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1.1 Staffellauf zum Kunden: Koordination in Supply Chains
Оглавление»The focus of supply chain management is on co-operation and trust and the recognition that, properly managed, the whole can be greater than the sum of its parts« (Christopher, 2016, S. 3).
Das Management von Supply Chains kann mit einem Staffellauf verglichen werden, wobei der Kundenauftrag das Staffelholz darstellt (Melzer-Ridinger, 2018, Melzer-Ridinger, 2007). Bei einem Staffellauf kommt es neben der individuellen Leistung der einzelnen Läufer insbesondere auf die Koordination bei der Übergabe des Staffelholzes an. Es ist darauf zu achten, dass z. B. kein Läufer das Staffelholz verliert oder ein Läufer vor der Staffelholzübergabe zu schnell oder zu langsam anläuft. Das Resultat – die Laufzeit – ist dann nicht die Summe der Einzellaufzeiten, sondern das Ergebnis des Zusammenspiels von Einzelläufen und koordinierten Staffelholzübergaben.
Usain Bolt (Jamaika) hält aktuell den Weltrekord im 100-Meter-Lauf mit einer Zeit von 9,58 Sekunden. Der im Jahr 2009 bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin aufgestellte Männer-Weltrekord entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10,44 Meter/Sekunde oder 37,58 km/h. Den aktuellen Weltrekord im 4-x-100-Meter-Staffellauf der Männer erzielte Jamaika (Nesta Carter, Michael Frater, Yohan Blake und Usain Bolt) im Jahr 2012 in London mit einer Zeit von 36,84 Sekunden. Dies entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10,86 Meter/Sekunde oder 39,09 km/h. Für 100 Meter benötigte die Staffel aus Jamaika im Durchschnitt 9,21 Sekunden und damit 0,37 Sekunden weniger als Usain Bolt bei seinem Weltrekord.
Auf Supply Chains übertragen bedeutet dies, dass die einzelnen Teilleistungen über alle Fertigungsstufen bzw. Lieferanten so aufeinander abzustimmen sind, dass ein Kundenauftrag (das Staffelholz) sach- und formalzielgerecht erfüllt (ins Ziel gebracht) wird. Betrachten wir beispielhaft einen Ausschnitt aus unserer Bier-Supply Chain, konkret den Weg von der Mälzerei über die Brauerei in eine Gaststätte und dann zum Endkunden ( Abb. 1-3).
An einem heißen Sommerabend sitzt ein Endkunde auf einem Bamberger Bierkeller und bestellt ein alkoholfreies Lagerbier. Leider bekommt er aber die Information, dass das alkoholfreie Lagerbier bereits ausverkauft ist – es liegt eine so genannte Out-of-Stock (OOS)-Situation vor.
Abb. 1-3: Betrachteter Ausschnitt aus der Bier-Supply Chain
In vielen Regionen von Franken, so auch in Bamberg, wird nicht »in den Biergarten«, sondern »auf den Bierkeller« gegangen. In der Vergangenheit, als Brauereien noch nicht mit technischen Kühlanlagen ausgestattet waren, nutzten die meisten Brauereien große Bierkeller zur Lagerung ihres Bieres. Da über dem Keller oftmals ein Schankbetrieb errichtet wurde, entstand die Redewendung »auf den Keller gehen«. Ein typisch fränkischer Bierkeller besteht auch heute noch aus dem Kellerhaus am Eingang zum Lagerkeller, aus welchem Getränke und Speisen gereicht werden und einem mit Bierbänken bestückten Bereich.
Aus Sicht des Managements ist einerseits von Interesse, wie der Endkunde auf eine Out-of-Stock-Situation reagiert. Andererseits – oder insbesondere – ist jedoch relevant, warum diese Situation eingetreten ist, sodass präventiv weitere Out-of-Stock (OOS)-Situationen verhindert werden können, anstatt diesen reaktiv begegnen zu müssen. Betrachten wir trotzdem zunächst die potenzielle Endkundenreaktion auf die Information, dass alkoholfreies Lagerbier ausverkauft ist. Corsten/Gruen (2004) zeigen in einer Studie, wie sich Endkunden im Einzelhandel verhalten, wenn sie mit einer Out-of-Stock-Situation konfrontiert werden ( Abb. 1-4). Übertragen auf unsere Situation auf dem Bierkeller kann es sein, dass der Endkunde eine andere Biersorte oder ein anderes Getränk bestellt (Substitution). Ist das gewählte Getränk nicht von der Brauerei, so hat die Out-of-Stock-Situation negative Konsequenzen für die betrachte Brauerei, aber nicht unbedingt für die Gaststätte. Verlässt unser Endkunde die Gaststätte, trifft es insbesondere die Gaststätte (in Form von entgangenem Umsatz und möglicherweise auch in Form von sinkender Reputation). Auch wenn hier bereits deutlich wird, dass es nicht einfach ist, die negativen Folgen (Umsatzeinbußen, Reputationsverlust, Abwanderung von Kunden aufgrund von Unzufriedenheit etc.) zu bestimmen, geht Angerer (2004, S. 6) davon aus, »[…] dass Unternehmen im Schnitt bis zu 4 % des Umsatzes durch OOS einbüßen müssen«. Dies kann jedoch nur als vorsichtige Schätzung betrachtet werden, angesichts des Umstandes, dass je nach Produktkategorie zwischen 40 und 80 % der getätigten Käufe im Einzelhandel Spontan- oder Impulskäufe sind (Amos et al., 2014). Und was nicht im Regal steht, kann auch nicht spontan gekauft werden.
Abb. 1-4: Kundenreaktion bei einer Out-of-Stock-Situation im Einzelhandel (Quelle: In Anlehnung an Angerer, 2004, S. 5)
Kommen wir zu unserem unzufriedenen Kunden auf dem Bierkeller zurück. Wie bereits erläutert, ist es von besonderem Interesse, die Ursache für die vorliegende Out-of-Stock-Situation zu ergründen, um präventiv zukünftige OOS zu vermeiden. Die Gaststätte hat ihre Bierbestellungen bei der Brauerei wie immer zu einem festgelegten Termin aufgegeben, diesmal jedoch unter Beachtung eines prognostizierten erhöhten Bierabsatzes aufgrund des anhaltend schönen Wetters. Die Mälzerei als vorgelagerter Lieferant der Brauerei hat die langfristig festgelegten, regelmäßigen Malzbestellungen der Brauerei pünktlich geliefert. Die Brauerei wiederum folgt einem mittelfristigen Produktionsplan, der auf eigenen Prognosen beruht. Da sich die Brauerei vollständig dem Konzept der Lean Production verschrieben hat, werden nur sehr geringe Lagerbestände aufgebaut. Um unvorhersehbare Nachfrageschwankungen abzufangen, kann die Brauerei kurzfristig die Kapazität durch Überstunden und Sonderschichten erhöhen. Dadurch hätte die erhöhte Bierbestellung grundsätzlich gedeckt werden können, jedoch löst die gesteigerte Bierproduktion auch einen entsprechenden Bedarf an Malz aus. Da dies nicht mit der Mälzerei abgestimmt war, konnte der erhöhte Malzbedarf nicht mehr rechtzeitig von der Mälzerei gedeckt werden. Die Bierproduktion selbst kam dadurch in Verzug. Die Bestellung der Gaststätte konnte nicht vollständig erfüllt werden, d. h. die beauftragte Spedition konnte nur Teilbestellungen ausliefern. Es wurden somit zielgerichtete Bestell-, Produktions- und Transportprozesse durchgeführt, jedoch ohne dass es gelang, Angebot und Nachfrage entlang des gesamten Ausschnitts aus der Supply Chain aufeinander abzustimmen (matching demand and supply).
Endkunde, Gaststätte, Brauerei, Mälzerei sowie die Spedition bilden die Elemente eines Systems, welche durch Bestell- und Lieferprozesse miteinander verbunden sind. Systemtheoretisch kann dieses Zusammenspiel auch folgendermaßen beschrieben werden. Ein System ist ein Ganzes, das als solches bestimmte Eigenschaften (Systemeigenschaften) und Verhaltensweisen (Systemverhalten) besitzt. Ein System besteht aus Teilen (Systemelementen), die so miteinander verknüpft sind, dass kein Teil unabhängig ist von anderen Teilen und das Verhalten des Ganzen beeinflusst wird vom Zusammenwirken aller Teile (Ulrich/Probst, 1990). In dem von uns betrachteten Ausschnitt der Bier-Supply Chain gelang es nicht, die einzelnen Teilleistungen über alle Supply Chain-Stufen so aufeinander abzustimmen, dass der Kundenauftrag erfüllt werden konnte – das Staffelholz wurde nicht ins Ziel gebracht. Wir können festhalten, dass die Leistung eines Systems nicht die Summe der unabhängigen Leistungen der einzelnen Systemelemente, sondern das Ergebnis der Interaktionen zwischen den Systemelementen ist. Gelingt die Koordination, treten als Ergebnis dieser komplexen und dynamischen Interaktion der Supply Chain-Akteure neue Eigenschaften des Gesamtsystems hervor. Dies wird auch als Emergenz bezeichnet, d. h. die Herausbildung von neuen Eigenschaften eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Aufgabe des Supply Chain Managements ist es daher, die Leistungen der einzelnen Systemelemente sach- und formalzielgerecht aufeinander abzustimmen. Gelingt dies, so kann mit Aristoteles (384-322 v. Chr.) festgehalten werden: »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile«.
Werden die Soloalben bzw. Soloprojekte der Mitglieder der britischen Rockband Queen betrachtet – beispielsweise »Mr. Bad Guy« von Freddy Mercury (1985), »Back to the Light« von Brian May (1992), »Fun in Space« von Roger Taylor (1981) oder »No Turning Back« von John Deacon mit der Band »The Immortals« (1986) – und den Alben von Queen gegenübergestellt – beispielsweise »A Night at the Opera« (1975) oder »A Kind of Magic« (1986) – so zeigt sich auch hier: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Kommen wir in diesem Zusammenhang nochmal auf die obigen Aussagen »Kundennutzen schafft Unternehmensgewinn« und »Der Konsument ist der König der Wertschöpfungskette« zurück. Wir könnten an dieser Stelle des Buches noch den Begriff Lieferkette verwenden, da der in diesem Beispiel betrachtete Ausschnitt unser Bier-Supply Chain ( Abb. 1-3) durchaus eine Kettenstruktur aufweist. Konsequenterweise und im Sinne der später folgenden Definition werden wir jedoch von Supply Chains und nicht von Lieferketten sprechen. Für den betrachteten Ausschnitt als auch für die gesamte Bier-Supply Chain kann nach Chopra/Meindl (2014, S. 25-27) festgehalten werden:
Was bedeutet das? Der Kundenwert eines Bieres auf dem Bierkeller kann bei jedem Kunden anders ausfallen und kann als dessen Zahlungsbereitschaft geschätzt werden, also der Betrag, den ein Kunde maximal bereit ist, für das Bier zu zahlen. Die Differenz zwischen dem Kundenwert des Bieres und dessen Preis verbleibt beim Kunden als so genannte Konsumentenrente. Nehmen wir an, dass unsere Kunde für ein Seidla – ein halbes Maß, d. h. ein halber Liter Bier – auf dem Bierkeller 4 € bezahlt, was den Erlös der gesamten Supply Chain für dieses Bier darstellt. Da es ein heißer Sommertag ist und unser Kunde sehr durstig ist, liegt der Wert des Bieres für unseren Kunden (Kundenwert) deutlich über 4 €. Daher bleibt ein Teil des Kundenwerts beim Kunden als Konsumentenrente, während der Rest (und somit 4 €) als Erlös in der Supply Chain verbleibt. Der Gaststätte, der Brauerei und der Mälzerei entstehen Kosten für Produktion, Lagerung, Transport etc. des Bieres. Die Differenz zwischen den 4 €, die der Kunde zahlt, und der Summe aller Kosten in der Supply Chain für Produktion und Bereitstellung des Bieres auf dem Bierkeller stellt den Gewinn der Supply Chain bezogen auf dieses eine Bier dar. Dieser Gewinn ist auf alle Akteure in der Supply Chain aufzuteilen. Unabhängig vom damit verbundenen Verteilungs- oder Allokationsproblem macht das Beispiel eines sehr deutlich. In jeder Supply Chain gibt es nur eine einzige Erlösquelle: den Endkunden! Der Endkunde ist der Einzige, der in der betrachteten Bier-Supply Chain für einen positiven Cashflow sorgt. Alle anderen Cashflows sind lediglich der Austausch von Zahlungsmitteln innerhalb der Supply Chain. Wenn die Gaststätte die Bierlieferungen bezahlt, wird ein Teil des vom Kunden gezahlten Erlöses an die Brauerei weitergegeben, die ihrerseits einen Teil an die Mälzerei weitergibt. Der Endkunde als einzige Erlösquelle in Supply Chains kann somit zu Recht als dessen »König« bezeichnet werden. Die Supply Chain ist daher auf den Kunden derart abzustimmen, dass das Sachziel erfüllt werden kann: Das richtige Produkt soll in der richtigen Quantität, der richtigen Qualität, am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt, für den richtigen Kunden verfügbar sein.