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II. Entwicklung

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In der Literatur werden mit Blick auf die Haftung des Staats für rechtswidriges und schuldhaftes Handeln üblicherweise vier Haftungsmodelle unterschieden:

(1) Es haftet nur der Amtswalter für sein Fehlverhalten (Beamtenhaftung, Eigenhaftung, persönliche Haftung).
(2) Ausschließlich der Staat ist Haftungsschuldner. Das Handeln des Amtswalters wird ihm unmittelbar als eigenes Handeln zugerechnet (unmittelbare/originäre Staatshaftung = Eigenhaftung des Staats).
(3) Beide, Amtswalter und Staat, haften nebeneinander (kumulative Haftung).
(4) Der Amtswalter haftet, die Schuld wird aber vom Staat mit befreiender Wirkung für den Amtswalter übernommen (mittelbare/derivative Staatshaftung, Amtshaftung = Fremdhaftung des Staats).

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Die unter (4) erwähnte Amtshaftung ist eine merkwürdige Kombination aus Beamten- und Staatshaftung. Die Haftung trifft für eine logische Sekunde den Amtswalter selbst und wird anschließend auf den Staat übergeleitet. Es handelt sich daher nicht um eine unmittelbare Staatshaftung. Das Fehlverhalten des Amtswalters gilt nicht als staatliches Fehlverhalten; lediglich die Schuld wird vom Staat übernommen. Die Amtshaftung ist deshalb eine nur mittelbare oder derivative Staatshaftung. Diese rechtliche Konstruktion der Amtshaftung muss bei der Prüfung eines Amtshaftungsanspruchs immer gegenwärtig sein, weil sie Konsequenzen für den geltend gemachten Anspruch hat. Sowohl die Voraussetzungen (Verschulden des Amtswalters ist erforderlich) als auch der Inhalt des Anspruchs (im Regelfall nur Geldersatz und keine Naturalrestitution) werden von dieser Konstruktion beeinflusst.

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Der im Gegensatz zu den oben (1) bis (3) aufgezählten Haftungsmodellen recht eigentümliche Haftungstyp „Amtshaftung“ ist nur aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus verständlich: Im 18. und 19. Jahrhundert herrschte die Auffassung vor, der Staat sei unrechtsunfähig. Handelte ein Beamter rechtswidrig, so hielt er sich nicht an seinen staatlichen Auftrag zu rechtmäßigem Handeln. Folge war, dass das rechtswidrige Verhalten dem Beamten persönlich zugerechnet wurde und deshalb auch keine Staatshaftung, sondern seine persönliche Haftung nach allgemeinem Privatrecht den Schaden eines Betroffenen ausglich[3].

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Diese Lehre griff das BGB auf, das am 1.1.1900 in Kraft trat. § 839 BGB regelte die Eigenhaftung des Beamten. Allerdings unterteilte die Rechtswissenschaft zu diesem Zeitpunkt das staatliche Handeln bereits in fiskalisches (privatrechtliches) und hoheitliches Handeln. Im fiskalischen Bereich galt der Staat als „Privatmann“. Wegen dieser Fiktion bejahte man eine Haftung des Staats bei privatrechtlichem Handeln. Ferner war in der Zwischenzeit die Forderung nach einer Haftung des Staats für hoheitliches Handeln ebenfalls laut geworden. Hinter dieser Forderung standen folgende, auch heute noch Geltung beanspruchende Gründe: Zum einen sollte der Geschädigte immer einen leistungsfähigen Schuldner erhalten, zum anderen sollte vermieden werden, dass die Entschlussfreudigkeit der Beamten durch das Haftungsrisiko beeinträchtigt wird.

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Der Reichsgesetzgeber sah sich jedoch mangels Gesetzgebungskompetenz nicht in der Lage, eine allgemeine Staatshaftung im hoheitlichen Bereich einzuführen[4]. Art. 77 EGBGB überließ die Regelung einer Staatshaftung den Einzelstaaten. Soweit diese in der Folgezeit eine Staatshaftung normierten, sahen sie auf Grund der immer noch virulenten Vorstellung von der Unrechtsfähigkeit des Staats im hoheitlichen Bereich eine Ersatzkonstruktion in Form einer Haftungsüberleitung auf den Staat vor. Dieses Modell der Amtshaftung übernahmen Art. 131 in die Weimarer Reichsverfassung und Art. 34, der gegenüber Art. 131 WRV keine inhaltlichen Änderungen aufweist, in das Grundgesetz. Damit ist die Amtshaftung als Haftungstyp auch heute etabliert[5].

Teil IV Recht der öffentlichen Ersatzleistungen§ 27 Der Amtshaftungsanspruch › III. Systematik

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