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Kapitel 21: Weiter mit dem Messer

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Und während er sich nun mit dem Protokoll abmüht, mache ich geruhsam etwas Nützliches: ich spitze meine Bleistifte an – wie das nun? Ganz einfach: Ordnung muß natürlich Ordnung bleiben, aber die Vorschriften, die strikten, die, die angeblich keine Abweichung erlauben, sind immer nur das eine, und der, der sie durchsetzen muß, der ist immer auch noch ein Mensch, und das sogar als Deutscher und als Beamter, und wenn sie klug sind, die deutschen Ordnungsgeber, die obersten Behördenbestimmer, dann geben sie so einem kleinen, subalternen Beamten auch ein bißchen was an Spielraum der eigenen Entscheidung, auf daß er dann Willkür walten lassen kann und seine Macht spüren als Vertreter des Staates – anders ausgedrückt: man muß nur lange genug jammern und bitten und betteln und dies vielleicht mit dem weiblich anmutenden devoten Eifer tun, wie ich es wegen dieses blöden Anspitzers getan habe, von dem ich Blasen an den Fingern kriege beim vielen Anspitzen, das auch für das Schreiben nötig ist und, meiner bisherigen Erfahrung nach, sogar mehr notwendig ist denn beim Zeichnen – aber ich habe ja nicht den Vergleich, habe so ein kleines Fummelding früher nie benutzt. Doch das Klagen, Jammern und Bitten, mich von dieser praktischen Errungenschaft zugunsten meines altertümlichen Messers zu erlösen, das wird nicht ausgereicht haben, auch wenn er das vielleicht gerne hatte, der Vernehmer, der Mann, mich so weibisch winseln zu hören, hinzukommen mußte das rationale Argument, und das erst, als es mir endlich eingefallen war, ergab die Wendung: ich habe meinen Kriminaloberst also darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei diesem Bleistiftanspitzer um eine Waffe handle, und da hat er mich dann schon etwas verdutzt angestarrt, wo er sich doch in dem sicheren Glauben wähnte, er wäre der große Bescheidwisser, was Waffen betrifft. Ja, sagte ich, eine Waffe, denn in diesem Bleistiftanspitzer gebe es doch so ein kleines Messerchen, und dieses Messerchen, es sei doch, wenn auch sicher mit einer gewissen Mühe, aber Gefangene sind ja erfinderisch in ihrer Not, aus seiner Verschraubung zu lösen, und hat man es erst mal in der Hand, dann dürfte doch dieses Messerchen, so klein es ist, dazu durchaus ausreichen, sich mal eben, mir nichts, dir nichts, die Pulsaderchen aufzuschneiden. Oder man verschlucke es, und es tue dann inwendig seine Wirkung. Das ergibt sicher schon eine tödlich wirkende Dosis an hart gehärtetem Stahl – deutsche Wertarbeit, eine gute Klinge, richtig schön scharf. Und da schaute er doch etwas bedripst aus der Wäsche, aus seinem Uniformkragen, der fesche deutsche Beamte: daß er daran nicht gedacht hatte. Und das war natürlich gut, daß er vorher daran nicht gedacht und in diesem Moment seines Schocks dann nur das Nichts eines Verordnungsnirwanas im leeren Kopf hatte, denn so konnte ich doch gleich mit meinem Vorschlag kommen, wie unser Problem zu lösen sei – ich sagte unser, und auch er sagte dann unser, und unser ist gut, denn wäre es mein Problem allein, es fände sich dafür in geordneten, anders geordneten Verhältnissen garantiert keine Lösung, und mein Vorschlag, er lautete ganz simpel, er möge mir doch gestatten, meine Bleistifte hier während der Vernehmungen und damit unter seiner Aufsicht anzuspitzen. Und dieser Vorschlag, er war so gut, so einleuchtend, daß er auch in sein deutsches Beamtengehirn Einlass fand und von ihm als eigentlich ganz logisch bewertet werden konnte, als die Lösung unseres Problems – Heureka, das war’s schon, und also erlaubte es mir mein guter Vernehmer dann freundlicherweise, daß ich mir meine Stifte zu den Vernehmungen mitbringen darf, um sie während dieser sonst sich so mühselig dahinschleppenden Zeit mit dem Messer, meinem altgewohnten Anspitzmesser, dem guten, das mir schon so viele gute Dienste erwiesen hat, anzuspitzen, sie in meiner gewohnten Manier schön spitz zu schnitzen – da geht dann auch die Zeit schneller rum, ich habe was zu tun, während er sich mit dem Protokoll abquält. Heute zum ersten Mal hatte ich sie mit, den ganzen Packen stumpf gewordener Stifte, und er, er hatte das Messer schon aus der Effektenkammer holen lassen, und das gab dann ein freudiges Wiedersehen – wie sehr man doch von solchen Gegenständen emotional abhängig ist, wie viel an Vertrautheit von ihnen ausgehen kann, als wär’s ein Stück Heimat. Er gab mir das Messer, und er verband diesen feierlichen Moment mit der Warnung an mich, nicht allzu viele Privilegien zu verlangen, denn dies gebe böses Blut unter den Wärtern, beim Wachpersonal, das sicher über diesen neuen Fall einer Sonderreglung im Falle Schlechter tratschen würde, so was verbreite sich sehr rasch in einer solchen Haftanstalt, und wahrscheinlich hat er recht damit und auch damit, daß mir dies nun aber gar nicht recht sein sollte, das mit den vielen Privilegien – aber was soll’s? Hauptsache, ich habe mein Messer. Wenigstens für eine halbe Stunde, und jetzt muß ich nur aufpassen, daß ich mich beim Anspitzen nicht schneide, was ja immer mal wieder vorkommen kann – aber nicht, weil ich mittlerweile so verzärtelt bin, daß ich kein Blut mehr sehen kann, sondern, weil er es nicht sehen darf, das Blut, denn sonst kommt er mir noch auf den gleichen Gedanken, der mir heute während des Anspitzens kam, der nämlich daran, daß ich mein Messer auch anderweitig verwenden, mich nun mit diesem Messer doch auch umbringen könne, es mir mal eben so ins Herz stoßen und das dann gleich ganz tief, wenn er sich kurz von mir abwendet, der vielbeschäftigte Herr Vernehmer – das sind ja Aussichten, herzerwärmende Perspektiven. Ich habe ein kleines Stück Freiheit zurück.

Speedy – Skizzen

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