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DRITTES KAPITEL Hoch lebe Ludovico

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Die Morgen waren kalt auf Schloss Falkenhorst, auch wenn es nun tagsüber schon recht warm wurde. Der Atem der Rösser dampfte in der Frische, und Marius fröstelte, als er hinaus auf den Burghof trat. Meister Goldauge saß, wie so oft, auf seiner Schulter und beobachtete das Geschehen ringsum aufmerksam. Malediktus, der Haushofmeister des Herzogs, gab den Stallknechten kurze Anweisungen, prüfte höchstselbst die Sattelgurte, klopfte dem Gaul, der Ludovico tragen würde, den Hals und stellte schließlich fest: »So weit, so gut. Gebt dem jungen Herzog Bescheid, dass die Pferde gesattelt sind und dass alles zur Abreise vorbereitet ist.« Einem Jungen, der, gerade unauffällig an ihm vorbeischleichen wollte, rief er zu: »Und du geh zum Herzog und sag ihm, dass die Herrschaften sich jetzt auf den Weg machen.« Der Junge nickte und riss die Augen weit auf, beinahe sah er so aus, als müsste er gleich wieder dorthin zurück, wo er eben hergekommen war, eilte dann aber mit flinken Schritten zum Palas, in dessen oberen Gemächern der Herzog lebte.

Malediktus entdeckte jetzt Marius und trat auf ihn zu. Goldauge zuckte. Zu gut hatte er in Erinnerung, wie er vor dem Haushofmeister gewarnt worden war: Viele Jahre waren die Raben auf der Burg verflucht gewesen – und Malediktus hätte nicht gezögert, jeden Einzelnen mit eigenen Händen zu meucheln, um dem Herzog willens zu sein. Auch jetzt meinte der Vogel, in den Augen des mächtigen Mannes ein kaum verborgenes gefährliches Blitzen zu sehen. »Nun«, sagte Malediktus. »Ihr reist also auch mit, Marius Tyk.«

»Ja«, antwortete Marius, der sich noch gut erinnerte, wie er Malediktus zum ersten Mal gesehen und welche Angst er damals vor ihm gehabt hatte. »Ich bin im Auftrag des Herzogs als Bote nach Faucas unterwegs.«

»So, so. Dann ...« Der Haushofmeister beugte seinen gewaltigen Leib ein wenig nach vorne, um leiser sprechen zu können.

»Dann mögt Ihr mir vielleicht einen kleinen Gefallen tun?«

»Einen Gefallen? Aber gewiss. Wenn es in meiner Macht steht ...« Was mochte der hohe Herr von ihm wollen? Marius fühlte sich ein wenig geschmeichelt, aber auch verunsichert.

»Vielleicht können wir ein Wort unter vier Augen ...« Malediktus schielte zu dem Raben hin, der majestätisch auf Marius’ Schulter thronte.

»Gewiss«, antwortete Goldauge anstelle des Jungen und schwang sich mit einem weiten Flügelschlag auf, um nur einen Atemzug später über den Zinnen der Burg zu schweben und auf die beiden Menschen herabzublicken. Unter vier Augen, dachte er. Ausgerechnet dieser Fettwanst muss mir misstrauen. Voller Verachtung beobachtete er Malediktus’ Erscheinung weit unter sich im Hof: Der Haushofmeister war ein sehr beleibter Mann mit hochrotem Kopf. Die wenigen Haare, die er hatte, zwang er unter eine reich bestickte Mütze, über den Schultern lag ein Pelzkragen, wer weiß, welches arme Tier dafür hatte abgemurkst werden müssen. Mit seinen ebenso reich bestickten Pantinen stolzierte der Haushofmeister weit ausschreitend über den Hof, er wollte sich weder seine Füße noch die teuren Schuhe schmutzig machen – ein sinnloses Unterfangen. Nun beugte er sich also etwas zu Marius hinab und redete auf ihn ein. Meister Goldauge glaubte zu sehen, wie seine Ohren dabei wackelten. Dann griff der Haushofmeister in seinen Mantel und holte etwas hervor, einen Brief, wie der Rabe mit unbestechlichem Auge selbst aus dieser großen Höhe erkennen konnte, und überreichte ihn Marius. Offenbar noch eine Botschaft also, die von Schloss Falkenhorst nach Faucas gelangen sollte!

Marius nahm ein Bündel aus seinem Gepäck, schnürte es auf, legte den Brief hinein und schloss es mit der größtmöglichen Sorgfalt wieder. Kaum hatte er den Brief weggesteckt, da traten Ludovico, dessen Onkel Fürst Heinrich vom Rabenstein und einige Diener auf den Hof, gefolgt von Xenia mit ihrer Papageiendame Florine, dem Gelehrten Faustus Füchslin, der mit ihnen auf die Burg gekommen war, Horatius Tyk, dessen Frau Zussa, einigen bewaffneten Rittern – und so gut wie allen anderen Bewohnern von Schloss Falkenhorst. Mit einem Mal war der Hof voller Menschen, ein einziges Gewimmel. Alles lief und rief durcheinander, Hände wurden geschüttelt, Schultern geklopft, man drückte einander an die Brust. Selbst oben in den Lüften neben dem stolzen Raben flatterte es auf einmal. »Was für ein Durcheinander!«, hörte Goldauge die vertraute Stimme neben sich.

»In der Tat, Schwesterherz«, sagte er und blickte zu Florine.

»Die Menschen sind schon eine seltsame Bande.«

»Das sind sie. Aber irgendwie habe ich sie doch ins Herz geschlossen.«

»Irgendwie. Ja. So kann man das sagen.«

Gemeinsam flogen sie einige Schleifen am Himmel, bis sich plötzlich die Menschenmenge auf dem Hof teilte: Der Herzog war aus dem Palas getreten und schritt nun mit müden, aber würdigen Schritten auf seinen Sohn zu. »Das will ich mir anhören!«, sagte Florine und schwebte hinab, um sich auf Xenias Schulter zu setzen.

»Typisch Frau«, murmelte Goldauge. »Neugierig ohne Ende.« Doch wollte auch er gerne wissen, was der Herzog zur Verabschiedung seines Sohnes zu sagen hatte. Und also glitt er ebenfalls hinab und nahm wieder seinen Platz neben Marius’ Kopf ein.

Der Herzog legte seinem Sohn die Hände auf beide Schultern und blickte ihn stolz und wehmütig an. »Ludovico«, sagte er. »Lange Jahre herrschte Feindschaft zwischen dem Reich Falkenhorst und dem der Rabenburg. Aus Angst, dir könnte ein Leid geschehen, gab ich dich weg und ließ dich fern von mir von gläubigen Brüdern erziehen und beschützen. Dein größter Schutz aber war natürlich, dass niemand dort dich kannte und niemand von dir wusste. So verging Jahr um Jahr, und Jahr um Jahr habe ich dich mehr vermisst und dafür gebetet, dass du eines Tages wohlbehalten zu mir zurückkehren mögest – und dass du einstmals Herzog meines Reiches werden würdest.

Du bist heimgekehrt. Und es herrscht nun keine Feindschaft mehr zwischen unseren Reichen. Der Tag wird kommen, an dem du das Herzogtum von mir übernehmen wirst...«

Ringsum hob ein Murmeln an: »Lang lebe unser Herzog.« – »Gott schütze Herzog Friedbert.«

Der Herzog lächelte und nickte seinen Untertanen zu. »Habt Dank, ihr guten Menschen«, sagte er, dann wandte er sich wieder an Ludovico. »Doch nun, mein Sohn, ist es an der Zeit, dich auf diese Pflichten vorzubereiten. Denn ein guter Herzog muss sein Handwerk verstehen, so wie jeder gute Bauer, Jäger oder Gerber. Die Welt um uns verändert sich. Was es an Gutem zu lernen gibt, das kannst du nur draußen in der Welt lernen – und auch, wovor du unser kleines Herzogtum schützen musst. Ein kluger Herrscher kann dir Vorbild sein und dich kluges Regieren lehren. Darum sollst du am Hof zu Faucas erfahren, was es bedeutet, ein modernes Reich zu führen. Auf dass dir dies dereinst bei deinen Aufgaben an meinem Platze helfen werde.«

Wieder erhob sich Gemurmel. Die Knechte und Mägde, die Stallburschen, die Knappen und Pagen und alle anderen Menschen auf dem Burghof waren ergriffen von des Herzogs Worten. Auch unter den Rittern, die hinter ihm Aufstellung genommen hatten, herrschte sichtlich Bewegung, und der eine oder andere wischte sich die Augenwinkel. Ludovico aber neigte sein Haupt und beugte ein Knie. Dann sah er wieder zu seinem Vater auf und entgegnete: »Mein Vater, ich danke Euch für Euer Vertrauen und für Euren Großmut. Ein guter Lehrjunge will ich sein und aufmerksam alles genau erfassen, was unserem Reich nützlich sein kann, und mehr noch, was ihm schaden könnte, um das Nützliche einstmals für unsere Untertanen zu erreichen und das Schädliche von ihnen abzuwenden. Ein kluger Herrscher mag mein bester Lehrer sein, und sei es auch in großer Ferne. Mein Vorbild aber seid Ihr allein, Vater, und werdet es immer sein.«

Einen kurzen Augenblick herrschte sprachloses Staunen über Ludovico. Hatte man jemals einen so jungen Burschen solche Rede führen hören? Manch einer glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Doch als dann allen bewusst wurde, dass dieser gewitzte Jüngling, der schon jetzt solche Worte beherrschte, einstmals der Herzog ihres eigenen Reiches werden würde, kannte der Jubel keinen Halt mehr. Mützen flogen in die Luft, Jubel brach aus und die Frauen und Männer auf dem Hof riefen: »Hoch lebe Ludovico, der Sohn unseres Herzogs! Hoch lebe unser Herzog! Hoch, hoch, hoch!«

Horatius Tyk aber, der etwas abseits stand, zwinkerte Ludovico unauffällig zu und lächelte verschmitzt in sich hinein.

Das Rabenorakel

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