Читать книгу Zwischen Gartenbau und Gartenkunst: Gärtner und Gartengestalter in Wien und Umgebung 1918–1945 - Erika Karner - Страница 39
2.4.4.2 Jüdische „Umschichtung – Hachschara“
ОглавлениеBis zum „Anschluss“ 1938 war die „Alijah“, wie die Einwanderung nach Palästina in der zionistischen Terminologie genannt wird, für die österreichischen Juden eher eine ideelle Möglichkeit, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie mit dem Verlust des gewohnten Lebensstandards und vielen Schwierigkeiten verbunden war.263
Zwischen 1919 und 1934 wanderten laut Aufzeichnungen des Wanderungsamtes 1.183 Personen von Österreich nach Palästina aus.264 Zwischen 1933 und 1937 erhöhte sich die Zahl der Auswanderer nach Palästina auf 2.713 Personen.265 Ein starkes Motiv für die Bereitschaft zur Auswanderung nach 1930 war, neben der steigenden Arbeitslosigkeit, der erstarkende Antisemitismus.266
Eine dieser bereits Anfang der 1920er-Jahre nach Palästina emigrierten Personen war die aus Czernowitz stammende und in Wien Naturwissenschaften studierende Miriam Kellner267. Sie absolvierte eine gartenbauliche Ausbildung bei Hanna Maisel in Nahalal und arbeitete danach im Kibbuz En Harod, wo sie eine große Gärtnerei aufbaute.268 Eine andere war Hanka Huppert-Kurz. Sie stamme aus Krakau und absolvierte in Wien die Gartenbauschule für Frauen von Yella Hertzka. Huppert-Kurz emigrierte allerdings erst 1929 nach Palästina, wo sie zuerst im Kibbuz Bet Alfa lebte und später in den Kibbuz Ramat Yohanan übersiedelte. Dort gestaltete, bepflanzte und betreute sie den Garten und begann auch für andere Kibbuze Gärten zu gestalten.269 Der aus Budapest stammenden Klari Neumann gelang 1939 die Flucht und sie kam mit einem Immigrantenschiff nach Palästina und arbeitete als Gärtnerin in einem Kibbuz in Rishon LeZiyyon.270
Die für zionistische Auswanderung in der Zwischenkriegszeit zuständige zentrale Organisation war die österreichische Landesorganisation des „Hechaluz“ („Pionier“). „Hechaluz“ hatte sich 1921 als Weltverband konstituiert und war sehr straff organisiert. Von den Mitgliedern wurde eine vollkommene Unterordnung unter die Satzungen der Bewegung sowie das Erlernen der hebräischen Sprache und die berufliche „Umschichtung“ („Hachschara“) erwartet und zur Bedingung für die Auswanderung nach Palästina gemacht.271
Die Umschichtung war in den Augen der zionistischen Ideologen notwendig, um die „typisch jüdische“ Berufsstruktur zu ändern und von den nicht produktiven intellektuellen und kaufmännischen Berufen zu manuellen Tätigkeiten, vor allem in der Landwirtschaft und im Handwerk, zu gelangen, um damit ein neues Leben in Palästina beginnen zu können.272 Nach dem „Anschluss“ wurde Palästina zu einem wichtigen Fluchtziel, weswegen sich tausende Jugendliche „in der Hoffnung auf irgendeine Fluchtmöglichkeit in einen Jugendbund, vielfach sogar in mehrere gleichzeitig“ einschrieben oder sie „ließen sich für verschiedene Zielländer registrieren“.273
Nach dem „Anschluss“ wurde in der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien eine eigene Beratungsstelle für Umschichtung eingerichtet, zu deren Leiter Dr. Abraham Schmerler ernannt wurde. Er berichtete regelmäßig über den Verlauf und die Erfolge der Umschichtungsaktion die im ersten Halbjahr ihrer Tätigkeit 12.000 jüdische „Umschichtler“ vorzuweisen hatte. In seinem Jahresbericht 1938 schrieb er:
„Nach dem Umbruch des Jahres 1938 kam man zur Erkenntnis, dass die bisherige Berufsschichtung der Wiener Juden im Falle der Auswanderung eine Existenzgründung im Ausland häufig erschwere. Das Bestreben, einer möglichst grossen Zahl handwerkliche und gewerbliche Fertigkeiten beizubringen, musste unverzüglich unter Einsatz aller in Betracht kommenden Kräfte in die Tat umgesetzt werden. Nicht nur Arbeitern, sondern auch bisherigen Angehörigen kaufmännischer, intellektueller und administrativer Berufe musste die Möglichkeit geboten werden, manuelle Berufe derart zu erlernen, dass sie sich im Ziellande mit den erworbenen Kenntnissen eine bescheidene Existenz gründen oder zumindest als qualifizierte Hilfsarbeiter ihr Brot verdienen können.“274
Abb. 2: Artikel über „Jüdische Umschichtung“.275
Die jüdische Presse im „Altreich“ – soweit sie noch existent war – berichtete über diese Aktion in Wien. So schrieb die „Jüdische Rundschau Berlin“ in ihrer Ausgabe vom 14. Juni 1938:
„In der Auswanderungsabteilung der Gemeinde [Anm.: Gemeint ist die Israelitische Kultusgemeinde Wien] wird nach wie vor an der Sichtung der eingereichten Auswanderungsbögen gearbeitet. Parallel zu dieser Tätigkeit geht die Vorbereitung der Umschichtungsarbeit, für die die Gemeinde eine eigene Beratungsstelle für jüdische Berufsausbildung und Umschichtung errichtet hat, vor sich. Einzelne Beratungsstellen, so für Ärzte wie für andere Berufsgruppen haben ihre Tätigkeit bereits aufgenommen. Andere wieder sind in Vorbereitung. In der richtigen Erkenntnis, dass im Mittelpunkt einer planmäßigen Emigration die Berufsumschichtung zu stehen habe, geht die Gemeinde daran, schon in allernächster Zeit eine Reihe von Umschichtungskursen einzurichten. So sind vorgesehen für männliche Berufe: Kurse für die diversen Zweige der Metallbearbeitung (Mechaniker, Schlosser, Dreher u. a.), der Holzbearbeitung (Bau- und Möbeltischler), des Baugewerbes, der Photographie, der chemischen Betriebe, des Bekleidungsund Nahrungsmittelgewerbes. Für weibliche Berufe werden Umschichtungskurse in der Hauswirtschaft, dem Bekleidungsgewerbe und der Körperpflege eingerichtet. Die Umschichtungsstelle in der Gemeinde sucht gegenwärtig dringend auf diesen Gebieten fachlich ausgebildete Lehrkräfte. Im Zuge der Umschichtungskurse sind auch landwirtschaftliche Umschulungskurse für Auswanderer geplant. Für diesen Zweck will die Gemeinde etwa im jüdischen Besitz befindliche landwirtschaftliche Betriebe, womöglich in der Nähe von Wien pachten, und sie für Hachschara verwenden.“276
In einem Bericht vom 29. Juli 1938 konnte die Auswanderungsabteilung der IKG bereits landwirtschaftliche Betriebe vorweisen:
„Zu den bereits bestehenden 77 Kursen mit einer Teilnehmerzahl von rund 1200 kommen noch vier landwirtschaftliche Umschulungskurse, die gegenwärtig außerhalb Wiens, und zwar in Stadlau, Lang-Enzersdorf (beide bei Wien), Unterholz-Brunnhof und Eichgraben am Stein in Betrieb sind. In diesen Kursen erhalten 350 Schüler in allen Fächern der Landwirtschaft, der Gärtnerei und Kleintierzucht ihre Ausbildung.“277
Im September 1939 legte die Israelitische Kultusgemeinde Wien statistische Daten der Berufsumschichtung auf Grund der von ihr durch die Beratungsstelle für Berufsausbildung und Umschichtung veranstalteten Kurse vor. Bis zum Stichtag 30. August 1939 waren insgesamt 1.827 Kurse abgehalten worden, die von 29.664 Personen besucht wurden. Von den Teilnehmern waren 16.211 Männer und 13.453 Frauen. Diese Daten zeigten, dass am stärksten die Kurse für Hauspersonal besucht wurden (6.002). An zweiter Stelle standen die Bekleidungskurse (4.129), an dritter Stelle jene für Landwirtschaft (4.065). Erwähnenswert fanden die Verfasser des Berichtes ferner die starke Beteiligung der Frauen an den landwirtschaftlichen Umschichtungskursen (1.178 Frauen, 2.887 Männer).278
In Wien wurde das Gelände der ehemaligen „Höheren Gartenbauschule für Frauen“ in der Kaasgrabengasse der vertriebenen Jüdin Yella Hertzka279 und die Flächen der Staudengärtnerei „Windmühlhöhe“280 von der Israelitischen Kultusgemeinde als Orte für landwirtschaftlich-gärtnerische Umschulungskurse genutzt. Die Gärtnerin Helene Wolf leitete ab Oktober 1938 und bis zu ihrer Ausreise 1939 die Umschichtungskurse in der Kaasgrabengasse und Krottenbachstraße.281
Paul Grosz, Vorstand und Kuratoriumsmitglied des DÖW, 1925 in Wien geboren, überlebte die NS-Zeit ab 1944 als „U-Boot“ lebend in Wien und erinnerte sich an die Umschichtung:
„In der Jugendalijahschule verbrachte ich dann die vielleicht schönsten Jahre meiner Jugend. Während wir, das war eine Ganztagsschule, dort gewesen sind, gab es keinen Stress, nicht die Gefahr, der Juden sonst ausgesetzt waren, und erst nach Kriegsbeginn 1939, als die ersten Transporte in das spätere ‚Generalgouvernement‘ geleitet worden sind, haben auch wir Kinder die volle Gewalt, die da angewendet worden ist, zu spüren bekommen. Wir mussten damals, das war ein Teil der Ausbildung der Jugendalijahschule, täglich in den Rothschild-Gärten im 19. Bezirk beziehungsweise in einer Gärtnerei in der Krottenbachstraße unentgeltlich schwere Arbeit leisten, unter dem Vorwand, dass wir dadurch Übung bekommen. Später wurden dann Kinder von uns zur landwirtschaftlichen Arbeit ins Ruhrgebiet geschickt und blieben dort fast ein halbes Jahr.“282
Bei der von Paul Grosz erwähnten Gärtnerei in der Krottenbachstraße handelte es sich um den ehemaligen Betrieb „Windmühlhöhe“ der jüdischen Staudengärtnerin Hanny Strauss.283
1941 wurden die Umschichtungskurse eingestellt. Die Beratungsstelle für Berufsausbildung und Umschichtung bemühte sich, die Umschulungskurse seitens der IKG wiederaufleben zu lassen. Sie begründete dies damit, dass diese Kurse die Menschen über die schwierige Zeit geführt hätten und ihnen die Arbeit wenig Zeit zum Nachgrübeln lasse. Speziell die jüdischen Jugendlichen müssten rasch wieder einer ablenkenden Tätigkeit zugeführt werden, um nicht untätig, sich selbst überlassen, auf der Straße herumzulaufen und so zu verwildern.284 In einem wahrscheinlich im März 1941 verfassten Exposé betreffend die Aufrechterhaltung handwerklicher und gewerblicher Arbeitskolonnen durch die Umschichtungsabteilung hieß es:
„Die plötzliche Einstellung der Umschulungskurse bedeutete nicht nur für die Kursteilnehmer und Kursleiter einen sehr schweren Schlag, sondern sie wirkte sich für die gesamte Judenschaft von grösstem Nachteil aus. Zur Zeit ihrer Gründung war der ausschließliche Zweck der Umschulung, den Auswanderungswilligen für ihr Leben im neuen Land durch Erlernung manueller Berufe eine Existenzgrundlage zu schaffen. Durch die Umschulung wurden viele Tausende, die unglücklich, aus dem Gleis geworfen, ihre ganze Kraft verloren hatten, wieder aufgerichtet und gestählt. […] Als mit Kriegsbeginn im Jahre 1939 die bis dahin flüssige Auswanderung etwas ins Stocken geriet, war es wieder die Umschulung, welche der ostmärkischen Judenschaft über diese schwere Zeit hinweghalf. Die Umschichtungswilligen besuchten die Kurse in Massen und blieben solange Kursteilnehmer, bis sie zur Ausreise gelangten, die Mehrzahl aber verblieb bis zur erfolgten behördlichen Sperre. […] In den Gartenbaukursen wurden auf drei Plätzen die Grabelandaktion der Umschulung der I.K.G. geführt, wodurch die Fürsorgeanstalten zusätzlich mit frischem Gemüse beliefert werden konnten. Wenn sich die Quantitäten im Verhältnis zum Verbrauch der Wirtschaftsstelle auch nicht besonders auswirkten, so war es dennoch wichtig, dass laufend zirka 150 Erwachsene und 200 Jugendliche beschäftigt und dem Gärtnerberuf zugeführt wurden. […] Zahlreiche Betriebsführer verlangten direkt von der Umschichtungsleitung Arbeitskräfte und jedem Wunsche konnte raschest Rechnung getragen werden. […] Die Leitung der Umschulung stellte das Büro darauf um und war stets bedacht, diese Arbeitskolonnen immer aufzufüllen, für jeden Abgang guten Ersatz zu schaffen. […] Die Bildung von Arbeitskolonnen ist aber auch im Interesse der I.K.G. gelegen, weil sie unerlässlich ist, denn sie würde ein weiteres Herabsinken und eine weitere Verelendung unserer Glaubensbrüder unbedingt verhüten.“285