Читать книгу Strafrecht für Polizeibeamte - Elmar Erhardt - Страница 43
2.Kausalitätstheorien
Оглавление44a) Die Äquivalenztheorie (Bedingungstheorie).. Diese Theorie wird bis in die jüngste Zeit von der Rspr. vertreten und stellt nach wie vor die ganz h. M. dar.4 Sie prüft die Kausalität nach der sog. conditio sine qua non-Formel,5 wonach jede Bedingung (Handlung) dann kausal ist, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Alle Bedingungen in diesem Sinne sind absolut gleichwertig. Damit geht die Bedingungstheorie von der kausalen Gleichwertigkeit (Äquivalenz) aller Faktoren, die einen Erfolg bewirkt haben, aus. Insoweit kann nicht zwischen nahen und fernen oder zwischen typischen und atypischen oder rein zufälligen Faktoren unterschieden werden. Hierin zeigt sich die Schwäche der Äquivalenztheorie, die in ihrer uferlosen Weite liegt, weil sie nicht in der Lage ist, ganz entfernt liegende Ursachen auszuschließen. So ist die Zeugung eines Kindes, das 30 Jahre später einen Menschen ermordet, eine nicht hinweg denkbare (kausale) Bedingung für den Tod dieses Menschen.
45b) Die Adäquanztheorie.. Sie baut auf der Äquivalenztheorie auf, scheidet aber alle Ursachen aus, bei denen es nicht vorhersehbar und nach der allgemeinen Lebenserfahrung völlig unwahrscheinlich ist, dass sie zu einem Erfolg dieser Art führen. Nach ihr wird die Kausalität verneint, wenn der Erfolg auf einem regelwidrigen, atypischen Kausalverlauf, d. h. auf einer ganz ungewöhnlichen und unwahrscheinlichen Verkettung von Umständen beruht, mit denen nach der Erfahrung des täglichen Lebens nicht zu rechnen war.
46c) Die Relevanztheorie.. Sie ist im Ergebnis der Adäquanztheorie weitgehend gleich, unterscheidet jedoch dogmatisch streng zwischen der Verursachungsfrage (Kausalität) und der objektiven Zurechnung des Erfolges. Bei der Feststellung der Kausalität geht sie von der Äquivalenztheorie aus. Die Relevanztheorie versucht jedoch, die uferlose Weite der Bedingungstheorie schon im objektiven Tatbestand einzuschränken (die Bedingungstheorie dagegen erst im subjektiven Tatbestand). Sie sagt, dass aus der kausalen Gleichwertigkeit (Äquivalenz) nicht auch ihre rechtliche Gleichwertigkeit folge. Die Kausalbedingungen müssen im Rahmen der Zurechnungsfrage auf ihre strafrechtliche Relevanz überprüft werden. Wichtigstes Kriterium der objektiven Zurechnung ist die objektive Vorhersehbarkeit. Danach entfällt bei regelwidrigen, atypischen Kausalverläufen die objektive Zurechnung, weil sie nicht objektiv voraussehbar sind. Die moderne „Lehre von der objektiven Zurechnung“ gilt heute in der Rechtswissenschaft als h. M.6 Nach ihr kommt der „objektiven Zurechnung“ die Aufgabe zu, die Weite der Äquivalenztheorie bereits im objektiven Tatbestand durch normative Kriterien einzugrenzen.
46aDie einzelnen Varianten des „Kausalitäts-Falles“ zeigen deutlich die Schwäche der Äquivalenztheorie auf, denn alle dort genannten Abwandlungen sind nicht wegdenkbare Bedingungen des jeweils eingetretenen Erfolges: a) Hätte A. nicht geschossen, wäre B. nicht verletzt worden und letztlich bei dem Unfall nicht ums Leben gekommen. b) Ohne Verletzung wäre B. nicht operiert worden und dann auch nicht wegen eines ärztlichen Kunstfehlers (z. B. Narkosefehler) verstorben. c) Dann hätte er auch keine infizierte Blutkonserve bekommen und wäre somit auch nicht daran gestorben. d) Gleiches gilt für die Wundinfektion und e) für das Verbrennen in der Klinik, denn ohne die Schussabgabe des A. wäre B. niemals in das Krankenhaus gekommen.
Trotz der genannten „Schwäche“ der Bedingungstheorie, die scheinbar in ihrer uferlosen Weite liegt, hält die Rspr. nach wie vor an ihr fest. Auch wenn die Adäquanz- und Relevanztheorie eine bestechende Logik für sich beanspruchen können, so hat doch die alte Äquivalenztheorie ein entscheidendes Argument für sich: Bei der Frage der Verursachung eines bestimmten Erfolges, also der Kausalität, geht es um das ewige naturwissenschaftliche Phänomen von Ursache und Wirkung („Was war zuerst da, die Henne oder das Ei?“). Eine erste Annäherung bzw. Filterung dieser Frage kann nur durch die Bedingungstheorie erfolgen. Die eigentliche Zurechnung leistet die Lehre von der objektiven Zurechnung schon im objektiven Tatbestand, die Rechtsprechung dagegen im Falle des Vorsatzdelikts bei der Frage nach der Vorstellung über den Kausalverlauf: Ist ein eventueller Irrtum über den Kausalverlauf wesentlich oder unwesentlich? Beim Fahrlässigkeitsdelikt wird die Zurechnung über das Kriterium der „objektiven Vorhersehbarkeit“ geklärt. Für die Justizpraxis und die Polizei ist die in st. Rspr. vertretene Bedingungstheorie maßgebend. Dabei bleibt festzuhalten, dass die von der Rspr. vorgenommene Einordnung von Zurechnungsproblemen auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes im Wesentlichen zu gleichen Ergebnissen kommt. Eine entsprechende Lösungsmethode zeigt der folgende Übungsfall.
47Übungsfall 9: „Bluter-Fall“7
Der beamtete Lehrer L. veranstaltet am Schulwandertag mit seiner Klasse eine Wanderung im Hochschwarzwald. Der Schüler S. ist schon mehrfach als unfolgsam aufgefallen. Als S. wieder eine Dummheit macht, reißt dem entnervten L. die Geduld. L., der sonst kein Anhänger der Prügelstrafe ist, versetzt dem S. eine kräftige Ohrfeige. Ein scharfkantiger Ring an seiner Hand verursacht eine blutende Platzwunde. Da S. an der seltenen Bluterkrankheit (Hämophilie) leidet, bei der der Körper keinen Blutgerinnungsstoff produziert, kommt die Blutung nicht zum Stillstand. Bis endlich ärztliche Hilfe in das unwegsame Gelände geholt werden kann, ist S. gestorben. L., der von der seltenen Krankheit des S. nichts gewusst hat, ist über die Folgen seiner Ohrfeige entsetzt.
Hat L. sich strafbar gemacht?
Lösungsskizze
Zur Strafbarkeit des L.
1. § 212 I (Totschlag)?
Tatbestandsmäßigkeit: Objektiv:
a) Handlung = Ohrfeige
b) tatbestandlicher Erfolg = Tod des S.
c) Kausalität: Ist die Handlung (Ohrfeige) für den Erfolgseintritt (Tod des S.) kausal?
Nach der Äquivalenztheorie (Bedingungstheorie) kann die Ohrfeige nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod des S. in seiner konkreten Gestalt (= Tod durch Verbluten) entfiele. Die Ohrfeige ist also conditio sine qua non (eine nicht hinwegdenkbare Bedingung) für den Erfolgseintritt, somit kausal. Weitere Voraussetzungen prüft die Bedingungstheorie (Rspr.) im objektiven Tatbestand nicht.
Nach der Adäquanztheorie wäre die Ohrfeige nicht adäquat kausal, da es außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt, dass durch eine schlichte Ohrfeige der Tod eines Menschen verursacht wird.
Nach der Relevanztheorie wäre die Ohrfeige zwar kausal, aber nicht objektiv zurechenbar, denn dieser atypische, irreguläre Kausalverlauf wäre schon objektiv nicht vorhersehbar.
Nach der Adäquanztheorie und der Relevanztheorie wäre die Prüfung des § 212 I damit beendet.
Tatbestandsmäßigkeit: Subjektiv:
Nur die Äquivalenztheorie kommt zur Prüfung des subjektiven Tatbestandes, muss aber im vorliegenden Bluterfall den Vorsatz verneinen mangels Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Denn das Vorliegen der höchst seltenen Bluterkrankheit liegt „völlig außerhalb dessen, was nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung noch in Rechnung zu stellen ist“.8
L. hat sich also nach keiner Meinung gem. § 212 I strafbar gemacht.
2. § 222 (Fahrlässige Tötung)?
Der Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts wird später ausführlich besprochen. Nur soviel sei vorweggenommen: Nach allen Meinungen gehört bereits zum objektiven Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts neben der objektiven Pflichtwidrigkeit auch die objektive Vorhersehbarkeit. Diese ist hier – wie bereits gezeigt – zu verneinen. L. hat sich also auch nicht gem. § 222 strafbar gemacht.
3. § 223 I (Einfache Körperverletzung)?
§ 223 ist problemlos zu bejahen. Es ist allenfalls darauf zu achten, dass es heute für einen Lehrer kein anerkanntes „Züchtigungsrecht“ als Rechtfertigungsgrund mehr gibt.
4. § 224 (Gefährliche Körperverletzung)?
Zwar käme der scharfkantige Ring objektiv aufgrund seiner konkreten Anwendungsart (als Schlaginstrument) als anderes gefährliches Werkzeug (Nr. 2) in Betracht, doch erscheint die Unterstellung eines entsprechenden Vorsatzes des L. eher zweifelhaft.
5. § 227 (Körperverletzung mit Todesfolge)?
§ 227 ist ein sog. erfolgsqualifiziertes Delikt (vgl. § 18), das aus einer vorsätzlichen Körperverletzung und einer dadurch fahrlässig verursachten Todesfolge zusammengesetzt ist. § 227 scheidet hier aus, da zwar die vorsätzliche Körperverletzung, nicht aber die fahrlässige Tötung zu bejahen ist (s. oben Ziff. 2).
6. § 340 (Körperverletzung im Amt)?
Auch diese Vorschrift ist erfüllt: L. ist als beamteter Lehrer Beamter und hat somit als „Amtsträger“ gehandelt und „während der Ausübung seines Dienstes“ und „in Beziehung auf seinen Dienst“ eine Körperverletzung begangen.
Ergebnis: L. hat sich wegen einfacher Körperverletzung gem. § 223 I und wegen Körperverletzung im Amt gem. § 340 strafbar gemacht.