Читать книгу Die tote Zeugin - Georg Kustermann - Страница 17

Irgendwo, zwei Jahre früher

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Es gab kein Morgen und es gab kein Gestern mehr. Es gab nur noch einen endlosen Tunnel ohne Tage und Nächte. Und es gab den Hall seiner sich nähernden Schritte, die wie ein dröhnender Trommelschlag ankündigten, dass sich die Tür ihres Verlieses jetzt gleich wieder öffnen würde. Und als er dieses Mal mit ihr fertig war, glich ihr Zustand weniger einem Nervenzusammenbruch, als vielmehr der kompletten Auflösung ihres Seins: Ihr Gehirn hatte einfach die Kontrolle über Muskeln und Nerven verloren. Sie kroch wimmernd, von einem Zittern geschüttelt in die Ecke auf ihrer Pritsche und zog die Arme über ihr Gesicht.

Er hatte ihr alles genommen, was sie hatte. Ihren Körper, ihren Stolz und auch den letzten Funken Würde, er hatte nichts von ihr übrig gelassen. Er fesselte wieder ihre Hände und verklebte ihr wieder die Augen. Das letzte was sie in ihrem wogenden Nebel aus Schmerzen und Dunkelheit hörte, war seine Stimme ganz nah neben ihrem Kopf: „War gut, Puppe. Streng dich weiter an und schrei hier nicht in der Gegend herum, dann lebst du vielleicht weiter. Denn sobald du mir keinen Spaß mehr machst, dann bringe ich dich um!“

Keine Angst – kein Entsetzen – keine Gefühle mehr – nur Leere!

Aber als sie irgendwann wieder langsam aus ihrem Dämmerzustand auftauchte, kam die Angst zurück wie ein rasendes Tier.

Bringe ich dich um! Ich wollte doch leben! Bringe ich dich um! So viele Träume! Bringe ich dich um! Warum? Wohin?

In der Folgezeit vermischten sich Angst, Hoffnungslosigkeit und Schmerz zu einem strukturlosen Klumpen ohne Zeitgefüge. Es war eine Agonie in vollkommener Dunkelheit und sie wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Es war ein immerwährendes Warten auf den Klang seiner Schritte vor der Tür. Der Klang seiner Schritte war für sie gleichbedeutend mit der Botschaft, dass sie jetzt womöglich sterben würde. Wenn er wieder über ihr war, wehrte sie sich nicht. Sie schrie auch nicht, weil sie Angst hatte, dass er sie dann töten würde und sie bettelte, wenn er es von ihr verlangte, weil irgendein Rest in ihr immer noch leben wollte.

Sie wartete nur in der Dunkelheit ihrer zugeklebten Augen, was als nächstes mit ihr passieren würde und immer, wenn sie glaubte, Schmerz und Demütigung hätten ihren absoluten Höhepunkt erreicht, belehrte sie der große Mann eines Schlechteren.

Sie wartete nur in der Dunkelheit ihrer zugeklebten Augen, was als nächstes mit ihr passieren würde und immer, wenn sie glaubte, Schmerz und Demütigung hätten ihren absoluten Höhepunkt erreicht, belehrte sie der große Mann eines Schlechteren.

Sie wusste irgendwann nicht mehr, ob es einer oder mehrere Männer waren, die sie vergewaltigten und welche perversen Werkzeuge sie dazu benutzten. Und jedes Mal wurde die rasende Angst, jetzt, genau in diesem Moment, getötet zu werden noch ein bisschen größer als beim vorigen Mal. Manchmal wünschte sie sich nichts mehr, als einfach das Bewusstsein zu verlieren, aber sie hielt durch, sie hielt viel zu lange durch …

Und als er irgendwann … endlich, das Klebeband von ihren Augen riss, ihr ins Gesicht starrte und ob des Entsetzens in ihren Augen kalt lächelte, da wusste sie es schon, bevor er seine Hände um ihren Hals legte.

Nur kurze Zeit fühlte sie den Druck auf ihrem Kehlkopf, dann ergab sie sich ihrem Schicksal und langsam umfing sie eine allumfassende Stille. Und die Dunkelheit begann nach ihrem Herzen zu greifen.

So sah also das Sterben aus, dachte sie noch. Es war so viel gnädiger als der Weg dorthin mit all seiner Angst und den Schmerzen. Und ein pechschwarzer Strudel begann sich zu drehen. Doch als sie schneller und immer schneller in den endlosen, dunklen Tunnel fiel, sah sie an dessen Ende ein winziges Leuchten! Ein glimmender Funke! Ein ewiges Licht! Und noch während sie fiel, wurde das Licht größer, fing sie auf und ganz deutlich fühlte sie seine Botschaft: Leben!

Die tote Zeugin

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