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Schule und ich – eine schwierige Kombination

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Bonn, ab Mitte der 1980er Jahre

Bis zu meinem 14. Lebensjahr hat mich die Schule herzlich wenig interessiert – ich habe außerhalb der Schule auch nur ein einziges Buch gelesen: Hörbe mit dem großen Hut, Otfried Preußlers Geschichte über ein Hutzelmännchen. Aber weil meine Schwester so gut in der Schule war, durfte auch ich aufs Gymnasium, und zwar auf das private »Pädagogium Godesberg Otto-Kühne-Schule« im Godesberger Villenviertel. Bonner kennen es kurz als »Päda«. Das Schulgebäude ist ein beeindruckender Backsteinbau aus der Zeit um 1900, nah am Rhein gelegen, der mich damals sehr beeindruckt hat. Das Päda ist eine der wenigen Privatschulen in Deutschland, die nicht in der Trägerschaft von Kirchen oder Orden sind, und hat eine Reihe prominenter ehemaliger Schüler aufzuweisen, wie den Rennfahrer Wolfgang Graf Berghe von Trips, die Schauspielerinnen Jennifer Nitsch, Sophie von Kessel, Silke Bodenbender, die Schriftstellerin Juli Zeh oder den ehemaligen Politiker Christopher Lauer – aber auch manche mit schlimmem Ruhm, wie den Nazi-Minister und Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Machen wir’s kurz: Ich wurde am Päda nicht glücklich. Man quälte mich mit Frontalunterricht und trockenem Lehrstoff. Das mag für andere Schüler lehrreich und produktiv sein – für mich war es das nicht. Mit Grauen denke ich noch heute an das rote Lateinbuch, mit dessen Hilfe ich Substantive deklinieren und Verben konjugieren lernen sollte: Sum, es, est, sumus, estis, sunt… zwecklos.

Bis heute sehe ich nicht ein, was an einem stumpfen Lernen ohne Verstehen, am reinen Pauken ohne die Frage nach dem »Wozu« produktiv sein soll. Meine damaligen Lehrer handelten sicher ehrenwert und in bester Absicht, sie hatten selber so gelernt. Aber sie waren nicht in der Lage, mir einen Funken Inspiration zu geben. Wenn ich heute spüre, wie viel Energie es mir gibt, Neues zu lernen, weil ich weiß, was ich damit erschaffen kann, macht es mich traurig zu sehen, dass wir unser Schulsystem nicht ändern. Statt begeistert zu sein, was es alles zu entdecken gab, war ich nach kürzester Zeit desillusioniert, verzweifelt und traurig. In meinem Inneren spürte ich, dass der Weltgeist einen anderen Lebenslauf für mich vorgesehen hatte. Ich verlor alle Energie, verkümmerte zusehends, wurde zum Außenseiter und Verlierer. Ich erinnere mich noch gut an eine Klassenfahrt nach Spiekeroog. In so einer Klasse ist ja recht schnell klar, wer der Checker ist und wer nicht. In der Jugendherberge auf der Insel Spiekeroog gab es für die Jungs drei Zimmer – und ich landete im letzten, zusammen mit den anderen Losern: mit Manuel, der seine Brille immer mit Tesafilm am Bügel geflickt hatte, und dem dicken Olli. Das war eine schmerzhafte Niederlage, mit der ich einige Zeit schwer zu kämpfen hatte.

Irgendwann folgten die Fünfen. Ich war Schlusslicht der Klasse, und in der Siebten hatte meine Mutter ein Einsehen. Sie begriff, dass ihr Sohn unglücklich war, und nahm mich von der Schule. Ich musste, sollte, konnte, durfte das Gymnasium verlassen. Nun besuchte ich die Realschule in einem der wenigen sozialen Brennpunkte Bonns. Die war etwas näher am echten Leben dran, in den Pausen durfte ich Skateboard fahren, ich fühlte mich wohler und nicht mehr abgeschlagen. Glücklicherweise konnte ich mich schnell mit der »East Mehlem Posse« anfreunden. Es war aber gleichzeitig auch eine harte Schule, im wahrsten Sinne des Wortes: Hier durften nur Sportlehrer die Aufsicht übernehmen, da es in den Pausen regelmäßig zu Prügeleien kam. Es wurde zuweilen mit Drogen und sogar Waffen gedealt, ein Teil der Schüler sprach kein Deutsch. Aber was richtig gut war: Das rote Lateinbuch war für mich Geschichte. Mit den Drogen, Waffen und Prügeleien hatte ich zum Glück sehr wenig zu tun. Ich kam menschlich gut klar, aber um ehrlich zu sein: Ich habe auch hier nicht besonders viel gelernt. Mein Englisch musste ich mir Jahre später the hard way selber aneignen: Ich stellte meinen Computer auf Englisch ein, sah nur noch englische Filme, hörte englische Hörbücher und zwang mich dazu, meine persönlichen Notizen und Texte in englischer Sprache zu schreiben. Es war hart, ich wollte oft aufgeben, aber ich habe es durchgezogen. Bis heute habe ich leider wenig Allgemeinbildung, mir fehlen oftmals mathematische Grundlagen, und auch in der Physik musste ich mir das Nötigste selber aneignen. Darauf bin ich nicht stolz, im Gegenteil. Ich glaube sogar, dass ich mich durch meine Jugend auch in der Zukunft immer ein bisschen als Verlierer oder Underdog fühlen werde. Und daher stammt meine Motivation, immer etwas härter zu arbeiten als andere. Ich habe immer noch das Gefühl, einen Rückstand aufholen zu müssen.

Mein erstes Erfolgserlebnis wurde aus einem riesigen Schock heraus geboren. Mein Opa hatte unserer Familie einen Computer geschenkt. PCs gab es damals bei Vobis oder Escom, und sie kosteten zwischen 4.000 und 5.000 DM, eine richtige Menge Geld. Mein Opa hatte ein Modell mit einem Intel-386SX-Prozessor, vier Megabyte (MB) RAM und einer 52 MB Festplatte für uns gekauft. In seinem schicken Audi brachte er den riesigen Tower und den unfassbar schweren Röhrenmonitor zu uns. Mein Vater und ich trugen beides in unsere Wohnung. Mein Vater wollte die High-End-Maschine installieren, bekam es aber nicht hin, denn das war damals noch eine hohe Wissenschaft. Er rief einen Kollegen an, der uns den Rechner für kleines Geld in Gang brachte. Nun erschien nach dem minutenlangen Start (kennst du noch das Geräusch der Festplatten-Zugriffe?) ein Menü, mit dem wir über die Funktionstasten F1 bis F12 verschiedene Anwendungen starten konnten. Irgendwie fand ich diesen Computer cool. Im Lieferumfang war ein dickes Handbuch über MS-DOS 5.0. Ich startete auf Seite 1 und las tatsächlich das gesamte Buch durch. Ich glaube, das war nach Hörbe mit dem großen Hut das zweite Buch, das ich freiwillig gelesen habe. Nach der Lektüre wollte ich aber auch endlich loslegen und tippte die Befehle in die Kommandozeile ein. Wie gesagt, damals gab es noch kein buntes Windows mit Mausbedienung. Ich weiß noch genau, der erste Befehl war: dir. Das steht für »Directory« und zeigt einem den Inhalt der Festplatte an. Dann erstellte ich mit md Verzeichnisse und wechselte mit cd hin und her. Wow, ich hatte das wirklich unter Kontrolle.

Es war drei Uhr nachts geworden, meine Eltern schliefen längst. Noch ein Kapitel: Formatierung Ihrer Festplatte. Ich war so im Rausch und auch sicher übermüdet, dass ich einfach format c: eingab, weil ich sehen wollte, wie so eine formatierte Festplatte wohl aussehen würde. Der Vorgang dauerte 15 Minuten, dann erschien die Meldung: Bitte Betriebssystem installieren. Jetzt war es vier Uhr morgens, ich fühlte den Adrenalinstoß, startete den PC neu, aber es blieb dabei: Bitte Betriebssystem installieren. O NEIN, hatte ich gerade dieses unfassbar teure Gerät zerstört, das Geschenk meines Opas an unsere Familie? Um fünf Uhr ging ich ohne Erfolg frustriert ins Bett, mein Kopf schmerzte zu stark.

Mein Vater hatte mir ja zuvor erlaubt, mich an den Computer zu setzen, insofern gab es auch kein langes Drumherumreden, wer für den Schaden verantwortlich war. Ich. Und so gestand ich ihm am Morgen meine Tat sofort – und da ich ihn nicht noch mehr enttäuschen wollte, bat ich ihn: »Gib mir zwei Wochen, ich bringe das wieder in Ordnung!« Also las ich das 420 Seiten umfassende Buch zu MS-DOS noch mal durch, traf mich mit einem Bekannten, der einen PC hatte, und lernte tatsächlich, wie dieses Betriebssystem funktioniert. Und ich hielt mein Versprechen – nach zwei Wochen lief der Familien-PC wieder, sogar besser als vorher. Damals konnte man zwar noch nicht ins Internet, und alles hat sehr lange gedauert. Aber das Gerät machte, was ich ihm sagte. Dieser Erfolg war ein durchschlagender Impuls für mein Leben: Ich hatte richtig Bockmist gebaut, war verzweifelt, hatte Angst, aber nach einiger Zeit hatte ich – wie versprochen – das Problem gelöst. Jetzt gab es sogar Achtung von meiner Familie, und ich konnte anderen bei ihren Problemen helfen. Ich war kein Loser mehr, sondern galt plötzlich als »der PC-Experte«. Und endlich hatte ich mal etwas Cooleres als meine »Freunde«, der dicke Olli und Manuel mit der geflickten Brille.

Nachdem ich MS-DOS verstanden hatte, kaufte ich mir Bücher über Assembler und C. Ich lernte programmieren. Meine erste selbst gestellte Herausforderung: Ich wollte Computerspiele mit Kopierschutz cracken, um sie kostenfrei zu spielen. Das fand ich so spannend und interessant, dass ich dann keines der Spiele überhaupt jemals wirklich ernsthaft gespielt habe. Hatte ich eines gecrackt, nahm ich mir das nächste mit einem komplizierteren Schutz vor. Der Weg war das Ziel.

Ich begann, meine Dienstleistungsspezialität »PC-Installation« an Freunde und Verwandte zu verkaufen. Von dem ersten verdienten Geld kaufte ich mir ein 14,4-K-Modem, das mich mit Mailboxen verband, von denen ich Software herunterladen konnte. Später folgte ein 36,6-Zyxel-Modem – 36 kbit, das empfindet man heute als »offline«, also »kein Netz«! – und der Zugang über AOL ins World Wide Web. Erinnerst du dich noch an die AOL-CDs? Eine Zeit lang trugen rund 50 Prozent aller weltweit hergestellten CDs das AOL-Logo, und jeder kannte natürlich den legendären Boris-Becker-Spot »Bin ich da schon drin, oder was?!?«.

Im letzten Jahr der Realschule gab es dann sogar Informatikunterricht mit allerdings schon für damalige Verhältnisse uralten Computern, die noch 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerke hatten. Das fand ich immerhin spannender als den Frontalunterricht in Deutsch oder Geschichte. Es war neu, hatte auch einen praktischen Wert für mich, man konnte etwas anfassen und an der Hardware herumbasteln.

Eben weil ich das so interessant fand, hat mich eine Aussage meines Informatiklehrers damals besonders getroffen: Er nahm meinen Vater bei meiner Abschlussfeier zur Seite und sagte: »Herr Thelen, was auch immer Ihr Sohn in seinem Leben macht: Er sollte der Informatik fernbleiben!« Das hört sich rückblickend witzig an, aber es hat mich damals tief verletzt. Und wenn das seine verdammte Meinung war, hätte er es bitte schön mir sagen sollen und nicht meinen Eltern. Glücklicherweise haben meine Eltern nichts auf solche Aussagen gegeben und immer an ihren Sohn geglaubt, auch wenn Zweifel an mir manchmal durchaus berechtigt waren.

Frank Thelen – Die Autobiografie

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