Читать книгу Kinder der Dunkelheit - Gabriele Ketterl - Страница 39

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Zwischenspiel

»HERR, IHR MÜSST MIR GLAUBEN! Ich habe niemanden gesehen. Sie müssen auf Schleichwegen, die ich nicht kenne, an mir vorbeigekommen sein. Bitte, Herr, ich habe wirklich mein Bestes getan!«

Lysander lag vor seinem Herrn im Staub. Das war das Mindeste, was dieser nun von ihm erwartete, denn Versagen hatte er noch nie geduldet. Nun ging er langsam auf den vor ihm liegenden Lysander zu.

»Wieder einmal enttäuschst du mich, wieder einmal haben wir um deinetwillen wertvolle Zeit verloren! Ich hatte eine klare Anweisung erteilt. Ich wollte rechtzeitig wissen, wann die Gruppe um Abdallahs Tochter hier eintrifft und nun muss ich hören, dass sie längst an Bord dieser Schiffe sind und du nichtsnutziges Wesen sie einfach verschlafen hast.«

Lysander begann zu wimmern. »Herr, ich habe nicht geschlafen, so glaubt mir doch!«

Er stand jetzt direkt vor dem sich vor Angst windendem Mann. Langsam setzte er den Stiefel auf dessen Handrücken. »Versage nur noch ein einziges Mal und du wirst erfahren, was es heißt, meinen Anordnungen nicht pflichtgemäß Folge zu leisten.« Langsam erhöhte er das Gewicht und der Absatz des Stiefels presste sich tief in Lysanders ungeschützte Hand. Erst, als es deutlich vernehmbar knackte, lächelte der Herr zufrieden und ließ von dem zitternden und schmerzvoll wimmernden Diener ab. »Lass dir das eine Lehre sein, eine allerletzte Lehre! Hast du sie verstanden?«

»Ja, Herr, natürlich!«

»Und jetzt auf! Sobald mein Sohn zurückkehrt, muss alles vorbereitet sein.«

Wütend winkte er Andro herbei, der sich das alles gern noch weiter aus einer sicheren Entfernung angesehen hätte. »Nimm diesen Nichtsnutz mit dir und dann packt euch beide!«

Lysander rappelte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf, hielt die gebrochene Hand an der Brust. Mit gesenktem Kopf stolperte er hinter Andro her.

Zorn kochte in ihm. Tagelang hatten sie gewartet, wohl wissend, dass die Erwarteten hier vorbeikommen mussten. Nun waren sie ihm doch entwischt! Und warum? Weil seine Untergebenen schlichtweg unfähig waren. Hoffentlich hatte Ares Erfolg!

Ein Lächeln umspielte seine Lippen und er beruhigte sich. Ares würde zweifellos Erfolg haben, er hatte noch nie versagt. Ihm war es zu verdanken, dass sie fast alle jene aufgespürt hatten, denen sein abgrundtiefer Hass galt. Viele Jahre hatten sie benötigt, aber sie waren geduldig gewesen. Zeit war das, was ihnen im Überfluss zur Verfügung stand, und sie wussten sie zu nutzen. Sie hatten gewartet und gesucht, sie waren durch die ganze Welt gereist und schließlich waren ihre Anstrengungen von Erfolg gekrönt worden.

Liebe war in seinem Leben ein Fremdwort gewesen – bis zu jenem Tag, als ihm die Dienerin weinend das neugeborene Kind in die Arme gelegt hatte. Das törichte Ding hatte um die Frau geweint, die bei der Geburt gestorben war. Diese war ihm denkbar egal gewesen, ihm war nur eines wichtig: das gesunde, starke und schöne Kind in seinen Armen. Sein Sohn! Ares war klug, edel, schnell und absolut tödlich. Er war sein oberster Feldherr geworden in einem Rachefeldzug, den er lange, ja, schon sehr lange vorbereitet hatte.

Langsam ging er am Pier entlang, genoss die neugierigen und bewundernden Blicke der Frauen. Das erleichterte ihm, seine Beute zu finden.

Eine der jungen Frauen, eine Netzflickerin, die schon den ganzen Tag bei den Fischerbooten gearbeitet hatte, weckte sein besonderes Interesse. Sie war ein hübsches Ding: jung, neugierig, fröhlich, mit langem dunklem Haar und ebenmäßiger, gebräunter Haut. Er lächelte ihr zu, wissend, dass dieses Lächeln sie zu ihm führen würde. Langsam schlenderte er ihr entgegen, wie zufällig berührte er ihren Arm.

»Señorita, verzeihen Sie, ich war unachtsam. Wie kann ich das nur wieder gutmachen?«

Das junge Mädchen erwiderte sein strahlendes Lächeln. »Aber Herr, das macht doch nichts. Ich hätte beiseitegehen sollen. Ich bin es, die unachtsam war.«

Er freute sich. Sie war nicht nur hübsch, sondern offenbar auch gut erzogen und verstand es, sich gewählt auszudrücken. Sie war seiner würdig. »Wohin gehen Sie denn, Señorita, vielleicht kann ich mich für meine Ungeschicklichkeit entschuldigen, wenn ich Sie ein wenig begleite?«

Sie lächelte geschmeichelt und erfreut zugleich. Solch ein edler und noch dazu gutaussehender Herr sprach normalerweise nie mit jemandem wie ihr. »Ich habe meinem Onkel geholfen, er ist jetzt draußen beim Fischen. Nun gehe ich nach Hause.«

»Darf ich Sie begleiten, Señorita? Es wäre mir eine Ehre.«

Gern nahm sie sein Angebot an, ohne zu wissen, dass sie schon gar keine andere Wahl mehr hatte. Er bot ihr seinen Arm und sie hakte sich dankbar lächelnd bei ihm unter, ließ sich von ihm den Pier entlang und dann zu der kleinen Gasse geleiten, die hinauf zur Straße führte.

Als sie auf etwas Glitschigem ausglitt, hielt der noble Herr sie lächelnd fest. Sie sah in seine Augen und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie hellbraun waren und sich, wenn er lächelte, veränderten. Als würden sie leuchten. Er hatte schöne Augen, sie passten zu ihm. Warum aber hielt er sie noch immer so fest? Sie stand doch längst wieder sicher auf den Beinen. Sein Gesicht näherte sich dem ihren und sie ließ es verwirrt geschehen, denn es gelang ihr nicht mehr, einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Augen hatten etwas Magisches, Fesselndes.

Als sie seine Lippen auf ihrem Hals spürte, genoss sie zunächst das Prickeln, das seine Berührung bei ihr auslöste. Doch dann kam der Schmerz. Ein stechender Schmerz, der so plötzlich kam und so sehr weh tat, dass ihr Tränen aus den Augen schossen. Der Mann hatte seine in Lederhandschuhen steckenden Hände in ihren langen Haaren vergraben und hielt sie unerbittlich an sich gedrückt. Die Pein nahm noch zu und sie weinte heftig, doch sie konnte nicht schreien – ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr, er schien sie ihr geraubt zu haben.

Was geschah nur mit ihr? Langsam wurde es dunkel um sie, der Schmerz tobte durch ihren Körper und sie fühlte, wie das Leben sie verließ.

»Vater? Verzeih, ich wollte dich nicht stören.«

Er wandte sich um, lächelnd und gesättigt. »Ares, du störst mich nicht. Ich bin gerade fertig.« Achtlos ließ er die Netzflickerin fallen.

Sein Sohn sah hinunter auf das tote Mädchen, Bedauern lag in seinem Blick. »Sie war noch so jung.«

Mit leisem Kopfschütteln schob er seinen Sohn zurück Richtung Pier. »Ares, sie war nur ein Mensch. Sie sind Millionen und werden täglich mehr, du musst dich nicht ihretwegen sorgen.«

Ares strich sich die langen dunkelblonden Haare zurück und konnte nicht umhin, zu lächeln. »Vater, wenn ich nach so vielen Jahren noch immer Lektionen bedarf, dann hast du während meiner ausführlichen Erziehung wohl etwas vergessen.«

»Mein lieber Sohn, man kann tausend Jahre alt werden und lernt dennoch immer etwas Neues dazu. Vor allem in Bezug auf Frauen. Aber jetzt sprich, hast du Neuigkeiten für mich?«

Schlagartig wurde Ares ernst. »Ja, Vater. Die, welche wir gesucht haben, sind auf der El Águila. Sie nehmen Kurs auf Tunis. Einer der Matrosen war sehr gesprächig, was er jetzt natürlich nicht mehr ist. Sie haben seine Abwesenheit sicher nicht bemerkt.«

Sein Vater lächelte. »Ares, ich wusste es. Auf dich kann ich mich verlassen. Sei so gut und ruf jetzt unser Schiff, es kann seine Deckung aufgeben.«

Ares nickte und eilte davon.

Er sah ihm nach, Stolz lag in seinem Blick. Sein Sohn war sicherlich das Beste, was er jemals geschaffen hatte. Gemächlich schritt er zur Anlegestelle und richtete seine Augen auf den Horizont. Dort schälte sich langsam ein Schiff aus dem Dunkel der Nacht. Ein mächtiges Schiff von hier gänzlich unbekannter Bauart, mit schwarzen Segeln.

Die Fischer wurden bezahlt, und mit einigen Booten ruderten sie vom Pier aus die Passagiere zu dem unbekannten Schiff, das abseits des Piers ankerte. Nachdem sie zurückgekehrt waren, fragten ihre Kameraden und Freunde, wen sie denn zu dem merkwürdigen schwarzen Schiff, das so plötzlich aufgetaucht sei, hinausgerudert hätten. Sie bekreuzigten sich mehrmals und murmelten, sie hätten nur zugesehen, dass sie wieder wegkämen, denn zu unheimlich sei dieser große, dunkle Herr gewesen, und seine Begleiter nicht minder schaurig.

Die braven Leute wollten daraufhin dem Schiff nachblicken, doch es war bereits in der Nacht verschwunden, wie ein Geisterschiff.

Kinder der Dunkelheit

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