Читать книгу Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie - Dirk Kellner - Страница 63
3.5.4.4 Charisma als Qualitätsmerkmal und Wachstumsfaktor
ОглавлениеEin grundlegendes biotisches Prinzip, das sowohl in der Natur wie in der Gemeinde Geltung habe, ist nach Christian A. Schwarz die Relation von Qualität und Quantität. Schwarz grenzt sich dabei bewusst von einem rein quantitativen Ansatz des Gemeindeaufbaus ab, der nur nach numerischem Zuwachs von Gottesdienstbesuchern oder Gemeindemitgliedern frage.[768] Er wählt stattdessen den qualitativen Ansatz; seine Basis ist die «Hypothese, daß Wachstum in der Qualität auch quantitative Auswirkungen hat»[769]. Quantitatives Wachstum ist nicht das «strategische Ziel», sondern «eine natürliche Auswirkung»[770] und ergibt sich «von selbst», wenn die qualitativen Wachstumsbedingungen gegeben sind. Die «gemeindekybernetische Strategie» fragt folglich nach den «Basisprinzipien» oder «Qualitätsmerkmalen», die quantitatives Wachstum ermöglichen und fördern. Zu diesem Zweck hat das von Schwarz geleitete Ökumenische Gemeinde-Institut (ab 1996: Institut für Natürliche Gemeindeentwicklung) in den Jahren 1994–1996 eine empirische Untersuchung von über 1000 Gemeinden in 32 Ländern auf allen fünf Kontinenten durchgeführt.[771] Das Forschungsprojekt erhebt den Anspruch, durch die Auswertung von Fragebögen und durch den Vergleich der Ergebnisse von wachsenden und nicht-wachsenden Gemeinden auf wissenschaftlichem Wege die wesentlichen qualitativen Faktoren ermittelt zu haben, durch die sich wachsende und stagnierende oder gar schrumpfende Gemeinden signifikant voneinander unterscheiden. Eines der ermittelten acht «Basisprinzipien» bzw. «Qualitätsmerkmale», für die Schwarz universale Gültigkeit «für jede Art von Gemeindeaufbau in jeder Situation»[772] proklamiert, sei die «gabenorientierte Mitarbeiterschaft»[773]: die Entsprechung von Gabe und Aufgabe. Je mehr Christinnen und Christen ihren Gaben entsprechend in der Gemeinde mitarbeiten, desto höher sei der «Qualitätsindex» dieses «Qualitätsmerkmals». Die empirische Untersuchung habe als «Nebenergebnis» gezeigt, dass keines der anderen acht «Qualitätsmerkmale» so große Auswirkungen auf das persönliche und gemeindliche Leben hätte. So würden bei Gemeinden mit einem allgemein hohen «Qualitätsindex» etwa 70% der Gemeindeglieder der Aussage zustimmen: «Die Aufgaben, die ich in der Gemeinde wahrnehme, entsprechen meinen Gaben.» In Gemeinden mit niedrigem «Qualitätsindex» seien dies nur etwa 10%.[774]
Christian A. Schwarz geht nun davon aus, dass dasjenige Qualitätsmerkmal, das in einer Gemeinde am wenigsten entwickelt ist, quantitatives Wachstum und qualitative Fortschritte auf anderen Gebieten verhindert. Ein weiterer Baustein der «gemeindekybernetischen Strategie» ist daher die «Minimumfaktor-Strategie»[775]. Sie basiert auf der Annahme, dass durch eine Gemeindeanalyse die Ausprägung jedes einzelnen Qualitätsmerkmals mathematisch genau als «Qualitätsindex» erfasst werden kann, um den «Minimumfaktor» einer Gemeinde zu finden. Die Praxis der natürlichen Gemeindeentwicklung kann sich nun auf das entsprechende Qualitätsmerkmal konzentrieren und gezielt um eine Verbesserung bemühen. Liegt der «Minimumfaktor» im «Qualitätsmerkmal» der «gabenorientierten Mitarbeiterschaft», hat der Gemeindeaufbau an dieser Stelle anzusetzen, mittels Gabentest die Charismen der Mitarbeitenden ausfindig zu machen und die Zuordnung zu entsprechenden Aufgaben kritisch zu überprüfen.