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Kapitel 24: Rom unter neuen Bedingungen

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Ich verändere also das römische Konzept wie folgt:

Flavia, eine junge Dame aus gutem Hause, etwas heruntergekommen, weil sie so dumm war, einen Künstler nicht nur zu lieben, sondern auch noch zu heiraten, und die Kunst, sie war auch schon im alten Rom wechselnden Moden ausgesetzt, und das gilt insbesondere für die Dichter, denn ein Dichter soll es ja nun sein, den diese Frau, den Flavia liebt, den sie geheiratet hat und wegen dem sie von ihrer Familie enterbt wurde. Der Hintergrund, daß sie aus einer Oberklassenfamilie kommt, dürfte wichtig sein. Ein altes Patriziergeschlecht sollte es schon sein, eine Familie mit Geschichte und eben auch Verbindungen in die höchsten Kreise. Die Flavia dann für sich nutzen wird. Für sich und für ihren Mann, den Dichter, den ich nun also in die Verbannung geschickt habe, in die Verbannung, nicht mehr ins Gefängnis. Vielleicht nach Sizilien. In irgendein kleines Nest, aus dem er natürlich nur zu gerne wieder herauskäme. Rom allein ist die Welt. Ein Dichter ist wegen der Zensur gefährdet, die immer wieder zuschlägt und einen Dichter also in arge Bedrängnis bringen kann, besonders, wenn er Satiren schreibt und sich, sei es auch nur in Nebensätzen, politisch äußert. Die politischen Verhältnisse in Rom, sie ändern sich durchaus und immer wieder auch in überraschender Weise. Das kennen wir ja jetzt auch zur Genüge. Und in Rom hatte das immer was mit diesen Dynastiewechseln zu tun. Es war leicht möglich, politisch auf die falsche Karte zu setzen. Wenn ich die Geschichte nun aber in die Zeit der Severer versetze, dann kann es um mehr gehen, um Grundsätzlicheres, um das Grundproblem des Römischen Reiches, daß sie dann mit steigender Dekadenz nicht mehr genug Soldaten hatten. Daß es an Menschennachschub fehlte, weil die stolze Römerin in den Geburtenstreik getreten ist. Auch meine Flavia hat natürlich kein Kind. Eine junge Frau, die ihre Familie verläßt beziehungsweise aus ihr ausgestoßen wird, gründet dann nicht gleich selber eine. Eine solche junge Frau muß eine Abenteurerin sein. Sittenverfall, und gegen den um sich greifenden Sittenverfall wollte der erste Severer angehen, Severus, damit die römischen Frauen wieder mehr Kinder kriegen, und also Soldaten für die römischen Kriege. Auch das kennen wir ja jetzt. Das Mutterkreuz und die Prämie ab dem dritten Baby. Und Speedy ist natürlich auch kinderlos. Und dieser Dichter dann, er müßte gar nicht im eigentlichen Sinne politisches Zeugs geschrieben haben, was Erotisches dürfte reichen, um ihn unter veränderten Verhältnissen, bei einem staatlich forcierten Kampf gegen den allgemeinen Sittenverfall in die Verbannung zu schicken. Und ein erotischer Dichter wäre wohl auch das, was für eine Flavia Verlockung genug gewesen sein dürfte. Sie als seine Muse, die in seinen Liebesgedichten Angebetete. Wie ja auch ich Speedy immer gemalt habe und nur sie, meine Frau. Sie hatten also eine schöne, bewegte Zeit, die beiden, am Anfang ihrer Ehe, bis dann der Staat mit seiner Verbannung losschlug. Und nun ist sie allein in Rom, und ihr Dichter steckt, fern von Rom, in einem verdammten sizilianischen Nest fest. Und will zurück. Will um alles in der Welt zurück nach Rom, in die Hauptstadt der Welt. Das könnte eine Mischung sein: daß sich Flavia geweigert hat, ihrem Mann in die Verbannung zu folgen, daß er dies aber gar nicht von ihr verlangt hat. Daß er dies gar nicht von ihr verlangt hat, zu verlangen gewagt hat, ahnend, daß sie diesen Schritt vielleicht, wahrscheinlich nicht mitgehen, sich ihm verweigern würde. Wie das zwischen Eheleuten so geht. Daß es nicht ausgesprochen wird. Und man sich das dann schönredet, und Flavia bleibt also in Rom mit dem Auftrag ihres Mannes zurück, ihn aus der Verbannung zu erlösen, ihm die Rückkehr nach Rom zu ermöglichen. Sich dafür einzusetzen. Sich bei den hochgestellten Persönlichkeiten einzusetzen, die sie durch ihre Familie kennt, und auch er hat ja noch Verbindungen von früher. So eine alte Welt, die stirbt ja nicht gleich, nur weil ein neuer Cäsar das so will. Und die alten Zeiten, sie könnten ja auch wiederkommen. Die Hoffnung existiert. Die Hoffnung auf ein Scheitern der neuen, sittenstrengen Politik. Weil die Dekadenz einfach zu fortgeschritten ist, sich schon zu tief in die zwischenmenschlichen Verhältnisse eingefressen hat. In den Volkskörper, wie man heute vielleicht sagen würde.

Und dann passiert es, passiert es Flavia, daß sie die Freiheit, ohne ihren Mann zu sein, zu genießen beginnt, daß sie also wechselnde Affairen hat. Erst läßt sie sich auf diese Affairen mit hochgestellten Persönlichkeiten ein, um durch sie Protektion für ihren verbannten Mann zu bekommen, dann aber will sie eigentlich gar nicht, daß ihr Mann wieder nach Rom zurückkehren kann, will sie doch die gewonnene sexuelle Freizügigkeit nicht verlieren. Wenn sie dann Erfolg hat und der Rückkehr ihres Mannes aus der Verbannung nichts mehr im Wege steht, schreibt sie ihm einen langen Brief, einen Brief, in dem sie ihm die Bedingungen ihres zukünftigen ehelichen Zusammenlebens diktiert: Sie wird Liebschaften haben, sie wird insbesondere die Geliebte des Mannes bleiben, bei dem sie sich für seine Rückkehr eingesetzt hat und von dem die Entscheidung darüber abhängt – stimmt der Dichter dieser Regelung nicht zu, wird er die Erlaubnis zur Rückkehr nach Rom nicht erhalten. Sonst nicht. Ganz brutal. Von der Reihenfolge her aber sollte es vielleicht andersherum gehen: erst, daß es ihr gelungen ist, an den Mann heranzukommen, der über die Aufhebung der Verbannung des Dichters entscheidet, daß sie dies nur erreichen konnte, indem sie die Geliebte dieses Mannes wurde, und daß dieser nun die Rückkehr des Dichters davon abhängig mache, daß sie auch dann noch seine Geliebte bleibe – alles so dargestellt, als hätte sie ihr Bestes für ihren Mann versucht, als wäre eine andere Lösung nicht herbeizuführen. Dann aber die Wendung, in der sie ihrem Ehemann mitteilt, sie sei mit dieser ihm auferlegten Bedingung vollkommen einverstanden, ja, sie habe die sogar selber vorgeschlagen. Sie wolle die Geliebte dieses Mannes bleiben, der ihr ein Leben bieten könne, wie es dem Dichter nicht möglich sei. Dann das Geständnis: sie habe, um an diesen Mann, dessen Geliebte sie nun sei, heranzukommen, diverse Affairen eingehen müssen und sei dabei auf den Geschmack gekommen. Sie habe ihre Freizügigkeit genossen und ihn sehr rasch nicht mehr vermißt – natürlich steht dahinter meine Angst, auch Speedy könnte es so gehen, seit ich hier im Gefängnis bin. Daß sie froh ist, mich los zu sein, mich außer Haus zu haben. Aber eigentlich dürfte Speedy das doch nicht nötig haben. Ich meine: warum sitze ich hier? Wegen meiner unnationalsozialistischen Lebensweise, die es Speedy schon vorher erlaubte, ihrer Wege zu gehen, ihre Affairen zu haben, ihre Liebhaber sogar als unsere Untermieter ins Haus zu holen, und das dann auch noch zu zweit. Doch die Wendung bei Flavia in Rom geht ja ein Stück weiter, und auch Speedy könnte diesen Schritt gehen, alles zu meinem Besten. Um mich wieder freizukriegen. Ich weiß doch nicht, wo sie anklopft und was dieser Mann, bei dem es sich um eine hier nun höhergestellte Persönlichkeit, eine Größe des Regimes handeln muß, dann von Speedy verlangt. Was er ihr für ein Leben bieten könnte. Welchen Aufschwung in ihren Lebensverhältnissen. Raus aus dem Elend an der Seite eines Malers, der keine Bilder verkauft.

Speedy – Skizzen

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