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Die letzte Firewall wird durchbrochen

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Ach ja, ich hatte damals noch etwas Wichtiges vergessen, leider. Die Abwicklung der Firma, das Entlassen der Mitarbeiter, die Überlegungen, was als Nächstes kommen würde – das alles hatte mich völlig in Beschlag genommen. Mittlerweile wohnte ich wieder bei meinen Eltern, und ich hatte noch keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Aber da gab es noch ein winzig kleines Detail – die »klitzekleine Formalität«. Die Bürgschaft, die ich in dem unbedachten Moment unterschrieben hatte.

An jenem grausamen Morgen war ich unterwegs zu einem Kumpel, der mir eine neue Softwaretechnologie zeigen wollte. Ich war gerade bei ihm angekommen, als mein Telefon klingelte. Meine Mutter war dran, fassungslos, schockiert, verzweifelt. Sie hatte einen Brief der Bank an mich geöffnet, in dem mir recht formlos mitgeteilt wurde, dass ich unverzüglich eine Million Euro zurückzuzahlen habe – oder zumindest schon einmal die acht Prozent Zinsen pro Jahr, also 80.000 Euro, ohne damit einen Cent zu tilgen. 80.000 Euro jährlich alleine an Zinsen! Und – wo sollte ich eine Million hernehmen? Ich lebte doch schon in meinem alten Kinderzimmer, ohne Job, ohne Verdienst! Das war eine Todesbotschaft. Der Brief kam aus einem großen Bankhaus mit Tausenden Sachbearbeitern, da denkt keiner darüber nach, ob dieser Brief das Leben eines Menschen zerstört oder ob ein persönliches Gespräch nicht vielleicht der bessere Weg wäre. Aber ich will mich nicht rausreden, die Schuld lag vor allem bei mir: Ich hatte das Damoklesschwert der persönlichen Bürgschaft einfach zu lange verdrängt. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass da irgendwann etwas kommt. Heute kann ich das auch nicht mehr begreifen, aber die menschliche Psyche ist ein raffiniertes Ding.

Ich fuhr direkt nach Hause, ich musste meinen Eltern Rede und Antwort stehen. Die Realität hatte zugeschlagen – und zwar mitten auf die Zwölf. Jetzt war ich wieder voll da, mit einem Schlag war ich gelandet. Und das war keine harte Landung – das war ein katastrophaler Crash. Der Weg zur Wohnung, das Umdrehen der Schlüssel. Meine Mutter und mein Vater saßen an dem Esstisch, an dem wir fast zwei Jahrzehnte lang gemeinsam unzählige Gespräche geführt hatten. Viele gute, einige schwierige. Aber nie hatte ich Angst, noch nie hatte ich mich geschämt an diesem Tisch. Jetzt hatte ich sogar Panik. Mein Vater fing an: »Mein Junge, was hast du da gemacht? Wir können dir nicht mal helfen, die Zinsen zu begleichen! Wie konntest du das unterschreiben – ohne Rücksprache mit uns?« Meine Eltern hatten 25 Jahre in mich investiert. Sie waren immer für mich da gewesen, vom Fußballverein über die Schule bis zu den Klamotten, Skateboards und Urlauben. Sie hatten für mich gesorgt, alles für mich gezahlt. Ob ich schlechte Noten nach Hause brachte oder mein Fußball in der Scheibe des Nachbarn landete, sie standen immer bedingungslos hinter mir. Ich glaube, sie hätten auch jetzt alles für mich gezahlt, aber das war einfach zu viel. Das konnten sie nicht leisten. Und jetzt?

Meine Freunde starteten gerade ihre Karrieren, verdienten jetzt ihr erstes eigenes Geld, luden auch mal ihre Eltern ein. Auf kleinem Niveau, aber solide, genau die Freunde, die ich vor kurzem noch ausgelacht hatte, weil sie einen ordentlichen Beruf erlernt hatten. Ein monatliches Festgehalt, von dem man damals gerade die Leasingraten meines BMWs hätte bezahlen können? Das war doch was für Spießer und Verlierer, so hatte ich bisher gedacht. Und jetzt hätte ich alles gegeben, um in genau ihrer Position zu sein: einen langsamen, soliden Start hinlegen mit viel Stabilität und Luft nach oben.

Aber ich hatte alles verjuxt. Ich war überheblich und arrogant gewesen, hatte auf Menschen herabgeblickt und das Geld anderer Leute verschwendet. Alles, was ich nach Hause brachte, war ein so gigantischer Haufen an Schulden, dass die Familie nicht einmal die Zinsen bedienen konnte. Dieses eine Zehn-Minuten-Gespräch, diese eine Unterschrift, sie hatten mein Leben zerstört. Und nicht nur meines, sondern auch das meiner Eltern, samt ihrer Hoffnungen in mich und ihrem Stolz auf mich. Meine Mutter bekam einen Nervenzusammenbruch, ich selbst stand kurz davor. Ich schämte mich. Und jetzt? Ich bekam Panik: Kein Studium, ein Leben lang unfassbar hohe Schulden, wie sollte es weitergehen, wovon sollte ich leben, wie sollte ich je eine Freundin bekommen, was wäre im Alter? Ich sah das Leid und die Verzweiflung in den Augen meiner Mutter. Mein Vater war gefasster, aber tief enttäuscht.

Plötzlich waren auch alle »Freunde« weg, die so gerne mit dem coolen Franky unterwegs gewesen waren. Keiner wollte sich mehr mit einem deprimierten Loser befassen, der plötzlich einen alten Ford Ka fuhr. Und der, noch schlimmer, keine Energie mehr hatte, müde, enttäuscht und fertig war. Früher begeisterte ich mit Ideen und Geschichten und füllte den Raum mit meiner Anwesenheit. Mein ganzes Ego hatte auf dem Konzept »Erfolg« beruht, darüber hatte ich mich definiert, daraus zog ich mein Selbstbewusstsein und meine Vitalität. Konsequenterweise war mit dem Scheitern des Konzepts »Erfolg« auch mein Selbstbewusstsein implodiert und das energiereiche Leuchten in meinen Augen erloschen. Ich war ein Nichts, ein Niemand, ein 360-Grad-Versager. Mein Körper konnte nicht mehr und begann, sich zu wehren: Ich bekam mehrfach täglich stoßweises Nasenbluten. Hautausschläge breiteten sich auf meinem Körper aus, und ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich schloss mich in meinem alten Kinderzimmer ein und ließ die Jalousien runter. Ich war am Ende.

Frank Thelen – Die Autobiografie

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