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Kapitel 23: Römische Geschichte

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Flavia, der Orkus, Wochen her, aber nicht vergessen, und ich korrigiere das ein bißchen, denn eines würde ich nun doch nicht mehr ernsthaft annehmen können, daß man aus so einem römischen Gefängnis wieder lebend herauskam – nur daß man vielleicht in die Arena entlassen wurde, um da dann einen Kampf auf Leben und Tod zu führen. Man brauchte ja unablässig Nachschub für Brot und Spiele. Aber nicht jeder taugt schließlich zum Gladiator, doch auch das war natürlich eine Variante, da einfach irgendwelchen wilden, exotischen Tieren zum Fraß vorgeworfen zu werden und der geifernden Menge zum Gaudi zu dienen – eine allerdings eben tödliche, und damit hatte es sich dann. Nichts für Flavia, keine Chance für Flavia, ihren Mann freizubekommen, wie sich ja auch heute für eine tapfere Frau wie Speedy die Frage stellt, ob sich denn der Einsatz für einen vielleicht längst Verlorenen wie mich überhaupt lohne, denn auch ohne Prozeßeröffnung, die sie, die Speedy möglicherweise unter Einsatz all ihrer Mittel und Möglichkeiten verhindern kann, droht doch das Lager, der Abmarsch ins KZ, der Weg also in den sicheren Tod für mich, denn das Jedem-das-Seine, das überleben doch nur ganz hartgesottene Burschen oder die hartnäckigen Kommunisten, Männer jedenfalls mit echten Überzeugungen, wie ich sie doch nicht habe. Will ich realistisch sein, dann muß ich’s umorientieren, muß ich die römische Problematik etwas verschieben, und das hieße dann, daß Flavias Mann besser in die Verbannung zu schicken wäre – was heißt hier besser? Besser sowieso, unvergleichlich viel besser, und selbst ich, hätte ich die Wahl jetzt, die Wahl zwischen Gefängnis und Exil, ich würde den Schuhputzerjob in New York wählen, aber nicht der Wahrheitsgehalt irgendwelcher allgemein zu beantwortender Fragen, hier interessieren allein nur ein Roman und seine Glaubwürdigkeit von der äußeren Handlung her, und da würde ich das schon so sagen, daß die Verbannung das Einzige sei, wo die gute Frau etwas für ihren Mann tun kann, und daß sie was tut und was das dann ist, darauf kommt es doch an, das ist doch die Geschichte, die ich erzählen will, die römische – ich meine, wenn ich überhaupt eine erzählen will, eine historische aus früheren Zeiten, und nicht nur von mir und der Gegenwart sprechen und von Speedy und der Nazi-Bande. Und von meiner mich sehr viel mehr interessierenden unnationalsozialistischen Lebensweise. Der Roman also – weiterführen, weiterschreiben oder nicht weiterschreiben? Das ist hier die Hamlet-Frage eines angefangenen Schriftsteller-Anfängers, und sie zu stellen, sie so zu stellen als Hamlet, der seinen Kopf unentschlossen auf die Hand stützt, die doch weiterschreiben will und muß, heißt, sie schon zu beantworten. Unter diesen meinen Umständen jedenfalls, wo ein bißchen Tarnung nur gut sein kann und günstig und Rom immer mal wieder auftauchen muß, damit ich von Berlin und seinem Vorort Erkner schreiben kann.

Nun gut, dann schicke ich ihn also in die Verbannung, den Mann von Flavia, und wenn ich schon einmal soweit bin, dann laß ich ihn auch einen Dichter sein, diesen Mann, denn: wen schickte man denn in die Verbannung? Den unliebsam gewordenen Dichter, den man wegen ein paar unliebsamer Worte doch nicht gleich umbringen wollte – ich meine, ich wollte das nie, einen Roman schreiben, und wenn ich darüber hinaus etwas überhaupt nicht wollen gewollt hätte, dann wär’s, einen Künstlerroman zu schreiben, denn so ein Künstlerleben, das ist ja eigentlich langweilig, und man holt sich Schwielen am Arsch vom vielen Sitzen dabei. Aber ich habe ja nun die Liegeerlaubnis und verbinde die Liege- mit der Schreiberlaubnis und schreibe also im Liegen, und so ein bißchen Gefängnis oder Verbannung, das wenigstens kann einem Künstlerleben nicht schaden. Jetzt schreibe ich einen Roman, wider Willen, widerwillig schreibe ich einen, und wenn ich schon mal soweit bin, dann schreibe ich eben auch noch einen Künstlerroman – ist ja für niemanden zum Lesen gedacht. Nur Tarnung. Der altrömische Schutzschild für andere Kämpfe, mehr zeitgemäße Krämpfe. Und da ich schon mal beim Ändern bin, sollte ich gleich auch die Zeit ändern, in der mein Roman spielt, mein historischer. Ich verschiebe es etwas nach hinten in der römischen Geschichte, in eine Zeit, wo’s noch dekadenter zuging in Rom – mir schwebt da so etwas wie diese Dynastie der Severer vor, die so stolz militärisch-militaristisch begann und so im Wahnsinn endete des völligen Sittenverfalls, und natürlich hoffe ich, daß sich dereinst hier ein Zeitbezug herstellen wird zu meiner Gegenwart und ich wegen prophetischer Gaben gerühmt, gepriesen werden kann. Läßt man die Bewegung beiseite, dann marschiert doch die Reichswehr, das Militär. Die Feldgrauen, denn die braunen Horden, die waren’s ja dann doch nicht, wie Röhm sich das noch erhoffte, bevor er von den schwarzen Todesengeln erlegt wurde, erschossen. Auf in die Militärdiktatur also.

Speedy – Skizzen

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