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Der Tag der Insolvenz

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Severin und ich blickten uns eines Tages in die Augen und wussten: Es ist vorbei. Als Erstes würden wir das Team informieren müssen. Wir wussten, dass viele Fragen, Emotionen und Enttäuschungen auf uns warteten. Und zum ersten Mal hatten wir keine Antworten, zumindest keine, die Hoffnung machten. Da war nichts mehr schönzureden.

»Es tut uns sehr leid«, konnten wir nur vor versammelter Mannschaft sagen, »aber heute ist der letzte Tag der twisd AG, ab morgen wird ein Insolvenzverwalter die Geschäfte führen.« Nie im Leben werde ich die Sekunde vergessen, in der diese Botschaft allen ins Bewusstsein sickerte. Die Stille, die Blicke. Verständliches Entsetzen, einige waren einfach traurig, andere haben uns persönlich angegriffen. Manche verließen wortlos den Raum. Das war wirklich ein Horrortag, sehr belastend. Auch ich hatte Panik, durfte es aber nicht zeigen. Und das war erst der erste Teil des Tages. Severin und ich machten eine kurze Pause bei unserem Dönermann um die Ecke. Dass wir Champions hier mal so sitzen würden, so klein, so verzweifelt, so alleine: Das war noch vor wenigen Wochen, wenn nicht vor wenigen Tagen undenkbar gewesen. Aber nach kurzer Stärkung machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt zum Amtsgericht, um die Insolvenz unserer über alles geliebten twisd AG anzumelden.

Es gibt eine Sache, auf die ich bis heute stolz bin: Wir haben immer die Gehälter unserer Mitarbeiter bezahlt, mit zwei Ausnahmen: die von Severin und mir. Diese Kapitänsehre unterscheidet für mich den echten Unternehmer vom Manager. Der Kapitän verlässt das sinkende Schiff zuletzt. Ich glaube, diese Tatsache und noch einige andere Punkte führten auch dazu, dass der Insolvenzverwalter uns nicht direkt alle Rechte entzog, sondern uns vertraute und eine sogenannte »Insolvenz in Eigenregie« ermöglichte. Das hieß: Wir behielten die Schlüssel – und am nächsten Morgen saßen Severin und ich wieder im Büro. Wie jeden Tag.

Heute allerdings war es gespenstisch leer. Bis gestern herrschte hier eine lebhafte Atmosphäre der Kreativität und des Aufbruchs. Überall junge Menschen, die an der Zukunft arbeiteten und dachten: Die Welt von morgen gehört uns. Und jetzt: nichts. Die Hochglanz-Kaffeemaschine von Jura stand noch da, und Severin machte uns einen Kaffee mit den exklusiven Bohnen – ein Vorrat, der für uns zwei noch sehr lange halten würde. Mein voll ausgestatteter BMW ging zurück an den Händler, die Leasingraten konnte ich ja auch nicht mehr bezahlen. Ich kaufte mir von meinem persönlich Ersparten einen Ford Ka ohne jedes Extra: 50 PS.

Ich bin sehr dankbar, dass Severin und ich uns auch in dieser unfassbar schweren Zeit nie gestritten haben. Wir haben das zusammen sauber durchgezogen und bis heute freundschaftlichen Kontakt. Er war übrigens danach einige Jahre als Berater im Bereich Internetmarketing aktiv und ist inzwischen in der Energiebranche gelandet. So ganz kann er vom Internet aber doch nicht lassen und ist in seiner Freizeit als Blogger aktiv.

Rückblickend frage ich mich noch manchmal, ob das unschöne Ende der twisd AG vermeidbar gewesen wäre. Sicher beantworten kann ich es nicht, sehe aber, dass wir doch einige entscheidende Fehler gemacht haben. Dass wir so manche Zeichen der Zeit nicht erkannt hatten, habe ich ja schon geschildert. Wesentlich für das Scheitern war aber auch, dass wir uns nicht zu 100 Prozent auf unser Produkt, den kleinen Internetserver, konzentriert haben. Für den hatten wir ja schließlich das Investment erhalten. Nein, wir tanzten noch auf anderen Hochzeiten. Das Projektgeschäft hatten wir weiter betrieben, also das Erstellen der Multimedia-CDs und der Internet-Seiten, denn hierin hatten die Ursprünge unseres gemeinsamen Unternehmens gelegen, und die wollten wir nicht aufgeben. Natürlich brachte dies zwar gute Umsätze, band aber auch viele unserer Ressourcen, die wir besser in die Entwicklung unseres Produkts hätten investieren sollen. Als im Zuge der Krise des Neuen Markts wichtige Kunden von uns in die Insolvenz gingen, sorgte dieser Geschäftszweig sogar für hohe Forderungsausfälle. Geld, das uns dann umso mehr bei der Produktentwicklung fehlte. Hätte ich heute den jungen Frank bei Die Höhle der Löwen vor mir und er würde mir seine twisd AG vorstellen, würde ich ihm einen ganz klaren Rat geben: Konzentriere dich auf eine Sache. Und zwar auf das Produkt, das du effektiv skalieren kannst. Doch hinterher ist man immer klüger.

Frank Thelen – Die Autobiografie

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