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Kindheit und Jugend Eine Kindheit in der Bundeshauptstadt

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Bonn, ab 1975

Ich bin in Bad Godesberg groß geworden, einem Stadtbezirk von Bonn. Bonn in den 1980er Jahren war natürlich im Hauptberuf Bundeshauptstadt: Da war Helmut Kohl als Bundeskanzler. Da waren ein paar Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss auf der Hofgartenwiese an der Uni. Graue Beamte, Journalisten und natürlich Abgeordnete, unter denen ab 1983 die Grünen für Farbe im Bundestag sorgten. Grüne, die auf einmal im Parlament saßen und über die sich viele aufregten, weil sie Turnschuhe trugen oder während der Sitzungen strickten. Aber davon bekam ich als Kind nicht viel mit.

Bonn war tatsächlich nie so aufregend. B.O.N.N.: »Bundeshauptstadt Ohne Nennenswertes Nachtleben«, so wurde gespottet. Punk war hier nie zu Hause, der wohnte damals schon in Berlin. Der britische MI6-Agent und spätere Bestsellerautor John Le Carré schrieb in seinem Roman Eine kleine Stadt in Deutschland über Bonn: »Entweder es regnet oder die Bahnschranken sind runter.« Tatsächlich passierte meist beides gleichzeitig. Auch der Spruch »Bonn ist halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot« ist von LeCarré, und auch da war leider was dran. Bad Godesberg wiederum ist die noch gediegenere Version von Bonn – Verruchtheit und revolutionärer Aufruhr waren dort erst recht nicht zu finden. In Bad Godesberg wohnten Politiker und Beamte: Abgeordnete, Staatssekretäre, Ministerialdirigenten und viele mehr, deren Funktion ich nie verstehen werde. Und das Einzige, was mir zeigte, dass Bonn Bundeshauptstadt war, waren die Autos der Diplomaten mit den merkwürdigen Kennzeichen. Sie durften überall in der Stadt parken wie Kraut und Rüben, da sie durch ihren diplomatischen Status sogar immun gegen Parktickets waren. Und dann war da natürlich überall Polizei, was ich später als Skater ziemlich lästig fand.

Unsere Wohnung hatte ein Fenster mit direktem Blick auf die Rigal’sche Wiese, ein großes grünes Stück Rasen, auf dem mindestens einmal in der Woche ein Hubschrauber mit einem wichtigen Minister oder Diplomaten landete. Die Vibrationen konnte ich noch in meinem Kinderzimmer spüren. Damals faszinierte mich das überhaupt nicht, es war Alltag, laut und eher nervig. Aber wenn ich heute daran denke, wie mich der Gedanke beschäftigt, praktisch und unkompliziert von A nach B zu kommen – wer weiß, vielleicht hat das Echo der Hubschrauberrotoren meiner Kindheit auch eine kleine Rolle bei unserem Lilium-Investment gespielt. Doch dazu später mehr.


1980, mit fünf Jahren

Mein Vater war noch auf einem Bauernhof in Muffendorf aufgewachsen. Das war ganz bei uns in der Nähe – und als Kinder spielten wir dort viel. Mein Opa Wilhelm besaß Hühner, und im Stall nach Eiern zu suchen war eines der großen Abenteuer meiner Kindheit. Mein Großvater hatte auch unzählige Kirschbäume. Zur Erntezeit sind wir immer in die Bäume geklettert, haben körbeweise Kirschen gepflückt und uns regelmäßig so überfressen – anders kann man es wirklich nicht nennen –, dass ich bis heute keine Kirschen mehr sehen kann. Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen: Wir lebten in einer kleinen Etagenwohnung, mein Vater hat im Vertrieb für professionelle Funkgeräte gearbeitet, später im Mobilfunkbereich, und in den Jahren vor seiner Rente hat er schließlich unabhängige Kfz-Werkstätten mit Zubehörteilen beliefert. Meine Mutter ist gelernte Kosmetikerin, hat sich später aber um Kinder und Haushalt gekümmert. Meine Eltern sind das Paradebeispiel für die deutsche Mittelschicht: hart arbeitend, ehrlich und zuverlässig. Rheinländer wie aus dem Bilderbuch.

Ich habe eine ältere Schwester, die einen sehr geradlinigen Lebenslauf mit Einser-Abi und Festanstellung in einem Großkonzern hat. Aber schon in unserer Jugend wurde klar: Wir beide leben auf verschiedenen Planeten. Ihr Lebensentwurf steht meinem diametral gegenüber und manchmal frage ich mich, wie es möglich ist, dass man die gleichen Eltern hat, gemeinsam aufgewachsen ist – und sich doch so verschieden entwickeln kann. Das ist gar nicht schlimm: Als Kinder haben wir uns natürlich ständig gekabbelt, so wie Geschwister das eben tun, aber heute haben wir ein entspanntes Verhältnis.

Mein Vater war immer für mich da, hat mir Frühstück gemacht, mich zum Fußball gefahren, wurde sogar Trainer meiner Fußballmannschaft. Einmal in der Woche spielte er selbst noch mit seinen Kumpels Fußball. Manchmal schaute ich dabei zu. Und obwohl ich eigentlich noch viel zu klein war, hat er mich gegen den Protest seiner Freunde mitspielen lassen. Er hat mich auch, trotz unschöner Blicke seiner Kollegen, zur Computermesse Cebit mitgenommen. Natürlich ist so ein kleiner Junge ein Klotz am Bein, wenn man möglichst viele Geschäftstermine schaffen will. Aber ich hoffe, dass mein Vater heute sieht: Der Stress war nicht umsonst. Dafür an dieser Stelle: Danke!


Urlaub mit meinen Eltern

Meine Mutter wurde sehr früh mit meiner Schwester schwanger. Das war ihr Weg in die Selbstständigkeit und weg von zu Hause, da mein Opa offenbar ein schwieriger Vater war. Ihre Karriere als Kosmetikerin musste sie leider für uns aufgeben und war dann plötzlich an zwei Kinder und einen Haushalt gebunden. Sie hat immer versucht, meine Schwester und mich ideal zu versorgen und meinen Vater zu unterstützen. Wenn ich Probleme in der Schule hatte, konnte ich mich blind auf ihre Hilfe verlassen. Da sie selber sehr streng erzogen worden war, ließ sie mir im Gegenzug fast alle Freiheiten. Ich habe dadurch viel gelernt und bin früh selbstständig geworden. Einzige Ausnahme: Aufräumen. Denn meine Mutter hat, warum auch immer, jeden Tag mein Zimmer und meine Wäsche wie in einem Fünfsternehotel versorgt. Hierdurch habe ich bis heute die leichte Tendenz, Chaos zu hinterlassen. Aber ich arbeite daran.

Frank Thelen – Die Autobiografie

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