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Kapitel 32: Zeitungsschreiber Masseck

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Seine Wohnung, sie verblüffte mich dann doch, das muß ich schon sagen, sie paßte bei mir nicht unter das Stichwort BZ am Mittag: billig, primitiv, Massengeschmack, geistige Niveau- und Anspruchslosigkeit, Volksverdummung und dieses Zeug, was man so denkt und annimmt, ohne dieses Blatt auch nur mal eine längere Zeit gelesen zu haben, der typisch elitäre Standpunkt, das kulturbeflissene Vorurteil. Bei mir in einer verqueren Links-Rechts-Mischung: links, weil wir nicht den dummen Proleten die Schuld an ihrer Dummheit geben wollten und doch ja damit nie klarkamen, daß sie nicht klassenbewußt Revolution machten oder wenigstens wählten, sondern sich immer wieder reinlegen ließen, wie blöde Schafe ihren Metzgern auf den Leim gingen – manipuliert also, äußerst geschickt, mit perfidester Raffinesse manipuliert, die Leser solcher Zeitungen also als Opfer, und rechts dann auch bei mir die Betrachtungsweise, die mit arroganter Verachtung auf die Niveaulosigkeit dieser Mietschreiber, dieser Achtgroschenjungs von Ullstein und Konsorten herabblicken zu können glaubte, die Journaille allgemein und an und für sich als Zeichen des Kulturverfalls, das Abendland geht schon zur Mittagszeit unter, in einem Blatt wie der BZ am Mittag, na, dann Gute Nacht, Deutschland – dagegen hat ja sogar der Völkische Beobachter noch Niveau, und das Verrückte war nun, das überraschend Neue für mich auch, daß ein Mann wie Masseck, der sich in seinen Filmkritiken mit drei zusammenhängenden Sätzen begnügte, und dann ging der Daumen eben hoch oder runter, der sich eines Stiles befleißigte, bei dem jedem auch nur einigermaßen sensiblen Menschen das Kotzen kommen mußte, in einer Wohnung saß, die dem vollkommen widersprach: intellektuell, die ganzen Wände voller Bücher, gute Möbel in einer interessanten Mischung aus alt und neu, antike Sachen, die durchaus Wert zu haben schienen, und dazwischen ein paar ultramoderne Stahlrohrtische und Stühle, diese in bestimmten Kreisen berühmte und als gestalterische Meisterleistung anerkannte Tischlampe von diesem Wagenfeld, die mit dem runden weißen Glasschirm, und auch die Bilder, die er an den Wänden zu hängen hatte, verrieten Geschmack – auch wenn das nicht unbedingt mein Geschmack war, aber als bloßen Kitsch waren die nicht abzutun, diese kleinen Landschaften aus dem Umkreis der Düsseldorfer Schule. Und im Korridor hatte er dieses Plakat von Metropolis angepinnt, dieses längliche Format, sicher eines der besten Filmplakate, das es bisher in Deutschland je gegeben hat, modern, wenn auch schon ins Faschistische tendierend, jedoch nichts, was einem biederen Nationalsozialisten gefallen hätte – Goebbels vielleicht noch, nicht aber dem Postkartenmaler Hitler. Und dieses eine Plakat, das war das einzige, was irgendwie darauf hinwies, was Masseck beruflich machte – nicht an diesem Abend natürlich, aber später dann ergab sie sich doch, die Möglichkeit, Masseck mal darauf anzusprechen, daß er so wenig dem Klischee entsprach, dem, wie ich mir einen Journalisten der BZ am Mittag vorgestellt hatte, und dabei kam dann heraus, daß Masseck aus einer gutbürgerlichen Familie stammte, deutsches Bildungsbürgertum, seinem Milieu entfremdet durch eine echte Kinoleidenschaft, und Kino war ja etwas für den Massengeschmack, und es kam heraus, daß er es als eine Herausforderung für sich ansah, das Verschwiemelte der normalen deutschen Kunst- und Literaturkritik, dieses hochtrabende Wortgetöse, mit dem er groß geworden war, zu überwinden und zu den einfachen Aussagesätzen der BZ am Mittag zu kommen – wäre er ein Zyniker gewesen, ich hätte ihn leichter für mich aburteilen können, aber er war’s nicht, er gehörte zu diesen jungen Leuten aus dem Bürgertum, die dieses bürgerlich Verschnarchte in sich überwinden wollten. Auch dieser Speer, den ich durch Jünger via Breker dann mal kurz kennenlernte, gehört zu diesen Leuten, und ohne die würde der ganze schöne Nationalsozialismus wohl gar nicht funktionieren – auch wenn das für Speedy dann natürlich peinlich war, daß ihr Masseck nach der Machtergreifung dann erst richtig Karriere machte, ohne daß er wahrscheinlich jemals ein fanatischer Nazi wurde, mich wunderte es eigentlich nicht. Bei den Russen hätte er das wahrscheinlich auch gemacht, Karriere – etwas tun können, sich entfalten können, der Typ des forschen Aktivisten, der sich von Rücksichten freimachen will, das also war er, Masseck, Richard Masseck. Nicht unsympathisch, aber natürlich mein Feind. In allem.

Speedy – Skizzen

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