Читать книгу Kinder der Dunkelheit - Gabriele Ketterl - Страница 33

Оглавление

Raffaele vergewisserte sich, dass alles mit seinem Schützling in Ordnung war und ging dann zu Vittorio, der es sich zwischenzeitlich auf der anderen Seite des Feuers auf Kissen bequem gemacht hatte.

»Raffaele, du musst beizeiten aufhören, ihn so zu verwöhnen. Deine väterliche Fürsorge verblüfft mich immer wieder.«

»Sei du nur still, mein Freund. Wer von uns beiden ist denn unermüdlich auf der Suche nach Menschen, die gerettet werden sollen? Wer hat mich in dieses vom Chaos regierte Land gerufen? Soweit mein Gedächtnis mich nicht trügt, warst du das!«

Raffaeles Blick wanderte hinüber zu Mohammed, der mit geschlossenen Augen tief und gleichmäßig atmete.

»Er schläft«, versicherte Vittorio seinem Freund. »Er kann uns jetzt nicht hören.«

»Dann erzähl, was hast du herausgefunden?«

Vittorio seufzte tief. »Leider nur Übles. Al Hassarins Güter sind an Don Ricardo gefallen, wie du schon ahntest. Er hat sich die Besitzurkunde von Isabella und Ferdinand besorgt. Es ist unfassbar. Das Königspaar verteilt einfach großzügig Land, welches es nicht besitzt! Wie ich jetzt gehört habe, waren die al Hassarins beileibe kein Einzelfall, weitere Familien wurden enteignet, ohne ernsthafte Gründe anzugeben. Manche hatten Glück, das Land rechtzeitig verlassen zu haben. Aber nicht alle, wie die al Hassarins.«

Raffaele war fassungslos. »Und Ricardo wird nicht zur Rechenschaft gezogen?«

Vittorio zuckte nur mit den Schultern. »Wer sollte das tun, wenn Ricardo Kirche und Thron auf seiner Seite hat? Seltsamerweise hat ihn sein langjähriger treuer Hauptmann Sebastian, der in seinem Auftrag schon einige Familien massakriert hat, verlassen. Nach der Mordnacht quittierte er aus unbegreiflichen Gründen den Dienst.«

»Vielleicht war es einmal zu viel.«

»Und er sah keinen Sinn mehr darin. Möglich. Der Don ist zudem nicht gerade ein beliebter Dienstherr und für seine Gnadenlosigkeit auch den eigenen Leuten gegenüber bekannt. Seine neue rechte Hand ist ein gewisser Juan, der früher im Dienst der al Hassarins stand. Wenn ich meinen Ohren trauen darf, war er es, der dem Don die al Hassarins mehr oder weniger ans Messer geliefert hat.«

Raffaele stocherte nachdenklich im Feuer herum. »Meine innere Stimme sagt mir, dass Señor Juan seine neue Stellung nicht lange wird genießen können, sobald unser junger Mohammed hier seine neuen Kräfte anzuwenden weiß. Du darfst mir glauben, dass ich ihn gern dabei unterstützen werde.«

»Nicht nur du.« Vittorios Stimme klang mit einem Mal traurig. »Leider gibt es noch mehr schlechte Nachrichten.«

»Noch schlechter?«

»Allerdings. Die junge Duquesa Ana war wohl noch am gleichen Tag von ihrem Vater zuerst auf das Schlimmste beschimpft und dann vollkommen eingeschüchtert worden. Er hat ihr dabei verschwiegen, dass nicht nur die sogenannte Entführung durch Mohammed von ihrem Verlobten vereitelt worden war, und dass der Mann, den sie liebte, von ihm zu Tode gefoltert und seine gesamte Familie durch seinen Befehl ausgelöscht wurde. Nun war das arme Mädchen sowieso schon außer sich vor Sorge, da ihre Zofe Teresa spurlos verschwunden war. Zunächst hegte sie noch die Hoffnung, dass die al Hassarins sie bei sich behalten hätten, um sie keiner weiteren Gefahr auszusetzen. Der Don hatte ihrem Vater eine neue Zofe namens Netta für seine zukünftige Frau mitgegeben. Sie war so verängstigt und verstört, dass es Donna Ana nicht verborgen geblieben ist. Kurz bevor Don Ricardo vorbeikam, war es ihr gelungen, den größten Teil der Verschwörung aus der Kleinen herauszukitzeln.

Nun wusste sie zwar, was mit Teresa und der Familie geschehen sein musste, hatte aber die Zuversicht nicht aufgegeben, dass Mohammed vielleicht noch lebte. Der Don jedoch berichtete in allen Einzelheiten, was er mit Mohammed angestellt hatte. Zum Schluss meinte er, sie solle das als Warnung nehmen für die Zukunft, denn so gehe er mit Menschen um, die seinen Besitz stehlen wollen.«

Voller Zorn sprang Raffaele auf und trat gegen die Wand der Höhle, was zu einer kleinen Erschütterung führte. Vittorio musterte leicht besorgt die Höhlendecke. »Mein alter Freund, wenn du hier alles zum Einsturz bringst, hilft das auch niemandem weiter.«

»Das mag sein, aber dann habe ich mich etwas abgeregt. ›Seinen Besitz‹ – ich könnte dem Schwein eigenhändig den Hals umdrehen!«

»Ich denke, das wird ein anderer tun«, bemerkte Vittorio mit einem Seitenblick auf Mohammed, der weiterhin schlummerte. »Der Don eröffnete anschließend seiner Verlobten, wo sie ab sofort mit ihm leben sollte, und das sei sein großzügiges Brautgeschenk an sie und er hoffe, dass sie sich darüber angemessen freue.«

»Er wird dafür bezahlen.« Raffaele bezähmte sich diesmal und schüttelte nur den Kopf. »Was gibt es sonst noch?«

»Der traurigste Teil. Nachdem der Don seine Verlobte aufgefordert hatte, sich auf die Hochzeit und den Umzug in ihr neues Zuhause vorzubereiten, sah Donna Ana offenbar keinen Ausweg mehr, vor allem aber keinen Grund, weiterzuleben. Sie wartete, bis der Don das Haus verlassen hatte und auch ihre Eltern sich zurückgezogen hatten. Dann verließ sie ihr Heim eben durch jene kleine Pforte, an der man Mohammed aufgelauert hatte. Sie holte sich ein Pferd und ritt hinunter zur Küste. Das Mädchen dachte sogar noch daran, dem Pferd die Zügel abzunehmen und es zurückzuschicken. Sie stürzte sich von den Klippen unterhalb Granadas ins Meer. Ich habe zusammen mit zwei Helfern die ganze Nacht hindurch den gesamten Küstenstreifen abgesucht. Erfolglos. Aber Fischer mit ihrem Boot entdeckten sie Stunden später tot im Meer treibend. Als ihr Vater das erfuhr, erlitt er verdientermaßen einen Herzanfall. Im Gegensatz zu seinem Kind wird er jedoch weiterleben. Ana wird heute im Familiengrab beigesetzt. Verstehst du mein Zögern vorhin? Diese Neuigkeiten hätte ich Mohammed lieber erspart.«

In Gedanken versunken, legte Raffaele Holz nach. »Ja, das glaube ich dir. Lass uns hoffen, dass der Schlaf ihm gut tut und er erholt und bei noch besserer Gesundheit erwacht. Denn spätestens nächste Nacht wird er all das erfahren und auch verkraften müssen. Ich hatte so sehr gehofft, dass wenigstens dieser Teil sich noch zum Guten wenden lässt. Schade, sehr schade. Und wer hat dir all das erzählt?«

Vittorios sorgenvolle Miene wich einem angedeuteten Lächeln. »Die kleine Netta. Das Kind war total verzweifelt und bereit, selbst über die Klippen zu springen, da sie glaubte, mit schuld daran zu sein, was Mohammed und Ana zugestoßen war. Ich habe sie rechtzeitig abgefangen und getröstet.«

»Getröstet?«

»Ja, nicht nur du, mein alter Freund, verstehst dich darauf.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Netta ist in bester Obhut und unterwegs nach Toledo. Sie wird dort im Haus von Abdallahs Tochter leben. Ihr Vater hat Boten ausgeschickt, um seine Tochter und ihre Familie für eine längere Zeit zurück nach Hause zu holen. Vertraute Abdallahs werden die Villa bei Toledo übernehmen und nehmen Netta in ihre Dienste.«

»Abdallah befiehlt seine Tochter zu sich?« Besorgt runzelte Raffaele die Stirn.

»Von Befehl kann keine Rede sein. Aber er ist aufgrund der Entwicklungen der Ansicht, sie solle das Land zu ihrer eigenen und zur Sicherheit seiner Enkel für eine Weile verlassen. Toledo ist so unsicher wie Granada geworden, erst kürzlich ist eine maurische Familie spurlos verschwunden. Sie hat daher entschieden, dem Rat zu folgen.«

»Nach all dem, was gerade hier geschehen ist, kann ich nur sagen, ein weiser Entschluss«, sagte Raffaele.

»Die Umstellung wird ihr trotzdem schwerfallen, so zurückgezogen, wie Abdallah in seinen fernen Wüstendomizilen lebt.« Vittorio neigte nachdenklich den Kopf. »Vielleicht sollte ich es ihm endlich gleichtun.«

Raffaele hüstelte leise. »Du? Wie Abdallah über jahrhundertelang abgeschieden in der Wüste mit nur einer Frau zu leben – verzeih mir, aber das kann ich mir beim besten Willen bei dir nicht vorstellen.«

»Na, und du?«, gab Vittorio zurück. »Die Damenwelt Italiens vermisst dich schon seit einer ganzen Weile schmerzlich, darauf möchte ich wetten. Die Herren wohl eher weniger.«

Raffaele streckte sich auf seinem Kissenlager aus. »Ich werde sie versöhnen, wenn es an der Zeit ist. Jetzt lass uns ein paar Stunden schlafen, wir haben eine Menge vor uns. Es ist an der Zeit, dass unser junger Freund mit seinem früheren Leben abschließt. Er soll wieder lachen lernen. Und ich weiß einen Ort, der dazu beitragen wird.«

Kinder der Dunkelheit

Подняться наверх