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c) Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG

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Die am 27. November 2000 vom Rat der EU erlassene Richtlinie 2000/78/EG214 zur Schaffung eines Diskriminierungsschutzes in Beschäftigung und Beruf kann als exemplarischer Beleg für das erhebliche Einwirkungspotential scheinbar staatskirchenrechtlich neutralen europäischen Sekundärrechts auf die Rechtsstellung der Kirchen angesehen werden. Als Kompetenzgrundlage für ihren Erlass diente Art. 13 EG, der seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nunmehr in Art. 19 AEUV normiert ist.215

Art. 1 RL 2000/78/EG bestimmt die Zielsetzung der Richtlinie dahingehend, in der gesamten EU einen Rahmen zur Bekämpfung von unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen wegen einer Behinderung, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung zu schaffen. Damit konkretisiert die Richtlinie den primärrechtlichen Grundsatz der Nichtdiskriminierung nach Art. 21 Abs. 1 GRCh.216 Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung lässt Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG grundsätzlich nur zu, wenn ein diskriminierungsrelevantes Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

Durch Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie wird den Mitgliedstaaten darüber hinaus eröffnet, weitergehende Rechtfertigungsmöglichkeiten für kirchliche Arbeitgeber umzusetzen. Dies veranschaulicht, dass der Rat bei ihrem Erlass keinesfalls „kirchenblind“ vorgegangen ist:

„Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund. Sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im übrigen eingehalten werden, können die Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten.“

Durch den vielfältigen Bezug auf die bestehenden mitgliedstaatlichen Bestimmungen verdeutlicht sich der „passive“ Charakter der kirchenspezifischen Ausnahme; weder verpflichtet sie, noch berechtigt sie, neue Privilegien zugunsten der Kirchen einzuführen.217 Vielmehr soll sie mit der Wahrung eines bestimmten status quo dem staatskirchenrechtlichen Bestandsschutz dienen. Diese Berücksichtigung des nationalen kirchlichen Status entspricht den Anforderungen des Art. 17 Abs. 1 AEUV. Dass sich der Rat der Europäischen Union bereits vor dessen Inkrafttreten mit dem Lissaboner Vertrag zur Verabschiedung dieser Regelung entschloss, ist vor allen Dingen auf die politische Wirkung der Erklärung Nr. 11 zum Vertrag von Amsterdam zurückzuführen.218 Dies geht ausdrücklich aus Erwägungsgrund Nr. 24 der Richtlinie hervor: Darin wird festgehalten, dass die Mitgliedstaaten spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen für die Ausübung kirchlicher Arbeitsverhältnisse festlegen können, da die Europäische Union den Status der Kirchen in den einzelnen Mitgliedstaaten achtet und nicht beeinträchtigt. Es spricht daher viel dafür, daraus den Willen der Gemeinschaft abzuleiten, durch die Richtlinie 2000/78/EG nicht in die von den einzelnen nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich umfangreich gewährte arbeitsrechtliche Entscheidungsfreiheit zugunsten der Kirchen eingreifen zu wollen.219

Dementsprechend kann die materielle Reichweite des Kirchenprivilegs aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nicht als allgemeingültiger europäischer Standard ausgelegt werden, sondern ist vielmehr in Relation zu den einzelstaatlichen Rechtstraditionen zu ermitteln.220 Somit handelt es sich bei ihr in partieller Abweichung vom Grundprinzip der Rechtsharmonisierung um eine variable Ausnahmeregelung, die in Bezug auf das besonders geschützte Gebiet des Staatskirchenrechts Raum für nationale Spezifika lässt. Dies gilt gegenwärtig ohnehin vor dem Hintergrund der primärrechtlichen Regelung des Art. 17 Abs. 1 AEUV. Das darin verankerte Beeinträchtigungsverbot des nationalstaatlichen Status der Kirchen verpflichtet den EuGH, eine derartige staatskirchenrechtlich relevante Vorschrift unter Berücksichtigung der spezifischen mitgliedstaatlichen verfassungsrechtlich gewährleisteten kirchlichen Privilegien auszulegen und somit den Grundsatz der einheitlichen Auslegung zu durchbrechen.221

In Anbetracht dessen ergibt sich für den nationalen Gesetzgeber auch ein erweiterter Umsetzungsspielraum. Wird die Unionsrechtskonformität von mitgliedstaatlichen Regelungen bezweifelt, die in Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG entstanden sind, so ist dieser durch Art. 17 Abs. 1 AEUV eröffnete Spielraum bei deren Rechtmäßigkeitsprüfung zwingend zu beachten.

Kirchliches Arbeitsrecht in Europa

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