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7.

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Gleichmäßiges, angenehmes Meeresrauschen plätscherte an seine Ohren, es klang beruhigend und vertraut, nach Ewigkeit, Ruhe und Frieden – nach all dem, das er zu finden gehofft hatte, während er auf den erlösenden Tod wartete. Er fühlte keine Schmerzen mehr, sein Körper hing auch nicht mehr an dem Kreuz, sondern war auf ein weiches Lager gebettet. Bis auf das Rauschen des Wassers war kein Geräusch zu hören. Der Tod hatte ihm also letztendlich die erbetene Gnade erwiesen – er hatte endlich sterben dürfen.

Es dauerte eine Weile, bis Mohammed den Versuch wagte, die Augen zu öffnen, und als er es endlich tat, sah er Dunkelheit, durchbrochen von silbrig-weichem Licht schillernder Wellen, die sich stetig und unbeirrt an einem Felsen brachen, der mitten aus dem Wasser ragte. Es war ein schöner und tröstlicher Anblick, den Mohammed eine Weile in sich aufnahm. Es tat gut, einfach so dazuliegen und nur auf das Wasser hinauszublicken. Er hatte das Meer schon immer geliebt, es freute ihn, dass er im Jenseits an seinem Ufer erwachte.

Es war die Neugierde, die Mohammed dazu veranlasste, sich erheben zu wollen. Er versuchte, sich mit den Armen abzustützen und nach oben zu sehen, doch es misslang kläglich. Er hatte den Kopf kaum angehoben, als die Welt um ihn herum sich zu drehen begann und er sofort wieder zurücksank.

»Vorsichtig, mein Junge! Vorsichtig und langsam, du hast alle Zeit der Welt. Du bist noch nicht wieder ganz bei Kräften.«

Es dauerte eine Weile, bis Mohammed begriff, dass jemand zu ihm gesprochen hatte und die tiefe, angenehme Stimme nicht aus seinem Gehirn kam. Er versuchte, denjenigen zu erkennen, der diese Worte gesagt hatte, doch dazu musste er wieder den Kopf heben, was ihm abermals nicht gut bekam.

»Bleib ruhig liegen. Ich bin hier, auf der anderen Seite!«

Mohammed drehte mühevoll das Gesicht in die Richtung, aus der die Stimme kam, die so freundlich und beruhigend klang. Etwas weiter entfernt erkannte er ein kleines flackerndes Feuer und in dessen Schein erblickte er einen höchst beeindruckenden Mann. Langes graues Haar fiel dem Unbekannten in weichen Locken bis über die Schultern. Als er genau hinsah, erkannte Mohammed, dass das Haar im Mondlicht fast wie Silber leuchtete. Aus strahlend blauen Augen sah der Fremde ihn freundlich und zugleich besorgt an. Das schlanke Antlitz des Mannes war blass und wies eine einzigartige, seltsam wilde Schönheit auf. Diverse Ringe baumelten an seinen Ohren, in denen sich das Flackern des Feuers widerspiegelte. Er hielt sein Gesicht leicht geneigt und lächelte.

Mohammed war verwirrt. Wer mochte das sein? War dies einer der Boten, die Toten dabei halfen, sich im Himmel zurechtzufinden? Oder gar ein Schaitan, der ihn in die Verdammnis für seine große Schuld führte, und dies war die Pforte, die Segen von Fluch trennte?

Schließlich entschied er sich für das einzig Vernünftige, nämlich mit dem Mann zu sprechen. Er öffnete seine Lippen, besorgt, ob er überhaupt in der Lage war, sich verständlich zu machen, doch sein Mund und seine Zunge verhielten sich so wie früher und das Sprechen fiel ihm leicht.

»Wer seid Ihr, und wo bin ich hier?«

»Mein Name ist Raffaele, und du bist am Strand.«

Mohammeds Verwirrung nahm zu, denn diese Aussage half nun nicht gerade, ihn zu beruhigen. »Treibt keine Scherze mit mir. Ich weiß, dass ich tot bin, lange genug hat mein Sterben gedauert. Habe ich nicht das Recht zu erfahren, wie weiter mit mir verfahren wird?«

Der Mann wickelte sich aus seinem langen Umhang und erhob sich. Mohammed musste weit nach oben blicken, um Raffaeles Gesicht noch fixieren zu können. Gleich darauf ließ er sich neben ihm im Sand nieder und strich ihm beruhigend übers Haar.

»Doch, mein junger Freund, du hast alles Recht der Welt zu erfahren, was geschehen ist, und ich werde dir auch nichts vorenthalten. Aber gib dir selbst noch etwas Zeit. Komm zuerst einmal in deinem neuen Leben an, ehe du mehr darüber lernst. Du bist schwach, aber du wirst dich bald erholen, und dann gilt es, viel zu verstehen und mit viel Neuem zurechtzukommen.«

»Neues Leben? Welches neue Leben und was muss ich daran denn verstehen lernen?«

Eine kühle Brise strich vom Meer herauf und Mohammed fröstelte. Raffaele zog ihm eine der Decken etwas höher, in die er gewickelt war.

»Die Nächte am Meer sind kühl und feucht, aber die Luft ist gut für dich, sie hilft deinem Körper, zu heilen. Sieh mich nicht an, als ob ich ein Gespenst sei! Ich will dir wahrlich nichts Böses.«

Dass ihm von dem Fremden keine Gefahr drohte, hatte Mohammed begriffen, er vertraute ihm. Warum, konnte er nicht sagen.

»Sagt mir bitte, Raffaele, bin ich also nicht tot? Ich muss es wissen, allem voran!«

Das Gesicht seines Gegenübers verzog sich zu einem Lachen und Mohammed erkannte, dass es dadurch sogar noch schöner wurde. Selten hatte er solch eine Vollkommenheit an einem Menschen entdeckt – dies konnte kein einfacher Wanderer sein. Doch dann bekam Mohammed seine Antwort, eine Antwort, die er beileibe nicht erwartet hatte.

»Du bist wahrlich nicht tot und wenn du dich ein wenig umsiehst, dann wirst du erkennen, dass dieser Strand verblüffende Ähnlichkeit mit der Küste zwischen Granada und Malaga hat.« Raffaele half ihm dabei, sich aufzusetzen und stützte ihn.

Mohammed glaubte tatsächlich, es wäre das Mittelmeer. In einiger Entfernung erblickte er ein Boot, das gemächlich auf dem Wasser dümpelte, und wenn er den Kopf etwas zur Seite wandte, konnte er die Silhouette Granadas in der Ferne erkennen.

Es dauerte eine Weile, bis es ihm auffiel. Es war unmöglich, von der Küste aus Granada zu sehen, die Entfernung war viel zu groß für menschliche Augen!

Raffaele schien seine Gedanken zu lesen. »Du fragst dich, warum du deine Heimatstadt sehen kannst? Du wirst in Zukunft viele Dinge erblicken und erspüren, die normale Menschen nicht wahrnehmen können.«

Mohammed erschrak. »Was meint Ihr damit? Bin ich etwa kein normaler Mensch mehr?«

Sein Retter zögerte merklich, ehe er antwortete. »Ehrlich gesagt, nein. Du bist nicht einmal mehr ein sterblicher Mensch.«

»Aber was bin ich dann?«

»So wie ich.«

Raffaele schob mit der freien Hand einige Decken und ein Kissen so zurecht, dass Mohammed annähernd aufrecht sitzen konnte, dann ließ er sich ihm direkt gegenüber nieder und sah ihn eindringlich an.

»Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte, bei der ich dich bitte, aufmerksam zuzuhören und mich nicht zu unterbrechen. Wenn ich fertig bin, verspreche ich dir, alle Fragen, die du hast, zu beantworten. Wir haben dafür alle Zeit der Welt – wortwörtlich. Also gedulde dich und hör zu. Bist du so weit? Kann ich beginnen?«

Mohammed nickte atemlos. Er konnte sich nicht vorstellen, was Raffaele ihm jetzt erzählen würde, doch er ahnte, dass es alles verändern würde.

Kinder der Dunkelheit

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