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Es geht wieder los: die Gründung von ip.labs

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Bonn, 2003

Ich spürte, hier entsteht gerade eine neue und schnell wachsende Industrie. Sollte es also doch für etwas gut gewesen sein, dass ich mit der twisd AG auf so vielen Hochzeiten getanzt hatte? Klar war mir jedenfalls: Analoge Filmrollen würden bald nicht mehr relevant sein, und es würde ein Softwareanbieter für digitale Bilder benötigt – also eine Plattform, mit der man seine Fotos online verwalten und mit der Familie, den Freunden und Kollegen teilen sowie sich als Abzug oder Poster bestellen kann. Heute ist das Standard, im Jahr 2004 war es sprichwörtlich Raketen-Wissenschaft.

Ich sage das mit dem Außergewöhnlichen, das zum Standard geworden ist, öfter, ich weiß. Aber da wir über die Vergangenheit sprechen, muss man es immer wieder mal erwähnen. Damals war es neu. Das heißt, die Grundidee war bereits da – aber ich wollte eine Plattform entwickeln, die hochwertige Technologie mit herausragendem Design vereint, und das gab es noch nicht. ip.labs war geboren.

Da war es also, mein nächstes Abenteuer! Dieses Mal musste ich die Firma ohne fremdes Kapital starten, denn als jung-erfolgreich-dynamischer Startup-Unternehmer war ich damals verbrannt: Wer investiert schon in den Verlierer Thelen? Das ist ein in Deutschland tief sitzendes Gefühl: Einmal gescheitert, immer gescheitert. Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitermachen – das muss man hierzulande mehrfach hinbekommen, bis einem die Leute glauben, dass man es wieder schaffen kann, wenn man auf die Nase gefallen ist.

Aber im Nachhinein betrachtet hat es mir geholfen, dass keiner bereit war, meine neue Idee zu unterstützen. Der Venture-Capital-Weg, Anteile gegen Startkapital abzugeben, war mir verschlossen. Und da man als Unternehmer immer wieder neue Wege suchen muss, versuchte ich es mit folgendem Plan: Es gab damals eine neue Software, mit der man Webseiten auf eine Art erstellen konnte, dass sie sich so anfühlten, als würden sie funktionieren. Tatsächlich war keine echte Funktionalität dahinter. Aber wenn man auf einen Button klickte, rief der einfach wie im echten Internet die nächste Seite auf, und es fühlte sich wie ein echtes Produkt an. Click-Dummys nennen wir das heute. Auf diese Weise konnte ich ohne zu hohe Kosten etwas Vorzeigbares basteln.

Jetzt musste ich »nur« noch herausragende Entwickler für ip.labs gewinnen, denn meine Produktidee war gut, aber nicht einfach umzusetzen. Aus Chips at Work-Zeiten kannte ich Georg Sommershof. Wann immer ich mit Delphi nicht weiterkam oder komplexe Entscheidungen über die Architektur treffen musste, war Georg ein zuverlässiger Ratgeber. Er hatte deutlich mehr Erfahrung, ein tiefgreifendes Verständnis von Compilern und war ein Mathematik-Genie. Dann erinnerte ich mich an Alex Koch, der zufälligerweise an einem ähnlichen Produkt arbeitete – auch in Bonn. Sein Wissen in den Bereichen Java, Server und Infrastruktur hatte mich tief beeindruckt.

Ich überzeugte Alex Koch und Georg Sommershof von dem Potenzial des Produktes – und da ich ihnen kein Gehalt zahlen konnte, beteiligte ich beide an meinem Unternehmen. Einem befreundeten Designer versprach ich großartige Aufträge in der Zukunft, wenn er mir beim Start für sehr kleines Geld helfen würde. Wir mieteten ein Büro in einem der weniger guten Viertel von Godesberg. Der Vorteil: Wir mussten in den ersten drei Monaten keine Miete zahlen, wenn wir einen Fünf-Jahres-Vertrag unterzeichneten. Der Nachteil: Dort wurde nahezu wöchentlich eingebrochen – zum Glück nicht bei uns, da wir im oberen Stockwerk saßen. Doch der Firma im Erdgeschoss wurde eines Tages der Server bei einem Einbruch gestohlen. Der Server selbst war damals gar nicht der größte Schaden, die Hardware kostete nicht viel. Auf dem System aber waren die gesamten Daten der Firma abgelegt – und da es damals noch keine Cloud für das Backup gab, ging die Firma nach diesem Einbruch pleite. Auch heute kann ich nicht verstehen, dass sich sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen nicht genug um die Sicherung ihrer Daten kümmern. Wie oft sieht man immer noch Suchaufrufe nach Smartphones, auf denen doch so viele wertvolle Erinnerungen gespeichert sind…

Wir arbeiteten zwei Monate Tag und Nacht – und eines Morgens war der Click-Dummy fertig. Und da war es wieder, das tolle Startup-Gefühl, das ich auch heute noch so liebe, trotz der harten Vergangenheit. Das Ding sah super aus und war damals die perfekte Fotoplattform, mit nur einem Nachteil: Sie war eben nur ein Dummy und funktionierte nicht wirklich. Ich wusste, dass sie das einmal tun würde – aber um damit wirklich an den Start zu gehen, würde man ein größeres Team und viel Kapital für die Entwicklung benötigen. Immerhin hatte ich exakt im Kopf, was ich zu tun hatte, um die Plattform tatsächlich zum Laufen zu bringen. Ich präsentierte den Click-Dummy einem großen Kunden und behauptete:

»Wie ihr seht, fast fertig!«

»Wow! Darf ich das mal testen?«, fragte der Kunde.

»Nein, das ist leider noch streng geheim!«, antwortete ich. »Aber das ist ein wirklich revolutionäres Produkt! Wenn ihr die Ersten sein wollt, die das anbieten, müsst ihr 30 Prozent Anzahlung leisten. Die Nachfrage ist riesig – und daher bedienen wir nur Kunden, die die Anzahlung schnell leisten.«

Natürlich war die Software nicht fertig. Natürlich gab es keine anderen Interessenten. Aber ich brauchte – verdammt noch mal – die Anzahlung, damit ich mir ein kleines Team leisten konnte. Ich hatte verflixt viel Glück, denn der große Kunde biss an. Zu Recht, glaube ich, denn unsere Plattform war innovativ und gut geplant, und der Markt dafür stand kurz davor zu explodieren. Der Kunde leistete die Anzahlung – und ich weiß, dass er die Entscheidung am Ende nicht bereut hat. Wir nannten die Plattform IPS: Internet Photo System.

Sehr schnell stellte ich weitere Entwickler und noch einen Designer ein, um mit der »echten« Arbeit zu beginnen. Bisher war ja alles nur eine Pappfassade: ein Pilotprojekt, quasi ein Auto ohne Motor, das von außen super aussah, aber eben noch nicht fahren konnte. Die von mir versprochenen Liefertermine waren leider viel zu optimistisch. Der Kunde wurde unruhig – er hatte das Ding doch schon in fast fertigem Zustand gesehen! Irgendwann schlug »unruhig« um in »ungehalten«. Der Ton wurde rauer. Glücklicherweise gab es keinen zweiten Softwareanbieter für Online-Fotoservices. Wir waren die Einzigen, die einen Prototyp hatten. Offenbar waren wir zu dem Zeitpunkt sogar die Einzigen, die überhaupt eine Vision hatten, was da möglich war – und hofften, bald liefern zu können…

Nachdem die ersten Teile der Plattform wirklich funktionierten, ging es dann schneller: Ich verkaufte weitere Lizenzen, natürlich gegen weitere Anzahlungen. So konnten wir Schritt für Schritt ein echtes Unternehmen aufbauen, ohne Geld von externen Investoren zu erhalten. Es war allerdings jeden Monat die Quadratur des Kreises: Wir erhielten Geld als Vorauszahlungen, mussten aber laufende Gehälter und Miete zahlen und brauchten dann im nächsten Monat wieder neue Anzahlungen. Mein eigenes kleines Schneeballsystem als Ersatz für das unerreichbare Venture Capital. Nicht zur Nachahmung empfohlen, aber damals aus der Not heraus geboren. Und es gab eine legitime Motivation dafür: Ich fühlte, dass es diesmal wirklich funktionieren könnte.


Mit Marc auf der Photokina 2006

Da unser ganzes Konstrukt allerdings mit sehr heißer Nadel gestrickt war, brauchten wir einen BWLer, der unsere Finanzen und Operations unter Kontrolle bekam. Und zwar brauchten wir nicht irgendeinen BWLer, sondern einen verdammt guten, der bereit war, Tag und Nacht zu arbeiten und im Monat mit 1.000 Euro klarzukommen. Aber wenn sich jemand auf diesen Deal einließe – wäre er dann ein verdammt guter BWLer? Ich hätte erneut eine Beteiligung anbieten können, aber zu diesem Zeitpunkt bot eine Beteiligung nicht mehr als eine ungewisse Aussicht auf einen Gewinn. Mir fiel ohnehin nur einer ein, dem ich die Aufgabe inhaltlich zutraute: Marc Sieberger. Marc war wie ich auch Skateboarder, und wir hatten nach der Skateboard-Zeit zusammen in einer WG gewohnt. Er wurde Investmentbanker und ging dann auf die Elite-Uni WHU, die »Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung, Otto Beisheim School of Management«. Marc war meine einzige Chance. Menschen, die mich nicht kannten, würden dankend ablehnen. Und sicher auch viele Menschen, die mich kannten. Marc und ich aber kannten uns wirklich gut, und ich sah eine kleine Chance, ihn zu überzeugen. Sein Studium lief noch zwei Monate – und ich wusste, dass er noch nirgendwo anders unterschrieben hatte. Ich lud Marc zum Italiener ein – und bei Pizza Salami und Cola pitchte ich ihm ip.labs:

»Wir sind die Einzigen, die das machen können, Marc. Da ist ein riesiger Markt! Ich weiß, du hast Angebote von den großen Unternehmensberatungen und Investmentbanken. Aber da bist du einer unter vielen. Das kann doch jeder!«

Es war die wahrscheinlich am besten investierte Pizza Salami aller Zeiten: Nach zwei Monaten stimmte Marc zu. Ich hatte tatsächlich gegen die Großen gewonnen, er wollte mit mir ip.labs aufbauen. Yes! Marc, Alex, Georg und ich zahlten uns in der Regel monatlich 1.000 Euro aus, um wenigstens unser Essen und die Miete unserer Studentenbuden zahlen zu können. Und nach etwas über einem Jahr – der erste Kunde war übrigens immer noch an Bord – hatten wir tatsächlich das Unmögliche möglich gemacht: die weltweit erste Softwareplattform zur Verwaltung und Produktbestellung für Digitalfotos konnte live gehen.

Frank Thelen – Die Autobiografie

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