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Die Sorge des Schreibers

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»Könnt Ihr mir den Brief heute Nacht noch zum Siegeln bringen?«

»Gewiss, mein Herzog, gewiss.« Horatius Tyk steckte die Wachstafel weg, auf die er mit einem Silberstift des Herzogs Botschaft geritzt hatte, um sie anschließend in seinem Skriptorium mit Feder und Tinte kunstvoll auf ein Pergament zu übertragen. Er schwieg eine Weile. Der Herzog, der während des Diktats auf und ab gegangen war, blieb stehen und blickte zu dem alten Mann. »Ist noch etwas?«

»Nichts, mein Herzog, nichts«, versicherte ihm Horatius Tyk und erhob sich mühsam von seinem Schreibschemel. »Aber seid Ihr sicher, dass Ihr das Schreiben so abschicken wollt?«

»Was sollte dagegen sprechen, Horatius? Ich habe es mir reiflich überlegt.« Der Herzog, selbst kein junger Mann mehr, aber doch lange noch nicht so alt wie der gebrechliche Schreiber, zog eine Augenbraue hoch und musterte seinen Sekretär mit eher unüblicher Strenge.

»Wirklich?«, fragte der Greis und sah dem Herzog direkt in die Augen. »Habt Ihr das, mein Herzog? Reiflich? Wir sind erst seit wenigen Tagen auf der Burg angelangt...«

»Ihr vergesst, Horatius, dass wir tagelang gemeinsam im Dunkeln in Crudberts Kerker saßen. Zeit genug, sich zu überlegen, was man tun will, falls man dieses üble Loch lebend verlässt. Ihr müsstet das am besten wissen, schließlich habt Ihr selbst Jahre im Kerker meines Bruders zubringen müssen.«

Horatius Tyk nickte bedächtig. »Da gebe ich Euch recht, mein Herzog. In der Tat. Und doch: Was kann Euer Sohn in Faucas an wichtigen Dingen lernen, die er unter Eurer Obhut nicht lernen kann?«

Herzog Friedbert setzte sich auf den prächtigen Sessel, der neben seinem Bett stand. »Ihr wart zu lange nicht in dieser Welt, Horatius. Es hat sich viel verändert. Glaubt nicht, ich wüsste nicht, was Euch umtreibt.« Aus einem Krug auf einem Tischchen schenkte der Herzog Wein in zwei Becher und reichte den einen seinem Schreiber, der ihn mit leichter Verbeugung entgegennahm, jedoch nicht sogleich an die Lippen führte. »Aber Faucas ist nicht mehr das kriegerische Reich von einst. König Falk hat Frieden mit den umliegenden Reichen geschlossen.«

»Einen Frieden zu seinen Bedingungen«, warf Horatius Tyk ein. »Immerhin einen Frieden. Und er ist zum Wohle aller. Denn der Handel im Fauconischen Reich blüht – und also auch der aller umliegenden Ländereien. Faucas zieht Handwerker und Gelehrte an, Künstler und tüchtige Menschen aller Gewerke! Die Stadt und das Reich werden immer reicher und mächtiger. Und jedes Stück Gold, das den Weg nach Faucas findet, zieht ein weiteres Goldstück nach sich.« Der Herzog nahm einen Schluck von seinem Wein und nickte, als müsse er sich selbst zustimmen. »Aber es ist nicht nur der Wohlstand, den der König zu mehren versteht, er stärkt auch das Recht! Er hat Gesetze erlassen und Büttel beauftragt, über die Einhaltung dieser Gesetze zu wachen. Ein jeder Mensch in Faucas kann sich darauf verlassen, dass es Regeln gibt und dass sich alle an diese Regeln halten.«

»Er tyrannisiert seine Untertanen mit Regelungen und Auflagen. Er erinnert mich an Crudbert von Wrunkenstein, Euren ehemaligen Kriegsminister ...«

Herzog Friedbert hob eine Hand und gebot seinem Schreiber zu schweigen. »Sagt das nicht, Horatius. König Falk mag einst unser Feind gewesen sein. Aber er ist ein kluger Herrscher und umsichtiger Förderer des Handels, der Künste und der Wissenschaft.«

»Des Handels«, murmelte Horatius Tyk und stellte seinen Becher zur Seite. »Ihr habt sicher recht, mein Herzog.« Er seufzte. »Und ich kann Euch verstehen. Ihr wollt, dass Euer Sohn ein kluger und umsichtiger Herrscher in Eurem Reich wird. Vermutlich ist es richtig, ihn in die Welt hinaus zu schicken und andere Arten des Regierens kennenlernen zu lassen. Und Ihr tut wohl daran, ihm einen Gefährten an die Seite zu stellen.« Bei diesen Worten spürte er, wie es seinem Herzen einen Stich versetzte.

»Danke, dass Ihr das sagt, Horatius. Ich weiß es zu schätzen, vor allem, weil ich weiß, wie schwer Euch die Trennung von Eurem Enkel fallen muss. Doch auch für ihn wird es lehrreich sein, eine moderne Stadt kennenzulernen und die Gepflogenheiten an einem anderen Hof zu studieren.« Der Herzog erhob sich von seinem Sessel und ging auf den Greis zu, dessen langer, weißer Bart im Licht des Kaminfeuers leuchtete. »Ihr seid ein guter Mann, Horatius«, sagte er und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich danke Euch für Eure Treue und Euren guten Rat. Und ich bin froh, dass Ihr mich unterstützt und meinen Plan gutheißt.«

»Ja, mein Herzog«, presste Horatius Tyk mühsam hervor und wandte sich dann ab, um die Kemenate zu verlassen. »Aber Ihr dürft König Falk nicht vertrauen«, murmelte er noch leise. »Er hat Krieg gegen den Rabenwald geführt.«

Das Rabenorakel

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