kircheninstitution garantiert und bereits vorhanden proklamiere und andererseits der Institution eine unveränderliche, weil scheinbar geistlich begründete, Ordnung zuspreche.