Читать книгу Kinder der Dunkelheit - Gabriele Ketterl - Страница 30
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Die Umrisse der großen Ställe, in denen er die Pferde seiner Truppe untergebracht hatte, schälten sich wie hölzerne Riesen aus dem Dunkel. Er zügelte das Pferd und stieg ab. Kein Laut drang aus dem Innern, sie hatten ihn offenbar gehört und verharrten still, also machte er sich bemerkbar. Sofort wurde das Tor aufgestoßen und im leichten Feuerschein sah er Anas Vater stehen, der sich offensichtlich nicht sehr wohl in seiner Haut fühlte.
»Don Ricardo, ich freue mich, Euch zu sehen«, wurde er begrüßt. »Ihr seid wohlauf, folglich nehme ich an, dass Euer Unterfangen erfolgreich war?«
Ricardo reichte seinem künftigen Schwiegervater die behandschuhte Hand. »Ja, allerdings, ich könnte zufriedener nicht sein. Bitte verzeiht, dass ich Euch bei finsterer Nacht aus Eurem warmen Bett holen ließ, doch Ihr solltet, nein, Ihr müsst sogar wissen, was gerade noch vereitelt wurde.« Ricardo genoss die Unsicherheit des Herzogs.
»Sicherlich habt Ihr unseren ›hochwohlgeborenen‹ Gefangenen bereits gesehen. Nun, der junge Mann hatte den Vorsatz, in dieser Nacht Eure Tochter zu entführen. Das arme verblendete Kind gab ihm noch selbst ihr Einverständnis, doch ich denke, das können wir mit bestem Gewissen auf jugendliche Schwärmerei und Torheit zurückführen.«
Sie wandten sich einem schweren Holzbalken zu, der den Hauptteil des Daches stützte. An Seilen daran gefesselt hing Mohammed al Hassarin. Sein einst ebenmäßiges Gesicht war nur noch eine blutige Masse, aus der zwei Augenschlitze hervorlugten. Aus seinem langen Haar tropfte das Blut und seine Kleidung war an Armen und Beinen von Peitschenhieben zerfetzt, die bis tief in sein Fleisch gedrungen waren.
Der Herzog zeigte sich erschüttert. »Don Ricardo, was Ihr mir erzählt, ist unfassbar. Ich kann nicht verstehen, wie meine Tochter sich zu solch einer Dummheit hat hinreißen lassen können! Ich wusste von ihrer Schwärmerei für diesen jungen Sarazenen, doch ich hätte niemals gedacht, dass sie so weit gehen würde.«
Der Don klopfte dem aufgebrachten Vater jovial auf die Schulter. Ihm war bewusst, dass dieser gerade seine Felle davonschwimmen sah, hatte er doch zur Festigung des Standes und des eigenen Vermögens so sehr auf eine reiche Heirat seiner Tochter gehofft. Doch der Don beruhigte ihn rasch, schließlich habe er keine Minute lang in Erwägung gezogen, die schöne Ana aufzugeben, sondern sie ganz im Gegenteil zu retten. »Seid unbesorgt, mein Freund, meine Männer werden schweigen, niemand wird auch nur andeutungsweise etwas davon erfahren.«
Der Don zog sich die ledernen Reithandschuhe aus. Wie ein lauerndes Raubtier umkreiste er den hilflosen Mohammed. Er ließ sich eine Reitgerte reichen und tippte Mohammed damit auf die blutige Brust. »Hörst du mich, mein Freund? Bist du bei Bewusstsein? Komm, gönn mir ein wenig Spaß! Du wirst mir doch nicht feige unter den Augen wegsterben? Das kannst du nicht tun, nachdem ich schon deine Familie vorhin sterben sah – und glaube mir, ich habe gelitten dabei, das mit ansehen zu müssen. Vor allem deine wunderbare Mutter, welch eine Vergeudung! Nun will ich mit dir etwas Freude haben.«
Als der Don die Mutter wähnte, bäumte sich Mohammed in seinen Fesseln auf. Er war nicht mehr in der Lage, einen klar artikulierten Satz über die geschwollenen, blutigen Lippen zu bringen. Doch aus den mühsam hervorgestoßenen Worten war durchaus die Drohung »ich werde dich töten!« zu vernehmen.
Schallendes Gelächter war die Antwort auf Mohammeds verzweifelte Reaktion. Don Ricardo verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust.
»Du meinst also, ich solle dich losbinden, mein junger Freund? Ich bezweifle, dass du noch genug Haltung wirst bewahren können, um mir gegenüberzutreten. Lass es mich so ausdrücken: Du bist etwas schwach auf den Beinen.«
Der Don beugte sich nach vorn und tippte Mohammed erneut mit der Gerte auf die Brust. »Du musst wissen, dass hier offensichtlich ein großer Irrtum vorliegt, und zwar auf deiner Seite, mein Lieber. Du bist der, der heute hier sterben wird. Aber ich möchte dich nicht unwissend in den Tod gehen lassen. Kannst du mich verstehen? Bist du noch bei uns?«
Als sein Gefangener die letzte Kraft zusammennahm und den Kopf hob, legte ihm der Don den Griff der Reitgerte unter das Kinn. »Ah, sieh da, er hat noch mehr Lebensgeister in sich, als man für möglich halten würde. Du bist zäh, Mohammed al Hassarin, so gönnst du mir mehr Freude, als ich zu erwarten hoffte.«
Mohammed rang nach einer Antwort, doch es war nur ein zähes Gurgeln, das aus seinem geschundenen Körper kam.
»Spar dir deine Kraft, Ungläubiger, überlass das Sprechen lieber mir. Ich wollte dir nur noch erzählen, dass ich bereits seit einigen Tagen die von den Königlichen Hoheiten Ferdinand und Isabella unterzeichneten Dokumente in Händen halte, die deinen Familienbesitz an mich übertragen. Ordnung muss sein. Nachdem in dieser Nacht deine geliebte Familie leider auf tragische Weise von uns gegangen ist, übernehme ich meine Pflichten als rechtmäßiger Besitzer. Am meisten erfreut mich dabei die Tatsache, dass meine reizende Verlobte dort mit mir residieren wird. Wie hat sie von den herrlichen Gärten geschwärmt! Nun wird sich ihr Wunsch erfüllen. Mein Brautgeschenk.« Sichtlich zufrieden mit seiner Rede trat der Don einen Schritt zurück.
Mohammeds Hände ballten sich langsam zu Fäusten. Sein blutüberströmter Oberkörper straffte sich so sehr, dass einige der Männer überraschte Rufe ausstießen. Er murmelte ein einziges Wort: »Rache!«
»Welch exzellenter Scherz, mein junger Freund, wahrlich exzellent! Ich werde bereit sein für deine Rache. Wann immer du möchtest, lass es mich wissen. Doch warte, ich glaube, das könnte ein Problem für dich werden.«
Ricardo ließ die Gerte fallen und nahm einem seiner Männer die Peitsche aus den Händen. Er holte aus und ließ sie mit aller Kraft auf Mohammed niedersausen. Der zuckte unter dem neuerlichen grausamen Hieb und schrie vor Schmerz auf. Ricardo grinste finster. Er gab die Peitsche zurück und wandte sich an den kreidebleichen Herzog.
»Lasst uns gehen, Duque, wir wollen ihn etwas ruhen lassen. Vielleicht kommt er wieder zu Kräften, während wir uns ein gutes Frühstück sowie ein gepflegtes Glas Wein gönnen.« Ohne einen weiteren Blick auf den in sich zusammengesunkenen Mohammed zu werfen, verließ er in sichtlich hervorragender Stimmung die Stallung und trat hinaus ins frühmorgendliche Sonnenlicht, gefolgt von seinem künftigen Schwiegervater, dem man ansah, wie gern er diesen Ort hinter sich ließ.
»Wir kommen vor der Abenddämmerung zurück. Seht zu, dass er bis dahin am Leben bleibt!«, rief der Don über die Schulter zurück.
Tatsächlich stand bereits das Abendrot am Himmel, als Ricardo zur Folterstätte zurückkehrte, in der Mohammed um sein Leben kämpfte. Obwohl sein Körper eine einzige blutige Wunde voller langsam verkrustender und wieder aufbrechender Striemen war, obwohl sein Gesicht zur Unkenntlichkeit angeschwollen war, atmete er noch. Sein unermesslicher Hass hielt ihn am Leben. Sein Körper mochte zerschlagen sein, sein Geist war es noch nicht.
Der Schmerz in seinem Herzen übertraf sogar die Schmerzen, die ihm von Ricardos Männern zugefügt worden waren. Mutter, Vater, Ridha und die kleine Asma, sie alle hatten ihr Leben lassen müssen, weil er eine Christin geliebt hatte! Im Grunde wäre es besser zu sterben, nach dieser unsühnbaren Schuld, die er auf sich geladen hatte. Wie sollte er damit weiterleben können? Das Gedanke aber, dass Don Ricardo jetzt Ana in seinen Besitz nahm, und dass er es sein würde, dessen Schritte fortan auf dem Marmor in Yussufs prächtiger Halle widerhallen würden, zwang Mohammed weiterzuleben.
Als nun Don Ricardo auf ihn zutrat und seine Stimme erhob, tobte in Mohammed ein unvorstellbarer Sturm der Gefühle. Hass, Zorn – so vieles, was sich keinen Weg mehr bahnen konnte, fand nur noch mehr Nahrung in den letzten Worten, die der Grande an sein Opfer richtete.
»Nun denn, mein Freund, wie ich sehe, bist du für ein Duell nicht gut gerüstet. Doch ich will dir einen würdigen Tod ermöglichen. Warte mit dem Sterben, ich möchte, dass du das noch mitbekommst.«
Der Don lachte, als habe er einen besonders guten Scherz gemacht, und die Umstehenden fielen in das Gelächter ein.
Mohammed wurde losgebunden, und er fiel kraftlos zu Boden. Nein, nicht so! Er wollte nicht hilflos vor seinem Peiniger liegen. Also sammelte er seine letzten Kräfte, und mit ungeheurem Willen gelang es ihm, aufzustehen. Er hörte das Raunen, gewiss hatte niemand damit gerechnet, ihn nach dieser Folter noch einmal auf den Beinen zu sehen.
Die sarkastische Stimme des Don brachte sie zum Schweigen. »Sieh da, der Bursche ist um einiges zäher, als ich gedacht hatte. Bringt ihn hinaus!«
Mohammed wurde unter den Armen ergriffen und hinausgeschleift, seine Beine versagten ihm immer wieder den Dienst. Er spürte die frische Luft auf seiner Haut und roch den Duft der sonnenerhitzten Gräser, die noch spärlich auf dem vom Sommer ausgedörrten steinigen Boden wuchsen. Durch einen kleinen Schlitz am linken Auge erspähte er einen roten Schimmer am Horizont. Die Sonne ging gerade unter. Mohammed wusste, dass dies der letzte Sonnenuntergang war, den er in seinem Leben zu sehen bekommen würde.
Als Nächstes nahm er wahr, dass er grob emporgehoben wurde und man seine Arme in ausgestrecktem Zustand an etwas festband. Auch sein Oberkörper wurde festgezurrt, seine Füße wurden auf etwas gestellt und dann ebenfalls angebunden. Erst, als seine Hände gepackt und Eisen durch seine Handflächen getrieben wurden, erkannte er, was sie taten. Don Ricardo hatte ihn ans Kreuz nageln lassen – wie einst jenen Mann, der Frieden gepredigt hatte und in dessen Namen grauenvolle Kriege geführt wurden. Mohammed spürte, wie eine Hand sein vor Schmerzen schon fast taubes rechtes Bein tätschelte.
»Nun, mein junger Freund, es ist eine große Ehre für dich, zu sterben wie Jesus. Im Leben wolltest du kein Christ werden, so sei es zumindest im Tode. Ich überlasse dich jetzt deinem Schicksal; du hast noch ein wenig Zeit, um über deine Sünden nachzudenken, denn eine Zukunft hast du bedauernswerterweise nicht mehr. Ich hingegen werde sogleich die schöne Ana aufsuchen und ihr mitteilen, dass ich ihr großzügig zu vergeben gedenke. Gehab dich wohl, Mohammed al Hassarin, bald siehst du deine Familie wieder.«
Mohammed hörte, wie der Don befahl, bei ihm Wache zu halten und niemandem zu erlauben, ihn vom Kreuz zu holen. Dann folgte Stille und Mohammed dachte schon, sie hätten ihn seinem Schicksal überlassen, als eine leise, verärgerte Stimme erklang.
»Verdammt, jetzt müssen wir hier dem stinkenden Ungläubigen beim Sterben zusehen. Ich hätte so viel Besseres zu tun!«
»Ach was, der macht es nicht mehr lange, dann können wir gehen. Lebt er überhaupt noch?«
»Augenblick.«
Der Sterbende spürte, wie ein Messer in seine Hüfte gestoßen und ein wenig gedreht wurde. Sein geschundener Körper reagierte mit heftigen Zuckungen.
»Ja, er lebt noch, wie du siehst. Oh, das sprudelt ja nur so!«
Mohammed fürchtete sich davor, in Schande zu sterben, und vor allem im Jenseits seiner Familie unter die Augen zu treten, deren Tod er verschuldet hatte. Könnte er nur einen Dschinn herbeirufen, der für ihn Rache übte, oder der es ihm ermöglichte, selbst Rache zu nehmen. Doch es war zu spät. Sein Kopf sank kraftlos auf die Brust, sein Körper sackte in sich zusammen. Das Ende nahte, und er bat den Todesengel, ihm rasch Gnade zu erweisen.
Der Morgen graute bereits und erste Strahlen der sich mühsam ihren Weg durch graue Wolken bahnenden Sonne krochen über die taufeuchten Büschelgräser, als Don Ricardo mit Sebastian zurückkam, um den Toten herunterzuschneiden und zu verbrennen. Sebastian hatte seinen Herrn davon überzeugt, dass es seinem Ansehen als guter Christ Schaden zufügen würde, wenn er den Leichnam eines Ungläubigen tagelang am Kreuz hängen ließ.
Doch das Kreuz war verlassen. Den Wächtern hatte man die eigenen Schwerter durch den Hals getrieben und sie damit zusammen an den Fuß des Kreuzes genagelt. Sie starrten Ricardo und Sebastian aus leblosen Augen an, die Gesichter in unbeschreiblichem Schrecken verzerrt.
Der Ungläubige war spurlos verschwunden.
Der Don fröstelte, eisige Kälte machte sich in seinen Gliedmaßen breit. Er befahl Sebastian, sich um die Toten zu kümmern und verließ in gestrecktem Galopp die Stätte des Grauens. Vergeblich versuchte er, die Angst abzuschütteln, sie verfolgte ihn auf dem ganzen Weg.