Читать книгу Speedy – Skizzen - Florian Havemann - Страница 43

Kapitel 39: Also Pascin, also Paris

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Pascin war häßlich genug, und Pascin war ein Säufer – was ich aber nicht wußte. Auch Pascin hatte also ein Problem, ein Alkoholproblem. Er trank ein bißchen zuviel, und er fing gleich am Vormittag mit dem ersten Glas Rotwein an. Zum Glück, kann ich nur sagen, bin ich davon verschont geblieben, mich dem Alkohol zu ergeben – eine Zeitlang, während meines Studiums und als ich noch überhaupt nicht wußte, wo ich künstlerisch hin will, sah es so aus, als hätte es mich auch erwischt, doch dann kam die Revolution, und zumindest mich hat sie also von etwas befreit, von den Schnapsbuddeln. Daß eine Frau wie Rosa Luxemburg dafür ihr Leben lassen mußte, das ist natürlich schade, aber mit Opfern ist halt immer zu rechnen, Opfer sind unvermeidlich. Auch der Dadaismus war so eine Schnapsidee, ohne daß wir was intus hatten, ging’s nicht ab, aber dann kamen ja die Anfragen, von der Roten Fahne, vom Gegner, was für eine Zeitschrift ja schon mal ein ernstzunehmender Name ist, und der einstmals alkoholisierte Schlechter wurde ganz nüchtern, auch in seiner Kunst. Aber ewig hat das natürlich nicht vorgehalten, und es meldeten sich die Süchte zurück, nur waren es andere: die sexuellen, die perversen, und die halten mich bis zum heutigen Tage gefangen – besser als der Schnaps und von Wein gar nicht zu reden, den Pascin sich leisten konnte und der mich nach dem Zeitenwechsel vollends ruiniert hätte, finanziell. Ich muß das ohne den Alkoholpegel durchhalten, der es sicher leichter machen würde, diese Gegenwart zu ertragen. Zur Flasche greifen und mal nachspülen, um den blöden Geschmack wieder loszuwerden, bei all dem, was man zu schlucken kriegt – manchmal würd ich’s schon gern, besonders jetzt, und ich kann nur froh sein, daß ich davon nicht abhängig bin. Pascin war es offensichtlich, und er ist ja daran auch zugrunde gegangen – erst künstlerisch, denn die Bilder, die er zustande brachte, die wurden ja immer fragmentarischer und blieben eigentlich unfertig, unvollendet, und da half auch nicht, daß er das zu seinem Stil erklärte, und später dann auch als Mann und damit als Mensch, denn für ihn war das ja doch wohl gleichbedeutend. Er war schon auf der Kippe, als Speedy und ich ihn in Paris sahen, diese Geschichte, die ihm dann den Garaus machte, die hatte ihn da schon im Griff, und auch wenn das dann ein Schock war, als ich hörte, er habe sich umgebracht, erstaunt hat es mich eigentlich nicht. Es waren die kleinen Mädchen, die allzu jungen Dinger, die es ihm zu sehr, allzu sehr angetan hatten, und das ist wirklich gefährlich mit denen, nicht nur, weil du mit einem Bein immer im Knast stehst, und das auch, ohne daß von dir eine nationalsozialistische Lebensweise gefordert ist, das rein bürgerliche Heldenleben, das reicht, das Bürgerliche Gesetzbuch bietet Handhabe genug, es sind die Mädchen selber, die blutjungen Dinger, die so unberechenbar sind, die einen Mann zum Wahnsinn treiben können, und auch da kann ich nur sagen: zum Glück gehen meine Leidenschaften nicht in diese unschuldige Richtung, sondern in andere, wo sich das Prinzip der Freiwilligkeit durchhalten läßt unter Volljährigen und der Mißbrauch ein anderer ist. Und das Fatale für Pascin war ja, daß ihm die Mädchen als Töchter von ihren wohlmeinenden Müttern geradezu ins Bett gelegt und jedenfalls als lockendes Frischfleisch vor die Staffelei gestellt wurden – er wähnte sich sicher und war es wegen dieser mütterlichen Oberaufsicht wahrscheinlich auch, vor der Polizei jedenfalls, nur nicht vor den Launen seiner Modelle, die mal wollten, mal nicht wollten, die auch stolz waren, von einem so berühmt-berüchtigten Modekünstler wie Pascin flachgelegt, gepudert und ihrer Jungfernschaft beraubt zu werden, dann aber plötzlich mit einem jungen Bubifax, einem Gleichaltrigen, ankamen und es pubertär und romantisch mit einem mal viel aufregender fanden. Zum Durchdrehen, zum schier Wahnsinnigwerden, und er war davon nicht nur völlig in seinen Leidenschaften okkupiert, sein ganzer Kopf war es, seine Emotionen, sein Denken und auch sein künstlerisches Wollen, und eigentlich war es vollkommen falsch, ihn Speedy malen zu lassen, und das besonders mit diesen Weiterungen, die ich dabei beabsichtigte. Speedy war zu alt für ihn. Sie hatte für seinen Geschmack zuviel Brust, und das, obwohl sie doch wahrlich eher kleine Titten hat – das mit den Titten, das ist mir mal jetzt eben so rausgerutscht und eigentlich nicht mein Sprachgebrauch, wo ich doch Brüste anbete, Speedys Brüste. Aber für Pascin waren das wohl schon Titten, was meine Speedy ihm da weniges anzubieten hatte, denn Pascin, er liebte die, die noch kleiner sind, die Knospen. Und er liebte den Babyspeck, und Speedy ist mager, und es war genau diese kurze vergängliche Zwischenzeit, wo ein weibliches Wesen noch halb Mädchen ist, halb aber schon Frau, auf die er fixiert war. Oben sprießen die Brüste, unten sprießt noch nichts. Speedy hätte zur Rasierklinge greifen müssen, aber auf diese Verjüngungskur muß man erst mal kommen, und Pascin verlangte es nicht. Pascin gab sich redliche Mühe, aber über ein paar Zeichnungen, ein paar Skizzen kam er bei Speedy nicht hinaus und sie auch mit ihm nicht weiter – hätte sie denn gewollt? Natürlich hätte sie gewollt. Speedy immer.

Nur um das hier mal festzuhalten: also an mir, an mir lag es nicht – erst in meinen Briefen an ihn, wo ich das Pascin schon angedeutet hatte, und dann bei unserem Gespräch am Abend unserer Ankunft in Paris, wo wir dann nach ein paar Gläsern in seinem Atelier in einer Bar landeten, da habe ich ihm das deutlich signalisiert, was meine Intentionen sind über das Bild hinaus, das er von Speedy malen sollte. Und er hat das doch auch begriffen, der gute Pascin, und er war von Speedy angetan, sehr sogar, und alles ließ sich bestens an. Und er fand das Ganze reizvoll, reizvoll als Arrangement unter Männern, reizvoll weil dekadent, très décadent, very sogar. Ein Mann, der einem andern Mann seine Frau anbietet. Zum Vernaschen, zum baldigen Verzehr. Und das unter Kollegen und über den Weg des Modellstehens. Als Akt. Also nackt. Und Speedy zeigt sich doch gern und freizügig und mit Hintergedanken dabei – von meinem direkten Angebot an Pascin, die verfängliche Situation mit der nackten, freizügig entblößten Speedy auszunutzen, davon wußte sie natürlich nichts, mußte sie auch nicht. Aber daß es darauf hinauslaufen würde, hinauslaufen mußte und von ihr aus auch hinauslaufen sollte, das war ja klar, das mußte zwischen uns nicht extra noch ausgesprochen werden, mein direktes Einverständnis, meine ausdrückliche Zustimmung war dazu nicht nötig. Das verstand sich doch wohl von selbst, und ich mußte es nur dem Lauf der Dinge überlassen, dem sexuellen Schicksal, der garantiert wirkenden Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern. Mehr wäre gar nicht nötig – dachte ich, und so dachte wohl auch Speedy. Ich erinnere mich noch an diesen schönen Satz von ihr am ersten Abend, als wir dann spät zurück in unserm winzig kleinen Hotelzimmer beim Gare Montparnasse waren, nachdem wir bei Pascin am Nachmittag in seinem Studio ein paar von seinen neuen Sachen gesehen hatten: daß seine Bilder wohl alle seine erotischen Erfahrungen reflektieren würden – das hast du schön ausgedrückt, Speedy, sehr treffend. Daß es wohl, ohne gleichzeitig auch seine Maitresse zu sein, gar nicht möglich sei, von Pascin gemalt zu werden, und, wie sie das sagte, da war klar, daß dies sie nicht etwa abhalten würde, sich von ihm malen zu lassen. Wahrscheinlich bekam das da erst seinen Reiz für Speedy, von Pascin gemalt zu werden. Gemalt und gepudert. Gemalt, weil gepudert. Gepudert, weil gemalt, und die Frage war dann für sie wohl nur noch: was zuerst? Zuerst gemalt und dann gepudert oder umgekehrt und erst gepudert und dann gemalt? Faire l’amour mit ’nem ganz großen Avec, nicht wahr. Und dann erinnere ich mich an diesen bezeichnenden Satz, den sie mir sagte, als sie aufgekratzt aus der engen Toilette mit der noch engeren Dusche zu mir ins winzige Hotelzimmerchen mit dem schmalen, weil französischen Doppelbett kam, lachend, laut auflachend: daß sie hoffe, nach ein paar Tagen Paris in ein bequemeres Bett umziehen zu können – in wessen Bett war ja klar, und deutlich genug war auch, daß sie allein von sich dabei sprach und nicht etwa dem jung und frisch verheirateten Ehepaar Schlechter und also von uns beiden. Und das gefiel mir natürlich, mächtig sogar, daß sie das sagte, so offen sagte, denn so, genau so hatte ich’s doch gewollt und intendiert und heimlich schon mit Pascin so gut wie verabredet. Aber ich wollte es nicht nur gedacht, ich wollte es ausgesprochen haben. »Du beabsichtigst also«, fragte ich, süffisant lächelnd, »deinen Mann auf der Hochzeitsreise in einer so elenden Absteige alleine zu lassen?« »Ich beabsichtige es, fürwahr«, antwortete Speedy, »ein Mann, der seiner Frau nicht mehr zu bieten hat als so ein elendes Loch hier, der hat es nicht anders verdient.« Oh, das ging mir durch und durch, das war schön, das quälte und sollte weh tun und bedeutete natürlich noch viel mehr als nur unsere Pariser Schlafgelegenheit, sondern auch den Beischlaf, den wir nicht vollzogen, nicht mal in der Stadt der Liebe, noch nicht mal auf unserer Hochzeitsreise, noch nicht mal da. »Du bist drauf und dran«, sagte ich mit wollüstig zitternder Stimme, so, als empörte mich dies, »schon zwei Tage nach unserer Vermählung Ehebruch zu begehen, das ist allerhand.« »Aber«, sagte Speedy ganz gelassen, »vorher ging es doch nicht, in der Hochzeitsnacht waren wir beide zu betrunken, um davon etwas zu haben, und die Nacht von gestern auf heute, die haben wir im Zug verbracht.« Und dann würde sie das auch keinen Ehebruch nennen, wo ich’s doch wüßte und nur allzu sehr damit einverstanden wär, sie vollziehe nur unsere Ehe, und sie betonte das Wort unsere dabei, die eben eine andere Ehe sei als normal.

»Ich vollziehe die Ehe mit einem andern Mann.«

»Mit Pascin?«

»Nehme ich an.«

»Dann laß dich in die Arme nehmen, Frau, und laß dich küssen und laß dich von mir beglückwünschen zu diesem Mann.«

Speedy kam zu mir ins Bett, ich schmiegte mich an sie, und ich bedeckte ihre Brüste mit Küssen, und ich glaube, so nah, so innig miteinander verbunden und vertraut, so sehr verheiratet also waren wir nie wieder wie in diesem Moment. Und dieses Glück, es hörte auch nicht auf, als ich sie auf ihren Mund küßte, zaghaft und scheu wie ein Pennäler, und Speedy dann sagte: »Pascin küßt sicher besser als du.« Ja, natürlich, Pascin, Pascin, und natürlich küßt er besser – mir ging einer ab, als sie das sagte, und ich benetzte ihre Schenkel dabei, und Speedy faßte nach meinem Schwänzchen und sagte, so würde sie’s am liebsten haben, so abgewichst und weich, so ungefährlich und so unmännlich auch, und ich war selig. Ich war selig, ich war glücklich, ich war frei, frei auch auszusprechen, was mich bewegte, mich umtrieb, mich als Gedanken nicht losließ.

»Weißt du eigentlich, was ich mir wünsche, liebste Frau, als das größte Hochzeitsgeschenk von dir mir erhoffe?«

»Du wirst es mir jetzt sagen, und ich werde sehen, ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann.«

»Ich wünsche … «

Für einen Moment stockte ich doch und genoß es dann um so mehr, meine Scham ihr gegenüber zu überwinden.

»Ich wünschte, ich dürfte … «

Und diesmal stockte ich nicht aus Scham, sondern zögerte es lust- und absichtsvoll hinaus.

» … daß ich von euren vereinten Liebessäften kosten, sie schlürfen darf, nachdem Pascin an meiner Statt die Ehe mit dir vollzogen hat.«

»Das ist dein Wunsch?«

Speedy sah mich etwas ungläubig, aber doch gnädig an.

»Ja, das ist mein Wunsch, das ist er – wirst du ihn mir erfüllen?«

»Aber das hieße ja, daß ich nach dem Vollzug der Ehe mit ihm noch einmal hierher zu dir zurückkommen müßte in dieses lausige Hotelzimmerchen.«

Oh, diese Aussicht gefiel ihr gar nicht, meiner grausamen Ehegattin.

»Wir könnten es bei ihm auf der Treppe machen«, beeilte ich mich zu sagen, »oder du läßt mich heimlich ein, während er schläft.«

»Am liebsten wär’s dir wohl, ich ließe dich zwischen meine Schenkel, wenn der neben mir liegt, der mich begattet hat.«

Ich darauf, einfach und klar: »Ja.«

Speedy darauf, mir Hoffnung machend: »Wir werden sehen, was sich machen läßt – versprechen kann ich dir nichts.«

»Ich würde vor der Tür warten.«

»Wie ein treues Hündchen.«

»Wie dein treues Hündchen.« Ich betonte das dein.

»Und du würdest horchen … «

Ich nickte. Und Speedy flüsterte:

» … und mich dann schreien hören vor Lust.«

Speedy – Skizzen

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