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8.Ein Fall zum Üben

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25Übungsfall 4: „Kaufhausbrand-Fall“

In einem Stuttgarter Kaufhaus ist ein Großbrand ausgebrochen. Das Feuer hat sich bereits bis zum 6. Stockwerk vorgefressen. Polizei und Feuerwehr sind längst im Einsatz und haben Kunden und Personal bereits evakuiert. Nur im 6. Stock befinden sich noch zwei Kunden namens A. und B. Sie haben die Gefahr zu spät erkannt. Nun sind sämtliche Fluchtwege abgeschnitten. Die Aufzüge funktionieren nicht mehr, die Treppenhäuser sind voller Rauch und Qualm. Zufällig befindet sich an diesem Tag außen am Gebäude ein Baugerüst, das derzeit zum Zwecke der Fassadenrenovierung angebracht ist. A. und B. flüchten in ihrer Not auf ein Gerüstbrett vor einem Fenster im 6. Stock, wo sie auf das Sprungtuch der Feuerwehr warten. Allerdings ist das Brett schon ziemlich angekohlt. A. bemerkt, dass das Brett auseinander zu brechen droht und das Gewicht von zwei Personen nicht mehr länger tragen kann. In seiner Todesangst stößt A. den B. vom Brett. B. stürzt in die Tiefe und schlägt unten auf der Straße auf und ist sofort tot. A. dagegen wird kurz darauf von der Feuerwehr gerettet.

Hat sich A. strafbar gemacht?

In einer Klausurlösung sollte man keine stichpunktartige Lösungsskizze abliefern, sondern eine Lösung, die – wenn auch präzise und knapp gehalten – gutachtenmäßig ausformuliert sein sollte.

26Dies könnte im vorliegenden Fall etwa so aussehen:

Gutachtenmäßige Lösung des „Kaufhausbrand-Falles“

–Strafbarkeit des A. gem. § 212 I?

Dadurch, dass A. den B. vom 6. Stock in die Tiefe gestoßen hat, könnte er sich eines Totschlages gem. § 212 I strafbar gemacht haben.

1. Tatbestand

a) Es müsste zuerst der objektive Tatbestand des § 212 I erfüllt sein. § 212 setzt die Tötung eines anderen Menschen voraus. Der Todeserfolg ist bei B. eingetreten. Indem A. den B. in die Tiefe stößt, verursacht er dessen Tod. A. hat also den B. i. S. d. § 212 I objektiv getötet.

b) A. müsste weiterhin auch vorsätzlich getötet haben. Vorsatz ist Wissen und Wollen aller Tatumstände. Für § 212 reicht grundsätzlich die schwächste Vorsatzform, der bedingte Vorsatz (sog. Eventualvorsatz) aus. Es genügt, dass A. den Todeseintritt für möglich hält und den Tod des B. billigend in Kauf nimmt. Jeder Mensch muss damit rechnen, dass ein Mensch, der vom 6. Stockwerk herabstürzt, stirbt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass A. es zumindest für möglich, wenn nicht sogar für wahrscheinlich hält, dass B. durch den Sturz getötet wird. Zwar geht es ihm in erster Linie darum, sein Leben zu retten, doch nimmt er dabei den Tod des B. als notwendige Nebenfolge in Kauf. Er findet sich zumindest damit ab, dass B. dabei zu Tode kommen kann. Das reicht für den bedingten Vorsatz aus. A. handelte somit auch vorsätzlich.

2. Rechtswidrigkeit

Weitere Voraussetzung einer Strafbarkeit des A. wäre, dass die Tötung des B. auch rechtswidrig ist. Die Rechtswidrigkeit könnte hier möglicherweise durch Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen sein.

a) Zu denken wäre an § 32 (Notwehr).

Voraussetzung wäre zunächst das Vorliegen der objektiven Merkmale des § 32 II, insbesondere das Vorliegen eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs (sog. Notwehrlage) seitens des B. Bei B. liegt jedoch überhaupt kein Verhalten gegenüber dem A. vor. B. steht lediglich in Todesangst neben A. auf dem Gerüst und wartet auf die Rettungsmaßnahmen der Feuerwehr. Von einem Angriff auf A. kann also nicht die Rede sein. Schon aus diesem Grunde scheidet § 32 somit aus.

b) Weiter zu prüfen wäre § 34 (rechtfertigender Notstand).

Eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben des A. liegt hier zweifellos vor, da A. unverzüglich vom Baugerüst in Höhe des 6. Stocks abzustürzen droht (akute Lebensgefahr). A. hat den B. vom Gerüst gestoßen, um sein eigenes Leben zu retten, also um die akute Gefahr von sich abzuwenden (subjektives Rechtfertigungselement). Allerdings setzt § 34 eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern voraus. Vor allem muss das geschützte Interesse (Rechtsgut) das beeinträchtigte (= verletzte) wesentlich überwiegen. Abzuwägen ist zwischen dem Leben des A., das durch die Tat geschützt werden soll, und dem Leben des B., das durch die Tat beeinträchtigt wird. Die deutsche Rechtsordnung geht aber vom Grundsatz des „absoluten Lebensschutzes“ aus, wonach jedes Leben als absolut gleichwertig anzusehen ist. Es darf nicht zwischen den gleichrangigen Rechtsgütern (Leben) relativiert werden. Aus dem Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 GG) folgt, dass Menschenleben nicht gegeneinander abgewogen werden dürfen. Das Leben des B. ist also keinesfalls weniger wert als das Leben des A. Jedenfalls überwiegt das Leben des A. nicht das Leben des B., und schon gar nicht „wesentlich“, wie § 34 dies fordert. Aufgrund der Güterabwägung ist § 34 somit zu verneinen.

c) Da keine Rechtfertigungsgründe vorliegen, handelte A. somit auch rechtswidrig.

3. Schuld

a) Schuldfähigkeit und Unrechtsbewusstsein können ohne anders lautende Sachverhaltsangaben bei einem normalen erwachsenen Menschen als gegeben unterstellt werden.

b) Die rechtswidrige Tat des A. könnte jedoch durch § 35 entschuldigt sein. A. befand sich in einer anders nicht abwendbaren Lebensgefahr, da das Brett unmittelbar zu zerbrechen drohte. Die oben festgestellte rechtswidrige Tötung beging A., um dieser Todesgefahr zu entgehen. Da auch die Einschränkungen des § 35 I Satz 2 hier nicht eingreifen, ist A. durch § 35 entschuldigt. A., handelte also nicht schuldhaft.

Ergebnis: A. hat sich somit nicht strafbar gemacht.

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