Читать книгу Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom - Etta Wilken - Страница 14
3.1 Eltern
ОглавлениеDie meisten Eltern haben – trotz zunehmend häufigeren Angeboten der pränatalen Diagnostik – vor der Geburt ihres Kindes nichts von seinem Down-Syndrom gewusst. Nur wenn besondere gesundheitliche Probleme oder spezifische Abweichungen aufgefallen sind oder wenn aufgrund des mütterlichen Alters entsprechende pränatale Diagnoseverfahren in Anspruch genommen wurden, sind manche Eltern schon vorgeburtlich informiert. Die Mitteilung über die Behinderung ihres Kindes ist – unabhängig vom Zeitpunkt der Diagnose – für alle Eltern eine traumatische Erfahrung. Bei einer pränatalen Diagnose kommt aber noch hinzu, dass ein Entscheidungsdruck entsteht, welche Konsequenzen die Eltern aus dieser Information ziehen wollen und wie die Beratung erfolgt.
»Mit 43 Jahren ist Claudia noch einmal schwanger. Es ist ein Wunschkind, das sich da ankündigt … In der 12. Schwangerschaftswoche weist Claudias Frauenarzt sie darauf hin, dass sie zur Nackenfaltenmessung zu einem Pränataldiagnostiker gehen kann. Sie lässt sich eine Überweisung ausstellen und vereinbart einen Termin … Claudia berichtet von einem mulmigen Gefühl während der Untersuchung. Ihre Befürchtungen bewahrheiten sich … Der Arzt erklärt ihr, dass die Nackenfalte auffällig verdickt sei, eventuell sei ein Herzfehler nicht auszuschließen, und er vermute, dass das Kind ein Down-Syndrom oder ›Schlimmeres‹ haben könnte … Sie vereinbaren einen Termin zur Fruchtwasseruntersuchung … und haben dann die Gewissheit, ihr Kind hat das Down-Syndrom … Sie entscheiden sich für ihr Kind.« (Hennemann 2014, 16)
Die Auseinandersetzung mit der Mitteilung, dass ihr erwartetes Kind das Down-Syndrom haben wird, kann den Eltern erschweren, einen positiven Bezug zum Kind zu behalten und die Schwangerschaft auszutragen. Oft sind die erlebten emotionalen Belastungen und auch die empfundenen sozialen Erwartungszwänge sehr schwer auszuhalten (vgl. Stockrahm 2015, 35). Zudem wird das Kind durch die Aufzählung der erkannten Abweichungen oft zu einem Mängelwesen. Die Unsicherheit über die möglichen Ausprägungen der Behinderung und eventuelle zusätzliche gesundheitliche Beeinträchtigungen können weitere erhebliche Ängste verursachen. Aus diesem Grund sollte man gerade diesen Eltern – wenn sie es wünschen – Kontakt zu anderen betroffenen Familien vermitteln und eine ethisch verantwortete Beratung und Begleitung anbieten. Auf der Grundlage einer eigenen positiven Einstellung zu Menschen mit Behinderung sind die Eltern bei ihrer individuellen Entscheidungsfindung zu unterstützen und ihnen ist ein realistisches Bild vom Leben mit einem Kind, das das Down-Syndrom hat, zu vermitteln.
Wichtig ist auch, subtilen Zuweisungen von Mitverantwortung für eine selbst gewählte besondere Familiensituation in der Öffentlichkeit entschieden entgegen zu treten. Solche Einstellungen erschweren nicht nur den Eltern, eine Entscheidung zu treffen oder ihre neue Lebenssituation zu bewältigen, sondern können auch zu einer Entsolidarisierung von Hilfe und Verantwortung für behinderte Menschen und ihren Familien führen.
Wenn keine sichtbaren Beeinträchtigungen oder deutliche spezifischen Veränderungen vorliegen, werden die meisten anderen Behinderungen erst erkannt, wenn das Kind schon einige Wochen alt ist oder noch erheblich später, wenn die Entwicklung abweichend erfolgt oder auffällig wird. Die Eltern hatten dann aber die Möglichkeit, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen, die noch nicht von einer Diagnose überschattet ist. Eltern von Kindern mit Down-Syndrom dagegen erfahren zumeist unmittelbar nach der Geburt oder wenige Tage danach die Diagnose, und damit wird ihnen oft die Freude über das neugeborene Kind genommen und Verzweiflung und Angst vor der ungewissen Zukunft überschatten den Beginn ihrer Elternschaft.
»Ich nahm ihn in meine Arme … und dann lag ich da, sah ihn an und dachte, die Welt geht unter! Ich konnte überhaupt nicht sprechen, ich habe sofort angefangen zu heulen. Immer nur der Gedanke, jetzt ist die Welt zu Ende, jetzt ist alles vorbei.« (Bundesvereinigung Lebenshilfe 1998, 7)
Kinder mit Down-Syndrom werden relativ häufig einige Wochen früher geboren. Dann werden manchmal die typischen Merkmale nicht sicher erkannt oder man zögert eine klare Diagnosestellung hinaus, um den Eltern diese erste gemeinsame Zeit nicht noch zusätzlich zu erschweren.
»Unsere Zwillinge Luis und Ben kamen … zehn Wochen zu früh auf die Welt. Eine Zeit voller Hoffen und Bangen begann für uns … Wir freuten uns schon auf die Entlassung. Endlich würden wir eine Familie sein, endlich zu Hause, endlich Normalität … es sollte anders kommen: In der letzten Krankenhauswoche kam die Diagnose, dass Ben das Down-Syndrom hat, und die Nachricht brachte zunächst einmal unsere ganze Welt ins Wanken. Plötzlich war da die Angst, niemals wieder glücklich sein zu können! … Nach drei tränenreichen Tagen und Nächten stellten wir uns den Tatsachen und entschieden, einfach das Beste aus der Situation zu machen.« (Bodensteiner 2013, 69)
Oft werden bei den neugeborenen Kindern mit Down-Syndrom zusätzliche gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt, die manchmal lebensbedrohend sind. Dann haben die Eltern nicht nur die unerwartete Diagnose zu bewältigen, sondern müssen auch noch schwierige Entscheidungen treffen bezüglich notwendiger Behandlungsmaßnahmen. Zu den großen Sorgen um das Überleben ihres Kindes und den unsicheren Prognosen für die weitere Entwicklung kommen dann für die Eltern noch Ängste und Unsicherheit über die daraus folgenden Konsequenzen für die Zukunft ihrer Familie.
»Unser Sohn ist mit einem schweren angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen. Er wurde am 7. Lebenstag mehrstündig am offenen Herzen operiert und nach vielen kritischen Momenten (Nierenversagen, Lungenriss, Zwerchfelllähmung, Lungenhochdruck) und dreimonatigen Aufenthalt auf der Intensivstation … mit Sauerstoffgerät, Monitor und Magensonde nach Hause entlassen.« (LmDS 2013, 39)
Es ist verständlich, dass Eltern in dieser Belastungssituation einfühlsame Begleitung, aber auch konkrete Hilfen benötigen, um ihren schwierigen Alltag zu bestehen. Es ist wichtig, ihnen Zeit zu geben, damit das Kind in der Familie ankommen kann, während Ansprüche auf spezielle Förderung des Kindes dagegen nachrangig sind und sogar die Belastungen verstärken können.