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Die Katastrophe Der dümmste Fehler meines Lebens

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Bonn, ab 1999

Ein Vertreter unserer Bank saß im Aufsichtsrat der twisd AG. Und da die Bank auch an unserer Investmentgesellschaft beteiligt war, waren neue Kredite nie ein großes Problem. So auch nicht bei der neu gewährten Kreditlinie über knapp zwei Millionen DM. Ich hatte damals keine Aktien – außer denen am eigenen Unternehmen, das aber noch nicht börsennotiert war. Mich interessierten weder DAX noch Dow. Der Börsengang unserer Firma war für mich nur eine tolle Möglichkeit, weiteres Geld in ihr Wachstum zu stecken – und an diesem Erfolg auch persönlich teilzuhaben. Ich sah den Taifun nicht kommen – oder um im Bild zu bleiben: Ich habe nicht mal den Wetterbericht gehört.

Am 1. Juli 1999 waren am Neuen Markt bereits 124 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 56 Milliarden Euro vertreten, acht Monate später waren es bereits 229 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 234 Milliarden Euro. Im März 2000 notierte der Neue Markt sein All Time High. Mobilcom-Gründer Gerhard Schmidt spricht im Nachhinein davon, dass damals »die Banken doch jeden an die Börse gebracht haben, der einen ambitionierten Geschäftsplan vorgelegt und dabei das Wort ‘Internet’ richtig geschrieben hat«. Doch unter Insidern kursierten schon sogenannte »Todeslisten« von Unternehmen, deren Aktienbewertung wohl selbst bei idealer Geschäftsentwicklung als zu euphorisch angesehen werden musste.

Davon hatte ich nichts mitbekommen, aber zumindest eine unserer Banken hatte vermutlich schon kalte Füße bekommen. Denn etwa einen Monat nachdem unsere Kreditlinie erweitert wurde, bat uns der dafür zuständige Banker im Anschluss an eine Aufsichtsratssitzung zu einem Dreiergespräch. »Severin, Frank, wir müssen noch mal kurz über eine klitzekleine Formalität sprechen.« Zuvor hatten wir – wie üblich – bei unserer fancy PowerPoint-Präsentation die Steilheit der Wachstumskurve zwar beibehalten, nur mal wieder den Start des Durchbruchs ein wenig nach hinten verschoben.

»Jungs, wir haben vergessen, von euch noch die private Bürgschaft für den Wachstumskredit einzuholen. Ist ja nur theoretisch, aber sonst müsstet ihr jetzt einen höheren Zins zahlen. Und das wäre ja blöd.« Wie gesagt: Erstens interessierte mich das Geld nie, ich wollte einfach unbedingt mein Entwicklerteam ausbauen. Und zweitens standen wir kurz vor unserem IPO, der mich – so wie die anderen Unternehmer am Neuen Markt – millionenschwer machen würde. Severin und ich unterzeichneten die Bürgschaft daher direkt noch in diesem Meetingraum. Ohne Rücksprache mit irgendwelchen Anwälten oder wenigstens mit meinen Eltern. Wir haben nicht einmal drüber geschlafen. Es war ja nur eine »klitzekleine Formalität«. Wir waren im Hype, größer, schneller, weiter. Uns gehörte die Welt.

Das Dümmste, Idiotischste und Bescheuertste aber war etwas anderes. Ich könnte noch heute meinen Kopf auf die Tischplatte schlagen, wenn ich nur darüber nachdenke: Ich hätte das Dokument nicht mal unterzeichnen müssen. Der Kredit war längst bewilligt, die Bank hatte einfach vergessen, uns dafür bürgen zu lassen. Sie hatte einen Fehler gemacht. Und ich hatte mich in meinem Rausch überrumpeln lassen. Scheitern war aber damals eben noch gar keine Option, und wir hätten alles für unser Baby getan.

Im Juni 2000 ging ich mit einem befreundeten Unternehmer aus Köln essen. Er hatte sich meinen Traum schon erfüllt und war bereits an der Börse. Natürlich erzählte ich ihm, dass auch wir unmittelbar davor stünden und dass wir ja bald noch mehr Kumpels auf Augenhöhe wären. Aber dieses Mal sagte er: »Du, Frank, bitte behalte es für dich. Aber in den letzten Tagen habe ich sehr viele ernste Gespräche führen müssen. Ich glaube, es wird nicht mehr viele IPOs geben, und für mich werden die nächsten Monate auch nicht einfach.« Das war das erste Mal, dass ich in diesen Monaten überhaupt kritische Worte über die wirtschaftliche Situation hörte. Die ganze Tragweite seiner Worte habe ich damals überhaupt nicht begriffen. Es war kein schönes Gespräch, weil am Horizont irgendein Unwetter aufzuziehen schien, ich aber nicht so recht wusste, was das zu bedeuten hatte. Ich wischte den dunklen Gedanken zur Seite: Unser IPO-Plan stand, und wir hatten ja auch ein super Produkt.

Doch im September 2000 meldete mit Gigabell das erste Unternehmen am Neuen Markt Insolvenz an. Drei Monate nach Unterzeichnung der Bürgschaft war auch unsere Kreditlinie ausgeschöpft. Aber wir waren noch lange nicht am Ende, dachten wir: Wir verhandelten noch mit drei Investmentgesellschaften – damals hießen die ja noch nicht VC – über die Finanzierung unseres IPO. Wir benötigten nur noch etwas Überbrückungsgeld, um dann das große Geld an der Börse einzusammeln. Zwischenzeitlich gab es sogar noch ein Übernahmeangebot von möglichen strategischen Partnern, von denen ich für meine Anteile einen deutlich siebenstelligen Betrag erhalten hätte. Doch einer unserer beratenden Banker meinte, beim Börsengang würden wir ein Vielfaches einnehmen. Wir lehnten also ab. Wir folgten der Gier. Innerhalb weniger Wochen drehte sich der Wind endgültig um 180 Grad. Alle drei Investmentgesellschaften sagten die Finanzierung in derselben Woche ab. Linker Haken, rechter Haken, schwere Gerade mitten ins Gesicht. Aber es hätte uns auch nicht mehr geholfen, es gab plötzlich keine neuen Börsengänge mehr. Wir taumelten bereits und hatten es nicht einmal gemerkt. Der Neue Markt kollabierte, alle gerieten in Panik. Statt um noch größere Büros, mehr Entwickler und US-Expansion ging es innerhalb kürzester Zeit plötzlich nur noch ums nackte Überleben. Die Kreditlinie war ja bereits maximal ausgeschöpft, an eine Erweiterung war nicht zu denken. Nicht mal eine weitere persönliche Bürgschaft hätte geholfen, Severin und ich waren dafür nicht mehr kreditwürdig genug.

Heutzutage bin ich froh, dass wir damals noch kein Haus oder sonstige Besitztümer hatten. Ich kenne drei Weggefährten, die zu dieser Zeit in der gleichen Situation waren. Die haben ihre Häuser als Sicherheit für einen Überlebenskredit zur Verfügung gestellt und haben dann in sehr kurzer Zeit sowohl ihre Firma als auch ihr Eigenheim verloren. Wie gesagt, Severin und ich hatten aber nicht einmal die Option, uns privat weiter zu verschulden, was wir sogar zweifellos getan hätten. Die ersten Gläubiger wurden ungeduldig. Ich kann mich noch daran erinnern, wie der erste persönlich bei uns vorbeikam und Severin ein unangenehmes Gespräch führen musste. Ein anderer trug höchstpersönlich unsere – oder besser: seine – Computer wütend aus unserem Hosting-Raum. Jetzt merkten natürlich auch die Mitarbeiter, was im Markt im Allgemeinen und bei uns im Besonderen los war. Bisher hatten Severin und ich uns optimistisch geäußert, das war ja auch ein Teil unserer Aufgabe. Aber mit verzögerten Gehaltszahlungen, absolutem Investitionsstopp und zunehmenden Besuchen von Gläubigern und Gerichtsvollziehern konnten wir die aufziehende Katastrophe nicht weiter von unserem Team fernhalten.

Frank Thelen – Die Autobiografie

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