Читать книгу Das Rabenorakel - Fortunato - Страница 5

ERSTES KAPITEL Ein großes Fest

Оглавление

Schon einmal hatte Xenia ein großes Fest auf Schloss Falkenhorst erlebt. Doch dieses hier übertraf das letzte noch bei Weitem – denn während damals Heiterkeit und gute Stimmung gezwungen wirkten, herrschte diesmal fröhliche Ausgelassenheit. Barden traten vor die Festgäste und trugen lustige Lieder vor, Bauern aus dem Umland machten derbe Scherze und der Wein floß in Strömen. Spaß und Gesang gab es auf der ganzen Burg. Kein Wunder, schließlich wurde die Rückkehr des Herzogs Friedbert aus seiner Gefangenschaft bei dem Schurken Crudo gefeiert. Und die Heimkehr seines tot geglaubten Sohnes Ludovico. Das Reich hatte nicht nur seinen geliebten Herrscher wieder, sondern endlich auch den lang ersehnten Nachfolger auf dessen Thron – und vielleicht sogar auf dem Thron des Fürsten von der Rabenburg, wo der Bruder des Herzogs herrschte, der keine Kinder hatte. Ein großer Tag also, der voll Freude mit einem Fest begangen wurde, zu dem nicht nur die Edlen des Reiches eingeladen waren, sondern auch die Einfachsten der Untertanen, die Bauern und Schweinehirten, die Knechte und Mägde, die Köhler und Fallensteller aus dem nahen Rabenwald. Sie alle feierten, denn ihnen war eine große Last genommen. Crudbert von Wrunkenstein, der des Herzogs Reich zuerst als Kriegsminister ausgebeutet hatte und es dann auch noch seiner eigenen Herrschaft unterwerfen wollte, war verjagt worden, der jahrelange Streit mit dem Fürsten von der Rabenburg war beendet, Herzog Friedberts Sohn war wieder aufgetaucht. Alles war endlich in allerbester Ordnung! Alles?

Den ganzen Tag über hatte Xenia ein seltsames Gefühl gehabt. Sie wusste nur nicht weshalb. Aber es kam ihr vor, als würde hinter dem, was sie sah und hörte, noch etwas anderes passieren, als gäbe es dahinter eine zweite Geschichte, die weniger heiter war als dieses fröhliche und ausgelassene Fest. Etwas Drohendes umschlich sie, etwas Unsichtbares und Ungutes. Einmal hatte sie kurz versucht, mit ihrer Freundin Florine darüber zu sprechen. Doch die hing die ganze Zeit an ihrem Bruder, dem Raben Goldauge, und lauschte gebannt dessen Erzählungen. Also streifte sie unruhig durch die Burg, stieg auf den Turm, auf dem der Narr Golo seinen Unterschlupf hatte, starrte eine Weile auf den Wald, stieg wieder hinunter, schlenderte zur Kapelle hinüber, lauschte dem fernen Lärm, der vom Haupthaus herüberdrang, streichelte eine Katze, die vor den Stallungen in der Sonne lag, und trottete schließlich zur Küche – um dann doch vor der Tür stehen zu bleiben und über den Hof zu blicken. Dort sah sie die beiden jungen Mönche, die sich an dem Wagen zu schaffen machten, mit dem sie vom Zarontinerkloster zu Buchberg gekommen waren: ein schwerfälliges Gefährt, mehr breit als hoch, von einer Plane überdeckt und so übervoll beladen, dass das Dach manche Beule hatte. Es war der Wagen des Billigen Jakobs, mit dem sie offenbar einen Handel abgeschlossen hatten und der die jungen Mönche nun durch die Lande fuhr. Zwei seltsame Burschen waren das, dachte Xenia. Sie wusste natürlich, dass sie mit Marius befreundet waren und mutig mitgeholfen hatten, den Herzog aus Crudos Gefangenschaft zu befreien. Und doch: Sie war sich unsicher, ob den beiden zu trauen war. Ihre Späße waren undurchsichtig, überhaupt schienen sie für Mönche ein bisschen zu lebenslustig zu sein. Durften die denn überhaupt solche Scherze machen?

Bruder Goldberg winkte ihr zu und grinste breit. Xenia winkte zurück und wandte sich sogleich wieder der Türe zu, als hätte sie es eilig. Da wurde ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf einen Schatten gelenkt, der schräg über ihr den Himmel querte. Sie blickte nach oben und sah in der silbern leuchtenden Abendluft die Umrisse eines dunklen Vogels, der sich auf dem Fenstersims vor des Herzogs Gemach niederließ und dort, eng an die Wand gedrückt, sitzen blieb, sodass er vor dem dunklen Stein der Burg kaum zu erkennen war.

Das Rabenorakel

Подняться наверх