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b) Die durch Art. 9 EMRK vermittelte Rechtsposition der Kirchen

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Die konventionsrechtliche Etablierung einer Rechtsposition der Kirchen im Sinne einer korporativen Religionsfreiheit findet in Art. 9 EMRK ihren einzigen denkbaren Anknüpfungspunkt. Dabei ergibt sich allerdings die Schwierigkeit, dass die Stellung der Kirchen in den einzelnen Rechtsordnungen der Konventionsstaaten erheblich divergiert und bereits aus diesem Grund eine umfassende, vereinheitlichende Regelung ihres grundrechtlichen Status zugleich das institutionelle Verhältnis von Staat und Kirche beeinflusst hätte.117 Infolgedessen fällt bereits bei einer nur oberflächlichen Betrachtung der Gewährleistung des Art. 9 EMRK118 auf, dass dessen Wortlaut keine explizite Garantie korporativer Religionsfreiheit enthält.119 Dennoch hat bereits die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) anerkannt, dass auch eine Religionsgemeinschaft eigene Rechte aus der Gewährleistung im Zusammenspiel mit Art. 34 EMRK geltend machen kann.120 Trotz jener Zuerkennung einer Klagebefugnis (sog. „victim-Status“) sowie einer eigenen Grundrechtsfähigkeit war aber für lange Zeit unklar, ob und in welcher Form ein kirchliches Selbstbestimmungsrecht vom kollektiven Aspekt der konventionsrechtlichen Religionsfreiheit umfasst ist.121

Spätestens122 durch die wegweisende Entscheidung in der Sache Hasan und Chaush/Bulgarien hat der EGMR aber die grundlegende Autonomie von Religionsgemeinschaften gegenüber staatlichen Eingriffen anerkannt.123 Diese Ergänzung der Gewährleistung um ein korporatives Element entspricht auch der einhelligen Auffassung im Schrifttum.124 Nach Ansicht des EGMR begründe das Recht auf Religionsfreiheit die legitime Erwartung, „dass die Religionsgemeinschaft friedlich und frei von willkürlicher staatlicher Einmischung operieren dürfe“.125 Dies folge auch aus einer Auslegung des Grundrechts im Lichte der Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 EMRK.126 Ferner findet sich in den einschlägigen Urteilen die elementare Feststellung, dass die Autonomie von Religionsgemeinschaften unverzichtbar sei für das Ziel der Konvention, den Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft zu sichern und diese daher zum Wesensgehalt von Art. 9 EMRK gehöre.127 Dennoch legte der EGMR den Schutzbereich – wohl auch infolge der individualrechtlichen Konzeption der Gewährleistung – zunächst eher eng aus und beschränkte ihn auf einen Kernbereich kirchlicher Angelegenheiten. Entsprechend habe das Selbstbestimmungsrecht vor allen Dingen etwa das Recht der Religionsgemeinschaften zur Folge, ihr Führungspersonal und ihre Geistlichen eigenständig zu berufen, sowie eigene Wahlen abzuhalten.128 Erst in jüngerer Zeit anerkannte der EGMR im Zusammenhang der Überprüfung von Judikaten deutscher Gerichte zum kirchlichen Arbeitsrecht, dass ebenso auch die Freiheit der Kirchen, ihre dienst- und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten selbstbestimmt an den eigenen Glaubensüberzeugungen auszurichten, von Art. 9 EMRK umfasst sei.129 Damit hat der EGMR den wesentlichen Schritt vollzogen, damit auch ein Recht auf ein spezifisch kirchliches Arbeitsrecht seine Grundlage in der Menschenrechtskonvention finden kann.

Dennoch ist der einhelligen Meinung in der Literatur darin zuzustimmen, dass Art. 9 EMRK keinen dem deutschen kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV entsprechenden Standard zu vermitteln in der Lage ist.130 Dies folgt schon aus der durch die Konstruktion des Art. 9 EMRK vermittelten Akzentuierung des Individualrechts und der kasuistischen Herangehensweise des EGMR, sodass ein wie von Art. 137 Abs. 3 WRV gewährtes, verlässliches dogmatisches Fundament wohl niemals wird etabliert werden können. Diese Defizite lassen sich auch nicht durch die Argumentation kompensieren, der EGMR müsse sich am deutschen „Maximalstandard“ hinsichtlich der kirchlichen Selbstbestimmung orientieren.131 In Anbetracht dieses Befunds ist die spezifische „Herausforderung“ des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts durch die EMRK zu erblicken, welche infolge ihres geringeren Schutzumfangs hinsichtlich der institutionellen Rechtsstellung der Kirchen allenfalls eine Beschränkung deren Freiheiten im Arbeitsrecht – keinesfalls aber eine Erweiterung – herbeiführen kann.

Kirchliches Arbeitsrecht in Europa

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