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Kapitel 34: Geschichten und Vorgeschichten

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Erstaunlich: ich bin ja eine richtige Plaudertasche, ein Erzählerchen, ich, der schweigsame Schlechter. Maler – rede nicht, bilde! Aber bilde dir darauf nichts ein. Ich wäre gern ein Philosoph geblieben und hätte weiter geschwiegen und meine Blumen des Bösen gemalt, das Portrait des verworfenen, verworrenen 20. Jahrhunderts, aber ich habe einfach zuviel erlebt, das faß ich auf einer Bildfläche nicht, und ich habe zuviel sich ändern gesehen, an mir und in mir an Veränderungen erlebt, als daß ich mich mit dem Statischen des Bildes begnügen könnte, dem Ewigkeitswert. Geschichte und also Geschichten. Und deshalb rede ich, erzähle ich, schreibe ich hier im Gefängnis und ganz unabhängig und also frei von aller Rücksicht darauf, ob das irgend jemanden überhaupt interessieren könnte, was ich zu berichten, zu sagen habe – es muß ja noch nicht mal verständlich sein, für andere nicht, solange ich mich verstehe, und ich merke doch auch, wie mir das Spaß macht, mich so richtig noch einmal hineinzubegeben in das, was ich mit Speedy erlebt habe. Ich seh es alles noch einmal vor mir, erlebe es noch einmal, und es ist so intensiv, so intensiviert durch das Aufschreiben. Real und irreal zugleich, denn natürlich verändert sich’s durch das Aufschreiben, das eben auch ein Weglassen ist und manchmal ein Hinzufügen. Von unbewußten Motiven und Beweggründen – nicht, daß das deshalb Lüge wäre, es wird eher überwahr, mehr als wahr. Man arrangiert, die Dinge klingen plausibler und sind damit nicht mehr nur das, wie man es erlebt hatte im Moment des Erlebens. Eine Geschichte, wie eine Geschichte, und nicht mehr das Leben selbst. Ich weiß doch nicht, wo es hinführt, lebe ich, in der Nachbetrachtung weiß ich, wo’s hingeführt hat, und das beeinflußt die Erinnerung. Das Gedächtnis allein ist es nicht, mehr ein Werk der Erinnerung, des Erinnerns. Des Schaffens von Erinnerung.

Ich kroch wie ein verletztes Tier in meinen Bau zurück, in mein Atelier, meine Wunden zu lecken. Wie ein geschlagener Krieger vom Schlachtfeld, meine Verletzungen zu pflegen. Das Stehaufmännchen Schlechter, es legte sich ins Bett und jammerte und hörte bald auf zu jammern, lag nur noch benommen wie tot da und wartete und wartete, auf Speedy natürlich, von der ich aber nicht erwartete, sie würde als meine Krankenschwester kommen, als Sanitäterin, sondern als die Täterin, die sie war, deren Opfer ich doch war. Ich wappnete mich für mehr Leid, für weitere Verletzungen, weitergehende Attacken von ihr auf mein Selbstwertgefühl. Und dann kam sie, nach drei im Dämmerzustand verbrachten Tagen, kam sie, klingelte sie an meiner Tür, und ich wußte, daß nur sie es sein könne, die zu mir kommt, niemand anders – ich hatte eben doch keine Freunde. Ich war verloren, war in ihrer Hand. Zu mehr, als zur Tür zu schleichen, ihr taumelnd die Tür aufzumachen, hatte ich nicht die Kraft. Auch nicht dazu, sie richtig anzuschauen, ihr ins Gesicht, in die Augen zu schauen. Ich ging sofort wieder zurück in das Bett, in dem ich diese drei Tage verbracht hatte, und Speedy folgte mir wortlos, Speedy riß die Gardinen auf, Speedy öffnete das Fenster, frische Luft in meine miefige, total verrauchte, aus purer Verzweiflung so verqualmte Bude hereinzulassen, Speedy brachte die überquellenden Aschenbecher in die Küche und kam dann mit einem Glas Wasser zu mir zurück. Sie reichte mir das Glas und stellte mir dabei ihren rechten Fuß auf das Bett, und dann erst sah ich es: sie trug die Knöpfstiefel, die sie mir versprochen, die sie sich für mich und auf meinen Wunsch hin hatte anfertigen lassen. Das Leben hatte mich wieder. Sie hatte mich. Damit war ich wirklich verloren. Gehörte ich ihr. Die verdammten Knöpfstiefel, die wunderschönen Knöpfstiefel, die geliebten, die über alles geliebten, die über alles Menschliche hinaus Knöpfstiefel, mein Fetisch, mein absoluter Fetisch.

»Wenn wir heiraten«, sagte sie, »werde ich diese Stiefel für dich tragen. Du wirst nur dann keine Braut in Weiß haben, denn dazu passen sie ja nicht. Und ein weißes Brautkleid, es paßt auch sicher nicht zu einer Braut, die nicht mehr so ganz unschuldig und rein in die Ehe geht, und das auch noch an der Seite ihres Liebhabers. Aber mit Masseck ist dann Schluß, ich verspreche es dir. Ich beende das Verhältnis mit ihm am Tag vor unserer Eheschließung – bist du zufrieden damit?«

Ich nickte, sie aber fragte, womit ich denn zufrieden sei, damit, daß sie mich nicht in Weiß heirate, stattdessen aber in diesen Knöpfstiefeln, oder aber damit, daß sie mit Masseck bis zum Tage unserer Hochzeit sexuell verkehren werde. Mit den Stiefeln, antwortete ich, in Weiß könne ich mir sie gar nicht vorstellen, und das Verhältnis mit Masseck, das liege allein in ihrer Entscheidung, und Speedy sagte: »Dann werden wir also heiraten.« Und als sie das gesagt hatte, setzte sie sich zu mir an den Rand meines Bettes, nahm meine Hand, legte sie auf den Schaft ihrer Stiefel und sah mich eindringlich an. Ich wich ihr nicht aus, ich liebte sie. Wir schwiegen, schwiegen lange.

Speedy: »Du fragst gar nicht nach Masseck?«

Ich: »Doch, ich frage dich nach ihm.«

Speedy: »Eine Frage hast du frei, mehr nicht.«

Ich: »Die Frage, die ich dir stellen will, ist die, ob du eigentlich mit Masseck geschlafen hast, bevor er dich dann in seiner Filmkritik der Erwähnung wert fand, oder danach, zum Dank sozusagen.«

Erstaunlicherweise wich Speedy einer direkten Antwort aus, sie sagte nur, und sie sagte es schnippisch, auch ein solcher Dank könne ja karrierefördernd sein, denn schließlich folge auf einen Film ein anderer oder solle es zumindest, und da müsse sich ein kleines Filmmädchen schon bei denen Liebkind machen, auf die es ankäme. Das wäre doch alles Spekulation, und eine Erwähnung in der Kritik, das wäre schon mal eine ganz gute Aktie. Die müßtest du dann aber auch allen, auf die es ankommt, unter die Nase reiben, sagte sie, und diskret zu sein könne sich keine dabei leisten, aber, und plötzlich ernst werdend, das sei doch alles für sie vorbei, das mit diesen kleinen Rollen, die ganze Filmerei, sie wolle sie aufgeben, wo sie doch jetzt zur Künstlergattin werde – das mit der Künstlergattin, das hörte sich schon mal schrecklich an in seinem heiligen Ernst, denn was gibt es Schlimmeres als Künstlergattinnen, als diese Frauen, diese dann meist sehr schnell völlig reizlosen Frauen, die sich für das Werk, das dichterische, das malerische, das schriftstellerische, ihres Mannes aufopfern, die sich quasi durch ihren Mann zu verwirklichen suchen, um dann irgendwann Künstlerwitwe zu werden und damit den Höhepunkt an Verblendung zu erreichen, wenn sie nun über all das allein bestimmen können, was ihre Männer geschaffen haben. Aber ich wußte natürlich, daß das gar nicht der wahre Grund dafür war, daß Speedy mit der Filmerei Schluß machen wollte, und nahm das mit der Drohung, sie wolle nun Künstlergattin werden, deshalb auch nicht ganz so ernst. In dieser Rolle sah ich sie nicht, nicht aufgehen, Speedy doch nicht. Das war doch klar und auch Speedy klar, daß eine schauspielerisch mäßig begabte Dilettantin wie sie nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie nach ihrem Filmdebüt, nach einer ersten kleinen Nebenrolle, von einem Regisseur, einem Produzenten, einem Filmmogul entdeckt wird, als ein neues Gesicht für den deutschen Film, wie es dann in der Zeitung geheißen und so auch zuerst bei Masseck in der BZ am Mittag gestanden hätte, mit einem großen Foto von ihr. Schauspielunterricht, den kann so ein Sternchen ja dann immer noch nehmen. Ansonsten bleibt das doch ein Gastspiel in der Welt des Films, der Verbrauch an jungen Frauen mit einer hübschen Larve, der ist doch enorm in dieser Branche, und nur eine dumme Pute versteht nicht, was da gespielt wird, auch mit ihr gespielt wird, dumm aber, das ist Speedy nicht. Und dumm war sie auch damals schon nicht. Entdeckt, in diesem Sinne entdeckt, das hat sie doch keiner von diesen Filmgewaltigen aus Babelsberg bei Berlin, und deshalb blieb meine Frage danach, wann sie sich mit Masseck eingelassen hatte, bestehen, sie war nur noch durch die Frage nach dem Warum zu ergänzen, wo’s doch eigentlich schon zu spät für sie war und seine lobende Erwähnung eigentlich keinen großen Sinn mehr machte – von wegen karrierefördernd, eine Karriere hatte sie doch gar nicht mehr zu erwarten. Oder sollte Masseck so naiv gewesen sein anzunehmen, er könne seiner Speedy eine solche noch in der BZ am Mittag herbeischreiben?

Nein, so naiv sei Masseck nicht – Speedy reagierte fast beleidigt, als ich das sagte. Der einzige, der hier naiv wäre, das sei ich, der ich von der Welt des Films nicht die blasseste Ahnung hätte. Ja, sie kenne Masseck, den Zeitungsschreiber Masseck, von Babelsberg her, und sie habe ihn dort auf einer dieser Partys dort kennengelernt. Und natürlich bevor er dann ihren Namen in seinem Boulevardblatt erwähnt habe, und das sei eine ganz persönliche Geschichte gewesen, seine Dankesbezeugung an sie, seine Art, ihr Komplimente zu machen, aber davon verstünde ich ja auch nichts – was stimmt, ich bin kein Mann für Komplimente, ich bin doch viel zu schüchtern dazu, viel zu verklemmt. Und damit ging es gleich weiter mit ihrem Geschimpfe: Das wären doch Geschäftsleute, die von der Filmindustrie, und natürlich würden sie versuchen, diejenigen, die ihre Produkte bewerten, die ganz brutal den Daumen nach unten senken könnten, an sich zu binden, sie zu beeinflussen. So Speedy. Und direkt auf ihren Liebhaber gemünzt: Die Filmgewaltigen wären doch schön dumm, würden sie einen Mann wie Masseck von der BZ am Mittag, und grad von diesem Käseblatt, das die Masse verschlingt, nicht für sich einzunehmen suchen. Aber direkte Korruption, Barzahlung? Nein, so dumm sei nun auch wieder keiner, ein Mann wie Masseck müsse sich schon noch der Illusion hingeben können, er wäre unabhängig und frei in seinen Urteilen. Ihn immer mal wieder auf eine solche Party einzuladen, wo sie ihn kennengelernt habe, das reiche aus und dürfte auch sehr viel weniger verfänglich sein. Da fühlt sich doch ein Masseck geschmeichelt, wenn er da mit soviel Filmprominenz sein Bier trinken kann. Und dann könne ich doch mal davon ausgehen, daß das die entsprechenden Leute ein paar von den Mädels schon stecken würden, daß sie sich mal ganz besonders um den gutaussehenden Mann kümmern sollten, den Masseck, den Zeitungsmann. Das könne durchaus karrierefördernd sein, würde dann gesagt, aber damit sei doch nicht das mit so einer Erwähnung in einer Kritik gemeint wie bei ihr dann, intern wird das geregelt, weil’s für die ganze Branche gut ist, wenn die Kritik zahm ist und nur nettes Zeug schreibt. Bei Erfolg wird das belohnt, mit einer nächsten Rolle im nächsten Film, so ein Annäherungsversuch, und wenn ein Mädel einem wie Masseck den Abend versüßt – ob ich’s denn noch immer nicht verstünde? Doch, doch, ich verstand schon, daß Speedy, als eine der intelligenteren von den Mädels, wie sie das nannte, mit zu denen gehört haben wird, die man auf einen Zeitungsschreiber wie Masseck ansetzt, ihm beizuwohnen, sich von ihm auch beschlafen, beischlafen zu lassen.

»Wenn du’s unbedingt ganz genau wissen willst«, sagte Speedy, »die haben sehr große, sehr geräumige Villen dort in Babelsberg und oben, das Gästezimmer unterm Dach, es steht bereit, für dich und einen wie Masseck.«

Speedy – Skizzen

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