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Kapitel 35: Sünden-Babelsberg

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Ein Abgrund tat sich für mich auf, ein Abgrund an Verworfenheit – was waren wir doch alle harmlos dagegen in unserer kleinen Tingeltangelwelt. Und bei unseren Ausstellungseröffnungen, wo nur die nach Ölfarbe stinkenden Malweiber rumhockten und gern abgeschleppt worden wären von unsereins, den Künstlern mit Namen. Ein Abgrund, ein sehr reizvoller Abgrund, das muß ich schon sagen, Babylon Babelsberg und Speedy mittendrin, die große Sünderin. Und sie sah es mir an, daß sie mir Eindruck machte mit ihrem Vorleben, ihrem bewegten Vorleben, und das löste ihre Zunge, das brachte sie zum Erzählen, und sie erzählte stundenlang – ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern, das verschwimmt bei mir im Gedächtnis zu einem großen Sittenbild der großen Sittenlosigkeit, faszinierend. Sie erzählte von mehreren Festen, zu denen sie eingeladen oder einfach direkt vom Dreh mitgenommen worden war, von Festen, auf denen es heiß herging, die schon mittags begannen und mitten in der Nacht erst endeten. Feste, bei denen nach und nach alle die Babelsberger Filmgrößen aufkreuzten, sich wenigstens mal für eine halbe Stunde blicken ließen, auch die von der jeweiligen Konkurrenz. Sie nannte keine Namen, und diese Namen, sie hätten mir auch nicht viel bedeutet, die Filmwelt, das war nicht meine. Und sie erzählte davon, daß man sie dorthin rudelweise einlud, die kleinen Filmsternchen, die Mädchen mit den Nebenrollen, die aus der zweiten, dritten Reihe, daß sie sozusagen dazu da waren, so ein Fest, so eine garden-party mit ihren weiblichen Reizen zu garnieren, mit Reizen, von denen man annahm, sie würden sie freizügig zur Schau stellen und spielen lassen – wer nicht mittat, der wurde dann nie wieder eingeladen, und dort eingeladen zu sein, das war ein Muß für die Mädels, wollten sie eine nächste Rolle ergattern, und Speedy tat mit, tat gern mit, wie sie sagte, im aufreizenden Geschnatter und Gekicher der Mädchen, wie sie in diesen Kreisen nur genannt wurden, und sie tat auch gern mit, wenn’s ans Ausziehen ging zum Baden im pool, wie die Babelsberger Schwimmbecken genannt wurden, als wär’s in Hollywood. Man erwartete das von den Mädchen, das Ausziehen, und daß sie im Wasser planschen, und das natürlich ohne Badeanzug. Und Speedy erzählte, daß es dann immer darum ging, wer von den Mädchen mehr zeigte und daß das wie von selbst unter den Mädchen selber entstand, als Spiel und sich gegenseitig anfeuernd und untergründig natürlich angetrieben von der Konkurrenz, die es zwischen ihnen gab, als Kampf um die nächsten Rollen, von denen es natürlich immer zu wenige gab, als daß alle davon hätten satt werden können, von der Filmerei. Und sie sagte, daß sie da Momente erlebt habe, wo sie sich so frei gefühlt hätte, wie sonst nie in ihrem Leben. Völlig schamlos, als ob es das gar nicht gäbe, die Scham, jenseits aller Schamgefühle, völlig hemmungslos. Sie erinnere sich an einen heißen Nachmittag, wo sie mit weitgespreizten Schenkeln, den Kopf zurückgeworfen, als würde sie sich sonnen wollen, neben einem riesigen pool gesessen habe, zwei Meter entfernt von einer Gruppe trinkender Männer, die sie begafften, von denen sie sich begaffen ließ, und die sich darüber unterhielten, ob sie denn wohl auch gut im Bett sei. Und als ich sie fragte, ob sie dies diese Männer auch habe ausprobieren lassen, wie gut sie im Bett sei, da lachte sie nur, lachte sie mich erst nur aus wegen meiner Naivität und sagte dann, daß es das Ziel aller Mädchen gewesen sei, mit einem der Männer dort ins Bett zu kommen – die Frage war nur, mit wem und wie wichtig der Mann war, den sie ergattern konnten. Es hätte die gegeben, die ganz scharf auf die Prominenten gewesen wären, auf die bekannten Filmgrößen, die Stars, die berühmten Schauspieler – wie rührend, sagte Speedy, wie naiv, denn bei der Besetzung der Nebenrollen sei es doch auf die Herren Schauspieler nicht angekommen, sondern auf ganz andere, die Produktionsleiter, die Leiter der Besetzungsbüros, und auch ein Kameramann sei wichtiger, der meint, du hättest ein hübsches Gesichtchen, du seiest womöglich fotogen. Zu dieser Fraktion, zu der der klugen, der durchtriebenen, zu der hätte sie gehört, und das sei ganz wichtig für sie gewesen, wichtig für ihre Entwicklung, denn da habe sie gelernt, daß die unansehnlichen Männer, die häßlichen Zwerge meist die besseren Liebhaber seien. Es habe eine Zeit gegeben, da habe sie sich ganz gezielt immer nur mit den besonders häßlichen abgegeben, da sei ihre Devise gewesen: je häßlicher, je besser, und das wäre für sie immer ein ganz besonderer Reiz gewesen, halb- oder ganz nackt bei so einem Widerling auf dem Schoß zu sitzen und sich von ihm befummeln zu lassen. Sie habe das geliebt, habe das genossen, ihre Schönheit, ihre weibliche Schönheit, neben dieser männlichen Häßlichkeit, und dabei ganz verliebt zu tun und die Männer mit ihrer Verliebtheit verrückt zu machen, verrückt nach Liebe mit ihr. Ja, sie sei eine Hure gewesen in dieser Zeit, und sie habe dabei soviel über die Männer gelernt, wie sie zu bezirzen, wie sie zu fesseln sind, was sie von einer Frau wollen, wie sie die Frauen wollen, und Männer, wenn sie richtige Männer sind, würden Huren wollen, aber Huren mit Klasse, Huren mit Stil, Huren, die sie glauben machten, die Liebe ließe sich mit dem Gerammel verbinden. Sie könne jeden Mann haben, aber sie wolle nicht mehr jeden Mann, denn sie sei jetzt mehr als nur eine Hure, sie sei eine Hetäre, wenn ich wüßte, was das ist – natürlich wußte ich, was eine Hetäre ist, Schlechter weiß so was, Schlechter ist doch gebildet. Immerhin das – wenn auch kein Mann, dann doch wenigstens gebildet.

Gut beziehungsweise schlecht oder mir doch egal: die Filmjuden sind weg – aber wird es unterm Nazi in Babelsberg wesentlich anders zugehen, weniger verhurt, weniger babylonisch? Wo’s doch jetzt da auch noch einen Bock von Babelsberg geben soll – aber vielleicht will das kleine, geile Männchen mit dem Pferdefuß alles für sich haben, das ganze Frischfleisch, und es gibt also nur noch eine einzige Party, die in seinem Hause in Schwanenwerder. Alle hatten doch gedacht, und auch ich hatte das so gedacht, so angenommen, auch wenn’s mich nicht weiter groß etwas anging, wo Speedy doch längst raus war aus der Filmhölle, daß es 33 dann mit der schönen deutschen, jüdisch versippten Filmindustrie Schluß sei, daß der Nazi nur noch Propagandastreifen drehen lassen würde, einen primitiver als den anderen, und das, obwohl Goebbels doch von Eisenstein und seinem Panzerkreuzer Potemkin so begeistert gewesen sein soll, sagt man. Aber nichts davon, sie haben einfach da weitergemacht, wo der Jude dieses großartige Medium der Volksaufklärung hingeführt hatte, weiter mit der jüdischen Unterhaltungskunst – nur ohne Juden, und es ging auch ohne sie, der stolze Deutsche hatte sich’s bei den Krummnasigen, Krummbeinigen abgeschaut, wie man’s macht, das Kameradrehen, Kameraschwenken, die Sache mit dem magischen Zoom und den Schleiern als Weichzeichner vor den abgelederten Gesichtern der alternden Stars, und es stellt sich schon die Frage, die vielleicht kulturgeschichtlich, auch sittengeschichtlich einmal interessante Frage nach dem Warum – weil sie schlau sind? Schlauer, als wir dachten? Das sowieso, so dumm und einfältig, wie wir waren, wir Linken. Oder wir von der nationalen Rechten, wir Jünger, Salomon, Bronnen, Schlechter, die miese Bande des Hochmuts. Und sie hatten und haben Goebbels, dem keiner das Wasser reichen kann als Propagandist. Der Trickser, der geniale. Aber vielleicht meinen sie das wirklich, sie haben Tausend Jahre Zeit und damit auch genügend für die Unterhaltung, denn man kann ja nicht immer nur strammstehen, herummarschieren, herumbrüllen und Nazifahnen schwenken. Die auf Dauer ein bißchen schwer sind. Was Leichtes muß her, die leichte Muse. Denn da ist Tünche nötig, im Land des Anstreichers, sehr viel Tünche nötig. Und Blendwerk und Illumination, und so einen Propagandaschinken wie den von dieser Bergsteigerin, den will sich auch ein fanatischer Nazi nicht jeden Tag anschauen, und das wahrscheinlich, weil das eigentlich Bauhauskunst ist, viel zu modern, Frau Riefenstahl – ja, Stahl und wenig gemütlich und was fürs Gemüt und für die Liebe zum Träumen davon, und für die Babelsberger Villa eignen sie sich auch nicht als Gäste, die rohen braunen Gesellen, die Statistenheere, die uns die Rosensträucher niedertrampeln würden. Das ist schon geschickt, nicht mehr als nur ein paar wenige richtige Nazi-Nazifilme im Jahr zu produzieren, und ansonsten geht es einfach seicht weiter.

Diese Babelsberg-Storys von Speedy, die wären dazu angetan, einen zum Antisemiten werden zu lassen, zum Judenhasser oder eben doch zum Judenbewunderer, und auch mich läßt es nicht kalt. Ich wäre gern dabeigewesen, hätte gern meine Speedy weit ihre Beinen am Beckenrand spreizen gesehen oder sie auf dem Knie eines eklig kleinen Zwerges und betatscht, befummelt, begrapscht und bemacht, und gleichzeitig sind mir das so widerwärtige Vorstellungen, und ich bin mir selber widerwärtig bis zum Kotzen, während ich mir diese Vorstellungen durchaus reizvoll vorstelle, der Anarchist meldet sich in mir zu Wort und hält flammende Reden und möchte eine Bombe reinwerfen in den Reichtum, die Privilegien, und der Judenhasser agitiert mich, hetzt mich auf, den es doch auch in mir gibt, in jedem Deutschen, und ruft: Hackt ihnen ihre jüdischen Schwänze ab, die deutsche Frau den Deutschen, aber eigentlich ist es doch der Sozialist in mir, von dem immer noch ein Rest übriggeblieben ist, der es einfach obszön findet, daß so das Geld regiert, so schamlos. Decken wir ein Braunhemd drüber, zensieren wir die Wahrheit weg, wozu haben wir sonst ein Propagandaministerium, kleistern wir sie mit einem neuen Ufa-Film zu, wozu haben wir’s vom Juden gelernt, wie man’s macht. Ein bißchen Sozialismus muß sein, Braunhemd-Sozialismus, National-, nicht Internationalsozialismus, denn für alle, für alle reicht es doch nicht, und die Chefs, die wollen doch immer auch noch was extra haben, überall auf der Welt, und seien’s die Bräute allein, die Filmbräute. Zum Vernaschen, zum baldigen Verzehr. Und uns speisen sie mit den Juden ab, uns werfen sie die Juden zum Fraße vor. Sie werden uns die Juden noch zu Wurst verarbeiten lassen, und wir werden uns mästen daran, zu Schweinen aufmästen, und aus ihren Knochen machen wir die Seife, die unser Drecksvolk endlich sauber kriegen soll. Nur wäscht man doch damit den Schmutz der Seele, der deutschen, nicht weg. Der Fluch überkomme uns noch bis in die fünfte Generation, die sechste. Abschaum der Menschheit, und das, weil wir glauben, daß sie potenter sind als wir, diese Geiger, diese Verkäufer von Wertheim, diese Filmfritzen, diese Filmjuden, denen wir doch unsern schönen deutschen Ehrennamen Fritz nicht mehr lassen wollen, noch nicht mal das, und die deutsche Frau schon gar nicht. Das deutsche weibliche Geschlechtsteil, es gehöre uns, uns deutsch deutschen Männern allein, basta. Hände weg, du Judensau, und sie sind ja wirklich oft eher schmierige Typen, aber das sind doch die Wiener auch – wäre ich Jude, Semit, ich wäre Antisemit, da ich aber Deutscher bin, hasse ich das deutsche Pack, die Österreicher mit einbegriffen. Der Führer kommt doch aus Österreich? Und die Schweizer Geldsäcke, das deutschsprachige, deutschdenkende Gesindel der Familie Koehler aus Genf, die packe ich gleich noch mit dazu auf den Scheiterhaufen meines Hasses, damit es dann schön brenne, wenn ich dereinst darangehe, den Deutschen in all seinen Facetten von dieser Erde zu vertilgen und am Ende mich, mich selbst.

Speedy – Skizzen

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