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Eine unsichtbare Gefahr

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»Freu dich nicht zu früh, mein Bruder!«

Der Herzog, der eben noch mit fröhlichem Lachen seinen Weinbecher in die Höhe gehalten hatte, verstummte und sah den Fürsten von der Rabenburg ärgerlich an. »Was meinst du damit, Heinrich?«

»Glaubst du ernsthaft, du hättest den Schurken besiegt, der dich um dein Reich bringen wollte – und mich um meines dazu?«

»Crudbert von Wrunkenstein ist erledigt!«, rief Herzog Friedbert aus und warf die Arme in die Luft. »Er ist geflohen, seine Truppen sind in alle Winde zerstreut, seine Gefolgschaft hat erkannt, dass seine Pläne nur Lug und Trug waren ...«

Fürst Heinrich von der Rabenburg erhob sich aus dem prächtigen Sessel, den Friedbert für ihn in das Gemach hatte bringen lassen. »Ich weiß nicht«, sagte er und schlenderte hin zum Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Lug und Trug, hm. Das war Euer Auftritt auch, ist es nicht so?«

»Pah«, machte der Herzog und setzte seinen Becher auf dem riesigen Tisch ab, an dem er seine Arbeiten zu erledigen pflegte. »Wer weiß das schon?«

»Jeder, der einen Augenblick Zeit hat, über die Ereignisse nachzudenken«, stellte Fürst Heinrich fest.

»Ich weiß nicht ...« Friedbert vom Falkenhorst wiegte den Kopf. Wahrscheinlich hatte sein Bruder recht, aber er wollte es sich nicht so ganz eingestehen – vor allem wollte er es ihm nicht eingestehen. Aber wenn er zurückdachte an die Ereignisse der letzten Tage, musste er zugeben, dass an dessen Überlegungen was dran war. »Vielleicht hast du recht«, sagte er. »Vielleicht aber auch nicht. Wir haben auf Crudberts Burg ein hübsches Feuerwerk abgebrannt, ja. Und wir haben so getan, als seien die scheußlichen Kreaturen, die wir von Pater Anselmus bekommen haben, lebende Drachen. Aber das Feuer war immerhin echt und hätte beinahe den Turm von Burg Wrunkenstein zerstört. Die angeblichen Drachen sind übrigens spurlos verschwunden.« Herzog Friedbert erschauderte, wenn er daran dachte, dass sein Hofnarr die in Essig eingelegten Schlangen und Echsen einfach weggefuttert hatte.

»Trotzdem«, widersprach ihm Fürst Heinrich. »Die lächerliche Prophezeiung deines Narren ...«

»Kein Schimpf über Golo! Er hat uns allen das Leben gerettet.«

»Gewiss, gewiss«, beschwichtigte der Fürst seinen Bruder. »Er und unser junger Freund, der Botenjunge. Dennoch muss jeder Beobachter, der nur ein bisschen Verstand hat, erkannt haben, dass das von einem Narr gesprochene Orakel nichts war als reine Gaukelei. Und eine besonders dreiste obendrein!«

Herzog Friedbert grinste und dann antwortete er: »Du magst recht haben, Heinrich. Immerhin aber war es eine sehr wirksame Gaukelei.«

»Wirksam war sie wohl«, sagte der Fürst, während er von seinem Platz am Fenster aus ein paar Möwen beobachtete, die am stürmischen Frühlingshimmel wie ein Schwarm von Schmetterlingen durcheinandergeweht wurden. »Die Frage ist nur: Wie lange wird diese Gaukelei vorhalten?«

»Wie lange soll sie schon vorhalten? Wir sind gerettet, Crudo ist verjagt, was wollen wir denn mehr? Du glaubst doch nicht, dass es der Schurke noch einmal wagen wird, sich gegen uns aufzulehnen?«

Heinrich vom Rabenstein drehte sich um, sodass sich seine mächtige Gestalt dunkel vor dem Fenster abzeichnete. »Darf ich dich daran erinnern, mein Bruder, dass Crudo schon immer ein machthungriger, skrupelloser Schurke war? Er hat eine Intrige gegen dich angezettelt, bei der er deine engsten Berater gegen dich einsetzte – und nebenbei auch gegen mich.« Herzog Friedbert blickte stumm zu Boden. »Beinahe hätte er uns gegeneinander in einen Krieg gezwungen!«, fuhr Fürst Heinrich fort. »Nur dem Zufall und der Hilfe einiger Kinder ist es zu verdanken, dass er damit nicht zum Ziel gekommen ist. Immerhin sind Crudos Mitverschwörer bei der Sache zu Tode gekommen. Aber war das ein Grund für ihn, sich zurückzuziehen und stillzuhalten? Nein! Er hat eine Armee von Schwarzen Reitern aufgestellt, die unsere Lande in Angst und Schrecken versetzt haben, er hat dich und deine engsten Getreuen entführen lassen und keinen Augenblick gezögert, euch alle ans Messer, oder vielmehr dem Henker unters Beil zu liefern!« Heinrich vom Rabenstein ging langsam auf seinen Bruder zu, stemmte seine gewaltigen Hände auf den Tisch und beugte sich zu ihm hin. »Warum hat er das alles getan? – Ich kann es dir sagen: Er will die Macht für sich. Er will sie, weil er glaubt, sie stünde ihm zu. Und er ist gekränkt, weil wir sie ihm vorenthalten. Du und ich. Wir sind seine Feinde. Uns will er vernichten. Und mit der Demütigung, die du ihm zuletzt zugefügt hast, wird dieser Wunsch in seiner Brust nur noch heißer brennen. Crudo will Rache, dessen darfst du dir sicher sein. Er wird nicht ruhen, ehe er sein Ziel erreicht hat. Crudo dürstet nach Genugtuung. Und wir sind seine Feinde. Du, ich – und ...« Fürst Heinrich senkte die Stimme und kam mit seinem Kopf noch näher an den Bruder heran, sodass sich ihre Nasen fast berührten, ehe er mit heiserer Stimme sagte: »Und dein Sohn.«

Friedbert vom Falkenhorst war blass geworden. »Mein Sohn? Was hat mein Sohn mit der Sache zu tun? Crudbert von Wrunkenstein kennt Ludovico nicht einmal.«

Heinrich vom Rabenstein lachte bitter. »Jetzt schon, mein Lieber«, sagte er und richtete sich wieder auf, um in der Kammer des Herzogs umherzuschreiten. »Es war ein guter Plan von dir vorzugeben, dein Sohn sei verschwunden und vermutlich tot, derweil du ihn in Wirklichkeit in die Klosterschule zu Buchberg geschickt hattest. Mich hast du damals getäuscht.« Der Fürst räusperte sich. »Oder sagen wir: Du hast meine Berater getäuscht und ich habe ihnen Glauben geschenkt. Doch jetzt weiß alle Welt, dass Ludovico an deinen Hof zurückgekehrt ist. Er wird dort unten im Festsaal ja ebenso gefeiert wie du, mein Bruder, vielleicht sogar noch mehr! Glaubst du wirklich, dass unter all den Gästen, die aus dem ganzen Reich zu deiner Feier gekommen sind, sich nicht auch ein paar unverbesserliche Getreue von Crudo verstecken? Männer, die dir fröhlich zuprosten, die dich und deinen Erben hochleben lassen – und anschließend zu Crudo eilen, um mit ihm neue Mordpläne auszuhecken? Glaub mir, mein Bruder, dort draußen lauert eine unsichtbare Gefahr.« Er wies zum Fenster hin und deutete über den Rabenwald. »Und die spinnt hier auf der Burg heimlich ihre Fäden.«

Still war es im Raum, als Fürst Heinrichs Rede endete. Nur das schwere Atmen des Herzogs war zu hören und das leise Knacken der Holzscheite im Kamin. Friedbert vom Falkenhorst rieb sich die Augen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und hielt den Kopf gesenkt. Es dauerte eine gute Weile, ehe er zu seinem Bruder aufsah, und man konnte die Last seiner Jahre und seines Amtes, vor allem aber die Sorge um seinen Sohn in seinen Augen erkennen. »Du hast wohl recht«, sagte er, langsam und widerstrebend. »Es mag so sein, wie du sagst, mein Bruder. Aber was rätst du mir? Soll ich alle Ritter, die auf der Burg zu Gast sind, festsetzen lassen? Soll ich mich mit Ludovico in meinen Gemächern verschanzen und Schloss Falkenhorst in ständige Kampfbereitschaft versetzen?« Er lachte gepresst. »Ich kann doch aus meinem Reich kein Gefängnis machen und in jedem Besucher einen gedungenen Mörder sehen!«

»Nein«, sagte Fürst Heinrich und schaute dabei aus dem Fenster. »Das kannst du nicht.« Im Hof hievten zwei junge Männer, die wie Mönche aussahen, allerlei Gerätschaften von ihrem Wagen und schleppten sie hinüber zum Festsaal. Wächter steckten rings um die Mauern Fackeln auf, weil es beinahe dunkel geworden war. »Aber du solltest darüber nachdenken, Ludovico in Sicherheit zu bringen.«

»Ludovico in Sicherheit bringen«, murmelte Herzog Friedbert. »Wie soll das gehen? Ich kann ihn doch nicht mehr in das Kloster zurückbringen. Jeder würde vermuten, dass er dort ist – im Vergleich zu einem Kloster ist eine Burg auf jeden Fall der sicherere Ort. Oder meinst du, er sollte zu dir auf die Rabenburg kommen?«

»Ich würde Ludovico jederzeit gerne bei mir aufnehmen«, entgegnete Fürst Heinrich. »Nur, wenn er bei dir nicht sicher ist, ist er es bei mir auch nicht. Außerdem ist die Rabenburg zu nah.«

»Zu nah? Wie weit soll ich ihn denn wegschaffen?«

Heinrich vom Rabenstein seufzte. »Je weiter umso besser, fürchte ich. Du solltest ihn nach Faucas schicken. Das ist weit genug entfernt – und sicher auch. Crudo wird nicht wagen, ihn nach Faucas zu verfolgen und dort anzugreifen.«

»Faucas? Aber was soll mein Sohn in Faucas?«

»Nun, er könnte lernen. Du weißt, dass das Reich von König Falk die bedeutendsten Gelehrten unserer Zeit anzieht. Ludovico könnte sich dort ausgezeichnet auf seine Aufgaben als Herzog vorbereiten.«

»Ich weiß nicht ...«, sagte Herzog Friedbert leise und wiegte den Kopf. Es klopfte kräftig an der Tür. »Ja?«

»Denk darüber in aller Ruhe nach, mein Bruder«, sagte Heinrich vom Rabenstein, während ein Diener seinen roten Kopf hereinstreckte und stotterte: »Feu ... Feu ... Da ... da i... ist... ein Feu ... Feuer ...!!!«

Das Rabenorakel

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