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Kapitel 29: Die Kandidaten

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An diesen Henri Guilbeaux hatte ich als erstes gedacht, dann erst als zweites an Ernst von Salomon, nachdem ich meinen ersten Kandidaten als zu links für Speedy verworfen hatte. Von beiden wußte ich, daß Speedy sie kannte, mit beiden hatte ich sie bei meinem Bruder im Lokal im Gespräch gesehen, im vertrauten Gespräch, wie es mir schien, aber in meines Bruders Schlechter traf sich alle Welt, das ganze Berliner Künstlervölkchen plus intellektuellem Anhang, weshalb das ja auch für mich immer eine gute Basis war für meine Unternehmungen, dieses brüderliche Künstlerlokal. Bei beiden hatte ich es für möglich gehalten, daß Speedy mit ihnen etwas gehabt hatte. Guilbeaux lag näher, weil sie ihn aus Genf kannte, aus Genf, wo Speedy herkommt, wo sie aufgewachsen ist, und an Guilbeaux hatte ich vielleicht auch als ersten gedacht, weil Guilbeaux nicht ganz so schlimm gewesen wäre, denn Guilbeaux, Guilbeaux war eine Nummer kleiner, war nicht ganz so bekannt wie Ernst von Salomon, den in Berlin doch jeder kannte, der immer wieder doch auch in der Zeitung stand. Guilbeaux war Franzose, war Anarchist, ein Salon-Anarchist, niemand, der Bomben warf oder Höllenmaschinen konstruierte. Guilbeaux war ein Literat, er hatte in Paris kurz vor Ausbruch des Krieges eine Anthologie deutscher Lyrik herausgegeben, von Nietzsche bis zur Gegenwart, und Guilbeaux war Pazifist, Guilbeaux war bei Ausbruch des Weltkrieges aus Frankreich weggegangen, war nach Genf emigriert, aber das war noch ein bißchen früh für Speedy, die in der Zeit ja noch ein pubertierendes Mädchen war. Sie war Guilbeaux in Genf erst später begegnet, als er dort für die Sowjets beim Völkerbund tätig war, allerdings publizistisch nur, nicht als Diplomat. Und als Mann, der einen gewissen Nimbus hatte, weil er in Frankreich während des Krieges als Vaterlandsverräter gesehen, sogar wegen Einverständnisses mit dem Feind verurteilt worden war – einfach, weil er nicht mitmachen wollte im Krieg gegen Deutschland und die deutsche Lyrik, und zu einem solchen Irrsinn, einen so harmlosen Mann anzuklagen und zu verurteilen, dazu ist sicher erst unser glorreiches Jahrhundert fähig, unsere schöne, garstige Epoche, die es fertigbringt, einen noch viel harmloseren Maler wie mich wegen unnationalsozialistischer Lebensweise, wegen meiner angeblich unnationalsozialistischen Lebensweise hinter Gitter zu bringen. Und Guilbeaux hatte dann auch wirklich ein paar Monate gesessen, nach seiner Rückkehr nach Frankreich, 1924, nachdem der Krieg doch schon ein paar Jährchen her war – gut, sie haben ihn bald wieder amnestiert, aber Knast bleibt Knast, und Guilbeaux, die zarte, pazifistische Seele, blieb davon gezeichnet, ein Frankreichhasser und deshalb wohl den Russen so lange treu, selbst als der Genosse Stalin kam, den er interessanterweise nicht für einen Kommunisten hielt, sondern für einen Nationalsozialisten, ohne ihm dies aber zum Vorwurf zu machen – klar, daß das dann so gut wie niemand mehr nachvollziehen konnte. Und irgendwann meinte er sogar, daß Lenin kein Kommunist gewesen sei, sondern der erste große Führer des erwachenden Asiens. Ein einsamer Mann, gewitzt und angriffslustig. Ich habe ihn gemalt, habe sein Portrait gemalt. Aber das war später.

Ich habe auch Ernst von Salomon gemalt, der ein anderes Kaliber war und ein wirklich gefährlicher Mann, wegen Beihilfe zur Ermordung von Walther Rathenau zu fünf Jahren Haft verurteilt, Mitglied der Organisation Consul – Salomon stellte das Mordauto zur Verfügung, und er wußte, was er tat. Auch er also ein Knastrologe – was für ein Jahrhundert. Ein brillanter Kopf, sehr wendig: erst Attentäter, später Schriftsteller, mit Ernst Jünger befreundet und über Ernst Jünger also auch mit mir zumindest gut bekannt. Einer dieser, wie ich meinte, sauberen, geradlinigen Rechten, erstaunlich anständig auf seine Weise, was man auch daran sieht, daß er sich, der erst von den Nazis so hofiert wurde, nach 33 vollkommen aus der Politik, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Soweit ich weiß, schreibt er jetzt Drehbücher. Und er sah gut aus – es gibt ein Foto von uns dreien zusammen: Speedy in der Mitte mit übereinandergeschlagenen Beinen, ihre fast bis zu den Knien reichenden Knöpfstiefel glänzen, auf der linken Seite, eng an sie geschmiegt, Ernst von Salomon, seinen Kopf an den ihren gedrückt, die ihm etwas auszuweichen scheint, auf der andern Seite ich, verdruckst, unsicher, aufgeschwemmt und häßlich wie immer. Salomon dagegen – was für ein Mann! Was für ein Kopf, was für ein Schädel! Speedy hatte das Foto jahrelang auf ihrem kleinen Schreibtisch stehen, und immer, wenn ich es sah, war ich eigentlich sicher, daß sie mit ihm im Bett war, im Bett gewesen sein muß. Ich glaube das auch heute noch – die Frage ist nur: ob sie’s vor meiner Zeit war oder auch danach noch? Ich weiß es nicht, werde es nie erfahren. Ich hab es verpatzt, denn Speedy kommentierte das, als ich den Namen Ernst von Salomon nannte, dann damit, daß sie mich kalt lächelnd fragte, ob ich denn glaube, daß sie es aufregend finden könnte, mit einem Mörder zu schlafen. Ich aber war so dumm einzuwenden, Salomon sei kein Mörder, worauf Speedy höhnisch sagte, er sei zwar an einem Mordkomplott beteiligt gewesen, er sei ein Verschwörer, doch natürlich mache das einen gewaltigen Unterschied, daß er dann aber selbst nicht auf Rathenau geschossen habe – sie hatte natürlich recht, daß das Quatsch war mit meiner Unterscheidung, besonders bei Salomon, der ja nicht naiv da irgendwo reingerutscht war, der genau wußte, worauf die Organisation Consul zielte, trotzdem aber würde ich da doch differenzieren, denn bevor das einer nicht wirklich tut, einen andern Menschen zu ermorden, weiß man ja nicht, ob er’s denn wirklich tun wird, auch der weiß es nicht, der sich das vorgenommen hat, vielleicht schreckt er im letzten Moment ja doch vor der Bluttat zurück, und Rathenau zu erschießen, der ungeschützt in seinem offenen Wagen die Königsallee entlangchauffiert wurde, das war natürlich feige und so anständig und geradlinig also nicht, wie ich es diesen Leuten wie Salomon gern nachgesagt hätte. »Nicht, daß es mir um den Juden Rathenau schade wäre«, sagte Speedy, und das war so nonchalant gesagt, daß es mir aufstieß, daß ich sie einen Moment lang richtig haßte, und noch ein bißchen mehr war sie mir zuwider, als sie, meine entsetzte Reaktion bemerkend, sagte, wir von der Linken hätten doch damals sicher auch unsere Listen fertig gehabt, wer bei unserer Machtübernahme gleich mal erschossen werden solle – ich hatte diese Liste nicht, und wenn, dann hätte ich da wahrscheinlich als unsicherer, perverser Kantonist auch mit draufgestanden, wenn auch auf der Liste der am zweiten Tag zu erschießenden. Aber der Vorwurf, er stimmte natürlich, und das ärgerte mich nur um so mehr, und ich verfluchte mich, daß ich mit ihr nun in dieser Situation, wo es doch um etwas ganz anderes ging, um unser Liebesleben, um die Bedingungen unserer Ehe, politisch zu diskutieren angefangen hatte, über Mord und Mord und Mord als Mittel im politischen Kampf und dann noch über den Juden Rathenau, der mir zwar nicht als Jude widerlich war, aber als reicher Bubifax, als jemand, der mit dem goldenen Löffel im Mund groß geworden war und über den ich mich dann noch einmal mehr innerlich aufregen mußte, weil ich das eigentlich ganz vernünftig fand, was er als Außenminister für Deutschland in der verfahrenen Situation nach dem verlorenen Krieg getan hat – wofür ich mich aber jetzt noch verfluche, das ist, daß ich aufgrund meines blöden Einwands, Salomon sei kein Mörder gewesen, nie erfahren habe, ob Speedy das nicht vielleicht doch aufregend hätte finden können, mit so einem Mann zu schlafen, mit einem Mörder, oder Fast-Mörder – hätte ich auf ihre Frage geantwortet: Ja, das könne ich mir vorstellen, ich wüßte es jetzt vielleicht und müßte nicht darüber spekulieren, ob sie mit Salomon geschlafen hat, mit ihm im Bett war. Und wenn sie mit ihm im Bett war, dann hat sie sich natürlich auch von ihm beschlafen lassen – wozu eigentlich diese selbstverständliche Bemerkung? Wohl nur, um mir noch einen Satz länger vorstellen zu können, sie hätte es, sie hätte mit ihm geschlafen, sich von ihm beschlafen lassen. Hat sie oder hat sie nicht? Diese Frage blieb also offen und unbeantwortet, und während ich dann später das Portrait von Solomon malte, ging sie mir die ganze Zeit im Kopf herum, diese verdammte Frage. Natürlich hat sie.

Speedy – Skizzen

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