Читать книгу Speedy – Skizzen - Florian Havemann - Страница 34

Kapitel 30:?

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»Du solltest deine Spekulationen seinlassen, sie führen zu nichts.«

Da war ich mir nicht so sicher, und ich sagte das Speedy auch, daß ich mir da so sicher nicht wäre.

Darauf Speedy, sehr entschieden im Ton:

»Dann behalte sie für dich, deine nutzlosen Spekulationen, sie interessieren hier nicht.«

Und als sie das sagte, bekam ich nur ein verzweifeltes Aber heraus, auf das drei vielsagende Punkte folgen müßten, denn Speedy schnitt mir einfach meinen Satz mit der Bemerkung ab:

»Du mußt lernen zu schweigen.«

Ich nahm es hin, ich protestierte nicht, ich schwieg. Ich ließ es zu, so barsch von ihr zurechtgewiesen zu werden, ließ es mit mir geschehen, wußte ich doch, warum sie dies tat: sie wollte nicht, daß wir diese für uns beide so wichtigen Momente mit Geschwätz ausfüllten, mit Geschwätz unkenntlich machen, sie wollte zusammen mit mir diese für uns beide als Paar so entscheidende Situation im vollsten Bewußtsein erleben, und sie wollte, daß ich sie spüre, ihre Macht, daß ich sie fühle, mit aller Macht fühle, die Erniedrigung, der ich mich aussetzte, der ich mich durch sie ausgesetzt sah. Daß ich sie voll und ganz auskoste. Und sie tat gut daran. Der Geschmack war bitter, der Geschmack war herb, der Geschmack war süß.

Abrupt und völlig unerwartet für mich stoppte sie, hielt sie plötzlich an und machte auf dem Absatz kehrt, und hier stimmt dieser Ausdruck auf dem Absatz kehrt wirklich, denn Speedy trug an diesem besagten Abend Absätze unter ihren Schuhen, Absätze, die sie ein Stück weit größer machten als mich kleinen, zu kleinen, etwas zu klein geratenen und auch als Mann zu klein geratenen Mann – leider nicht das Paar Knöpfstiefel an diesem Abend, der doch der unserer Verlobung war, aber schließlich hatte sie nach unserer kleinen Feier noch etwas anderes vor und nicht mir, sondern einem anderen Mann zu gefallen. Ich war so wenig auf diese plötzliche Kehrtwendung gefaßt, daß ich erst noch ein paar Schritte weiter und damit wie ins Leere lief, bevor ich zum Stehen kam, um ihr dann hinterherzustolpern. »Was hast du, was ist?« fragte ich sie unbeholfen, als ich dann wieder an ihrer Seite war, sie aber legte nur ihren Zeigefinger auf den Mund, mir zu schweigen gebietend, und nachdem wir schweigend dann ein paar hundert Meter nebeneinanderher marschiert waren und sie dann wieder stoppte, an einem Haus stoppte, an dem wir vorhin schon einmal vorübergelaufen waren, glaubte ich zu verstehen, was dieses ganze Manöver eigentlich sollte und bezweckte: wegen meinem Gequatsche war sie an dem Haus vorbeigegangen, das ihr Ziel war, an dem Haus, wo ihr Liebhaber wohnte, weil sie mich still haben wollte, schweigend und im Schweigen fähig zu erfassen, was wir hier beide an unserem Verlobungsabend taten beziehungsweise was sie mit mir hier veranstaltete, wozu sie mich zwang. Ich sollte es erleben, erleiden, voller Bewußtsein erfassen – grausame Speedy, wunderbare Speedy. Soviel wirklich Bedeutsames bietet das Leben doch nicht, und meist wissen wir’s erst im nachhinein, daß wir etwas schicksalhaft Bedeutsames erlebt haben, spüren es nicht in dem Moment, wo es uns geschieht.

»Wir sind angekommen«, sagte Speedy und sah mich eindringlich an.

»Ja«, sagte ich mit tonloser Stimme, »wir sind also angekommen.«

»Ja, wir sind angekommen«, sagte Speedy und lächelte für einen kurzen Moment, »du hast mich tapfer bis zu seiner Haustür begleitet, aber du weißt ja, deine Aufgabe ist noch nicht beendet. Du wirst mich jetzt noch zu seiner Wohnung hochbringen, du wirst es sein, der an der von mir bezeichneten Tür klingelt, und dort dann wirst du den Namen desjenigen Mannes lesen können, dem du mich an diesem Abend überläßt, und du wirst mich ihm dann ganz lieb und artig übergeben, uns beiden sehr, sehr höflich eine schöne Zeit zusammen wünschen. Ich beabsichtige, die Nacht mit diesem Mann zu verbringen, und so ist das auch zwischen ihm und mir verabredet. Es hat also keinen Zweck hier vor der Haustür zu warten. Die Nacht ist zu kalt, du würdest dir den Tod holen – ist das klar, hast du das alles verstanden?«

Ich nickte, ich sagte atemlos: »Ja.«

Speedy sah mich prüfend an, und nach einem Moment des Schweigens sprach sie weiter und sagte: »Du kannst jetzt noch wegrennen, aber du weißt, was dies bedeutet, dann sehen wir uns niemals mehr wieder.«

Ich blieb. Ich blieb stehen, und dann ging ich die drei Stufen zur Haustür hoch, ich öffnete die Tür und hielt sie Speedy auf, die dann vor mir die breiten Treppen dieses gutbürgerlichen Wohnhauses hinaufging. Ich folgte ihr, und ich erinnere mich nur an die Bewegungen ihrer schlanken Beine in den schwarzen Pumps, an den Saum ihres Pelzmantels, der bei jeder Stufe hin und her wippte, als wolle er sich über mich lustig machen. Und meine Gefühle? Keine Gefühle, ich fühlte mich wie tot, wie der Verurteilte, der die Stufen zum Schafott erklimmt und längst mit seinem Leben abgeschlossen hat. In der dritten Etage hielt sie an und stellte sich vor die große, dunkle Eichentür auf der linken Seite. Ich ging zur Klingel, ich las den Namen Masseck und drückte auf den Klingelknopf, die Klingel gellte laut. Ich hörte Schritte, die sich der Wohnungstür näherten – wer war Masseck? Wer nur war das? Masseck – der Name sagte mir nichts, überhaupt nichts, und dabei hatte mir Speedy doch angekündigt, ich würde ihn kennen, diesen Mann. Diesen Mann, der ihr Liebhaber war. Dann öffnete sich die Tür, langsam, viel zu langsam, als solle ich auch in diesem letzten Moment noch einmal auf die Folter gespannt werden. Sie öffnete sich, die Tür, und hinter ihr wurde ein junger Mann sichtbar, höchstens dreißig Jahre alt, gut aussehend, ja, gut aussehend und nicht nur wesentlich jünger als ich, auch entschieden besser aussehend als ich, und das also war Masseck, und nun erkannte ich ihn auch: das also war Masseck, Richard Masseck, genau – Speedy hatte ihn mir mal auf einer Party vorgestellt, auf einer Party, die aber auch eine Premierenfeier gewesen sein kann, bei Piss, wie Grosz ihn nannte, beim Pisskater Piscator in seinem Theater am Nollendorfplatz, aber so wichtig ist das nicht. Ich kannte ihn also, diesen Richard Masseck, hatte ihn einmal gesehen, nichts davon ahnend, daß es zwischen ihm und Speedy eine nähere Verbindung geben könnte, eine intime, aber ich war ja blind für so was, und Speedy hatte ihn mir ja auch nur ganz kurz vorgestellt, mehr nicht, diesen jungen, auffällig gutaussehenden Mann, und zwar als den Zeitungsschreiber, der so nett gewesen war, ihr ausdrucksstarkes Gesicht in seiner Filmkritik zu erwähnen – BZ am Mittag, genau, und Masseck, Richard Masseck war derjenige, der in diesem billigen Massen- und Revolverblatt die Filmkritiken schrieb, und Speedy kannte ihn deswegen, weil sie ja in ein paar Filmen mitgespielt hatte, in unbedeutenden Nebenrollen, und dies, wie ich annahm, eigentlich nur zum Zeitvertreib und weil sie Besseres doch nicht zu tun hatte und vielleicht auch ein paar Kröten verdienen wollte, auf leichte Weise, und daß sie Masseck, einen Filmkritiker, kannte, es hatte mich doch nicht weiter verwundert, wo es doch diese Verbindung gab, und Speedy, Speedy kannte viele, kannte ganz Berlin.

Speedy – Skizzen

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