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Übersee am Chiemsee, 31. August, zwei Jahre früher

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Es war ein Spätsommertag vom Allerfeinsten und der Chiemsee lag träge im Voralpenland wie ein Straßenarbeiter, der nach einer Zehnstundenschicht in der Sommerhitze endlich seine Beine bei einem wohlverdienten Feierabendbier ausstrecken kann. Die Hitze, welche das Thermometer tagsüber bis weit über die 30-Grad-Marke getrieben hatte, begann einem lauen Abendlüftchen zu weichen und auch die Vögel bedankten sich für die ersehnte Abkühlung mit einem wahren Konzert in den Baumkronen. Keine drohenden Gewitter- und Hagelwolken im Westen und keine Sturmwarnung über dem See trübten die Ruhe dieses Sommerabends.

Da mittlerweile die meisten Leute von der Arbeit nach Hause kamen, begannen sich die Biergärten entsprechend zu füllen, so auch in Übersee am Ostufer des Chiemsees, wo sich die Einheimischen gerne zum „Sundowner“ einfanden. Die traumhaften Sonnenuntergänge, die hier immer wieder ihr phantastisches Farbenspiel über den Wasserspiegel zauberten, hatten sogar dem Restaurant an dieser Stelle den Namen Sundowner Bar eingebracht.

Unter den mächtigen Kastanien am Eingang stand eine große, schlanke Frau, die ihre brünetten, glatten Haare zu einem rückenlangen Pferdeschwanz gebunden hatte und an welcher der eine oder andere Männerblick durchaus etwas länger haften blieb. Claudia Keller ließ ihre Augen immer wieder suchend über die Zufahrtsstraße gleiten und sah zum wiederholten Mal auf ihre Uhr. Ihre Verabredung war mittlerweile schon fast zehn Minuten überfällig, was sie von früheren Zeiten her gar nicht gewohnt war.

Man konnte nicht behaupten, dass sie ihre älteste und beste Schulfreundin schon länger nicht mehr gesehen hatte. Nein! Sie brauchte nur einen Sportkatalog von Nike, eine Cosmopolitan oder irgendeine Mode- oder Frauenzeitschrift aufzuschlagen und die Chancen standen ziemlich gut, dass eine oder auch mehrere Seiten darin von Stephanie Seilers äußerst ansprechender Erscheinung geziert wurden. Sie war im Verlauf des letzten Jahres zweifellos der Shooting Star der Modelszene geworden und der kometenhafte Aufstieg ihrer alten Sportfreundin erschien Claudia an manchen Tagen immer noch etwas völlig Irreales zu sein.

Seit deren Abreise nach Los Angeles vor über einem Jahr, waren sie zwar ständig in Kontakt geblieben, aber persönlich hatten sie sich seitdem nicht mehr gesehen. Von daher sah sie dem heutigen Treffen mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Ihre Neugier, ob und wie sich Steffi im Scheinwerferlicht eines Promi-Lebens verändert hatte, wuchs von Minute zu Minute. Als kurz darauf ein Peugeot Cabrio ziemlich flott in die gekieste Parkbucht einbog und eine junge Frau ein Paar bemerkenswerter Beine aus dem Auto schwang, war ihr klar, dass sich zumindest eines nicht verändert hatte. Wo auch immer Stephanie Seiler auftauchte, versetzte sie die Hälse der umstehenden Männer in anhaltende Rotationsbewegungen.

„Ja bist du woahnsinnig!“, kam ein leiser Kommentar vom Tisch direkt hinter Claudia, an welchem drei junge Burschen sich gerade dem kollektiven Köpfedrehen angeschlossen hatten. Auch Claudia selbst war durchaus an den einen oder anderen anerkennenden Männerblick gewohnt, aber es war immer wieder faszinierend, zu beobachten, welche Wirkung ihre alte Schulfreundin auf jeden Y-Chromosom-Träger zwischen 16 und 66 Jahren ausübte.

Schlank und groß, ihre Wahnsinnsbeine in knappen ausgefransten Jeansshorts, darüber ein schwarzes Top, das ihre durchtrainierten Schultern freigab, pflügte die Blondine sich durch das Testosteron der oberbayerischen Männerwelt wie ein Filetiermesser durch warme Butter. Steffi Seiler hatte diese faszinierende Kombination von sportlicher Athletik und weiblichem Sex-Appeal, die sie binnen einem Jahr zu einem der meist fotografierten Sport- und Bademodenmodels Europas gemacht hatte.

Und das Beste daran war schon immer gewesen, dass sie sich ihrer Wirkung auf das andere Geschlecht eigentlich nie so richtig bewusst gewesen war und auch nie damit kokettiert hatte. Auch das hatte sich offenbar nicht geändert, denn ohne die Spur irgendeiner Attitüde und ohne die Männerblicke groß zu beachten, kam sie direkt zum Eingang des Biergartens.

Mit ihrer imposanten Größe von fast eins achtzig blieb sie unmittelbar vor Claudia stehen, schob die Sonnenbrille auf ihre blonde Mähne und ihre vollen, perfekt geformten Lippen gaben ein Lächeln preis, das vermutlich jeden Mann problemlos dazu bringen konnte, seine gesamten Rentenansprüche an die Zeugen Jehovas abzutreten.

Ein Blick in diese irren Augen von der Farbe einer sonnendurchfluteten Lagune in der Karibik reichte Claudia, um zu wissen, dass ihre Freundin immer noch ihre Freundin war und dass sich zwischen ihnen nicht wirklich etwas verändert hatte. Dann lagen sie sich in den Armen.

„Hallo Claudia, tut mir echt leid, dass ich dich habe warten lassen, aber der mittlere Ring war voll, die A8 war voll …“

„… und außerdem war der Terminkalender von Miss Supermodel so voll, dass ich froh war, überhaupt einen Termin mit ihr zu kriegen“, fiel ihr Claudia lachend ins Wort.

„Servus Steffi, oder darf man mittlerweile Heidi zu dir sagen?“

„Äähhch, bitte nicht!“, erntete sie ein Aufstöhnen als Antwort.

„Erstens finde ich die Klum einfach nur ätzend und zweitens werden da hinten gerade zwei Plätze frei, die wir uns schnellstens schnappen sollten, wenn wir hier keine Stehparty geben wollen!“

Sie hatten Glück und ergatterten zwei der begehrten Sitzplätze mit Blick auf den See, über dem sich die Sonne langsam anschickte, eine Galavorstellung in punkto Sonnenuntergang zu geben. Erste Orangetöne in allen Schattierungen begannen bereits ihre Fühler über den wolkenlosen Himmel zu strecken und fanden ihr Abbild in der spiegelglatten Wasseroberfläche.

„Was darf’s denn sein, Ihr zwei Hübschen?“, fragte der Kellner, der verblüffend schnell an ihren Tisch gekommen war. „Geräucherte Chiemseerenken wären auf der Tageskarte und sehr zu empfehlen, mit Sahnemeerrettich und Feldsalat!“

„Ist ein Deal, dazu eine große Weißweinschorle!“, antwortete Claudia ohne überhaupt die Speisekarte in die Hand genommen zu haben.

„Zu wenig Fisch, zu viel Salat, also ich nehme den Seehecht auf Blattspinat mit Bratkartoffeln von der Tageskarte, dazu eine Apfelschorle!“, bestellte Stephanie ebenso kurz entschlossen und drückte dem anerkennend zwinkernden Ober die unbenutzten Karten wieder in die Hand.

„Also mit dir braucht’s nur eine männliche Bedienung und schon reduziert sich selbst in der schlimmsten Rushhour die Wartezeit auf ein Minimum!“, lachte ihre Freundin.

„Dafür dauert es bei weiblichen Bedienungen oft umso länger. Zickenkrieg und Stutenbeißen, du weißt schon. Überdies brauchst du dein eigenes Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Du bist doch die von uns beiden, der die Männerherzen schon immer zugeflogen sind.“

„Gut, und damit wollen wir die Bauchpinselei auch wieder lassen!“, bremste Claudia sie ein.

„Aber sag mal! Fotomodel und Bratkartoffeln? Nicht Low Carb und so? Ich dachte immer, ihr esst nur einzeln abgezählte Salatblätter.“

„Vergiss es! Joggen kannst du in München und sonst wo auf der Welt auch, es gibt überall Fitnessstudios und mein Mountainbike habe ich auch nicht nur zum Anschauen herumstehen. Zudem habe ich das Glück, dass die Hungermodels sowieso auf dem absteigenden Ast sind und ich hauptsächlich als die sportlich-dynamische Frau des 21. Jahrhunderts vermarktet werde.“, zitierte Stephanie mit etwas verdrehten Augen den Text aus ihrem Marketing-Konzept.

„Darum siehst du mich ja überwiegend mit Sportbekleidung und Bademoden.“

„Also immer noch der gleiche Bewegungsjunkie wie damals im Skigymnasium in Ruhpolding“, meinte Claudia kopfschüttelnd.

„Was heißt Bewegungsjunkie? Böse Zungen munkeln, ich sportle nur deshalb so viel, damit ich mehr essen kann, was ich gar nicht abstreiten will, womit wir wieder beim Thema wären.“

Ruhpolding war für die beiden Freundinnen das Stichwort, in Erinnerungen an ihre gemeinsame Schulzeit einzutauchen. Beide hatten früh ein Elternteil verloren, Claudia den Vater, Stephanie die Mutter, beide hatten keine Geschwister. Sie waren fast gleich alt und beide schon als Teenager sportlich gewesen.

So waren sie im zarten Alter von elf Jahren im Sportinternat Berchtesgaden gelandet. Dort teilten sie sich ein Zimmer. Das war der Beginn einer engen Freundschaft, die bis zum heutigen Tag, wiederum elf Jahre später, andauerte. Sie waren zunächst in der Skilanglaufstaffel gewesen, aber nach zwei Jahren zu den Biathletinnen gewechselt, da sich nach ein paar Trainingsversuchen am Schießstand herausgestellt hatte, dass sie ein ausgeprägtes Händchen für das Kleinkalibergewehr hatten.

Es folgten tolle Jahre im Sportinternat am Dürreck am Fuße des hohen Göll. Sie waren geprägt von strikt geregelten Tagesabläufen. Früh morgens aufstehen, erste Trainingseinheit, Unterricht in den Gymnasialklassen, Mittagessen, zweite Trainingseinheit, Physiotherapie, Hausaufgaben, Schlafengehen. Es blieb nicht sehr viel freie Zeit, aber eines lernten sie damals alle fürs Leben: Disziplin, sich Ziele zu stecken und diese durch harte Arbeit auch zu erreichen. Und obendrein hatten sie dabei auch verdammt viel Spaß gehabt.

„Weißt du noch, wie damals unser ganzer Jahrgang nachts heimlich ausgerückt ist, weil Tobi ein altes Militärschlauchboot aufgetrieben hatte, auf dem wir eine Mitternachtsparty mitten auf dem Königssee feiern wollten?“, fragte Steffi.

„Erinnere mich bloß nicht daran!“, ächzte Claudia.

„Du warst ja ganz begeistert beim Vorbereiten dabei. Tolle Nummer: Völlig überfülltes Boot beim Saufen und Herumblödeln gekentert. Tote gab’s wahrscheinlich nur deshalb nicht, weil keine Nichtschwimmer dabei waren. Mann, ich weiß noch wie der alte Höfler getobt hat, als wir um drei Uhr morgens tropfnass wieder heimlich ins Internat zurückschleichen wollten.“

Im zarten Alter von achtzehn krönten sie ihre Sportkarriere gemeinsam mit Staffelgold bei der Juniorenweltmeisterschaft und standen danach beide am Scheideweg. Bei den Profis weitermachen, oder nach dem Abi ein Studium aufnehmen. Beide entschieden sie sich für die Uni.

Bereits zu Schulzeiten hatten sie zusammen in bester Teenagermanier schon immer leidenschaftlich gerne Visionen von ihren späteren Traummännern, Traumkindern und vor allem auch ihren Traumhäusern ausgetauscht und ihre Hauspläne auch begeistert zu Papier gebracht. Von daher war es irgendwie logisch, dass sie nach dem Abitur und ihrem Ausscheiden aus dem Sportförderprogramm sich gemeinsam in der Fakultät für Innenarchitektur in Rosenheim eingeschrieben hatten. Doch hier begannen entsprechend ihrem Temperament ihre Wege ganz langsam auseinanderzugehen.

Claudia war von Natur aus eher Realistin und bodenständig, während für Stephanie die Bäume nie weit genug in den Himmel wachsen konnten. Immer wenn sich die beiden bei einem ihrer zahlreichen „Mädelsabende“ gegenseitig ihre Lebensentwürfe ausmalten, träumte Claudia brav von eigenem Büro, eigener Familie und ihrem selbst entworfenem und gebauten Haus, wohingegen Steffi den Kopf immer voller verrückter Ideen und voll überschäumender Lebenslust hatte. Eines Tages hielt sie Claudia einen großen Bildband unter die Nase.

100 Dinge, die man im Leben unbedingt einmal getan haben sollte!

„Hast du dir so etwas schon einmal angeschaut? Hey Claudia! Die Welt da draußen wartet nur auf uns. Klar will ich auch mal eigene Familie, aber zunächst will ich meine Nase in den Wind stecken. Es gibt so viel, was man einfach mal gemacht haben muss, schau doch mal: Tauchen am Great Barrier-Riff, zwischen den Eisbergen der Antarktis segeln, durch das nächtliche Havanna schlendern, mit George Clooney am Sunset einen Cappuccino trinken oder einfach den Sonnenaufgang am Gipfel des Kilimandscharo erleben!“

„Ganz einfach mal so, auf 6000 Metern!“, hatte Claudia damals schmunzelnd dagegengehalten.

„Seit wann stehst du überhaupt auf George Clooney? Ich dachte immer du fliegst eher auf den Typ Kalifornischer Surferboy. Groß, sportlich, braungebrannt mit Wuschelkopf?“

„Tut hier gar nix zur Sache, laut Umfrage von Infas und Ipsos haben mehr als 60 Prozent aller Frauen schon mal von einem Nespresso und mehr mit George Clooney geträumt!“, hatte Steffi seinerzeit erwidert und war damit ihrem Ruf, die Queen des unnützen Wissens zu sein, wieder einmal gerecht geworden.

Als sie im dritten Semester waren, wurden sie eines Tages beim Frühstücken in einem angesagten Münchener Café von einem Typen angesprochen, der sich als Modefotograf herausstellte und der von den beiden Naturschönheiten völlig begeistert war. Während Claudia auch nicht eine Sekunde ernsthaft an eine Modelkarriere dachte, steckte sich Steffi seine Karte ein und vereinbarte drei Wochen später einen Termin für Probeaufnahmen. Danach ging alles ziemlich schnell: Die Kamera liebte Steffi, sie selbst machte es mit ihrem quirligen, lebensfrohen Wesen den Fotografen offensichtlich leicht und als sie eines Abends Claudia stolz ihre erste Mappe mit verschiedenen Aufnahmen präsentierte, war dieser sofort klar, dass sich hier mehr anbahnte als nur eine versponnene Mädchenschwärmerei. Vom Stylisten zurecht gemacht, war Steffis etwas burschikoser Typ völlig verschwunden und übrig blieb auf den Fotos etwas, das man einfach nur als Wahnsinnsfrau mit der natürlichen Ausstrahlung des Mädchens von nebenan bezeichnen konnte.

„Gib mir die Adresse von dem Typen, der dich da aufgebrezelt hat, damit ich ihn später mal für meine Hochzeit engagieren kann!“, hatte Claudia damals ehrfürchtig geflüstert und Steffi innig an sich gedrückt.

„Egal wo dich das Ganze noch hinführt, ich wünsche dir viel Glück dabei!“

Kurz darauf hatte ihre Freundin ihr Studium geschmissen, eineinhalb Jahre in der Modemetropole Düsseldorf gearbeitet und danach sogar in den Vereinigten Staaten Fuß fassen können. Vor einiger Zeit war sie jetzt als neuer aufgehender Stern am deutschen Modelhimmel wieder nach München zurückgekehrt.

So saßen sie heute in der Sundowner Bar in Übersee und nachdem sie ihre Teller leergeräumt hatten, erlebten sie während eines Espressos, dass dieser Ort seinen Namen völlig zurecht trug: Es war eine phantastische Farbenorgie, die die bereits untergegangene Sonne auf den Nachthimmel zauberte. Im Osten funkelten bereits die ersten Sterne und Tag und Nacht verschmolzen miteinander wie ein aneinander geschmiegtes Pärchen auf der Tanzfläche.

„Wie läuft’s eigentlich mit Tom?“, fragte Steffi nach einer Weile.

Claudia hatte Thomas während des Studiums in Rosenheim kennengelernt. Er war Informatikstudent, ein wahnsinnig sympathischer Typ und mittlerweile seit mehr als zwei Jahren Claudias fester Freund.

„Gut. Eigentlich sogar sehr gut!“

„Immer noch schwer verliebt?“

„Na ja, nach zwei Jahren sicher nicht mehr frisch verknallt. Aber er ist nach wie vor der netteste Kerl, den ich je getroffen habe und wir passen einfach super zusammen. Gleiche Interessen, viel Sport, viel Lust auf Freizeit in den Bergen. Seit wir zusammenwohnen …“

„Ihr wohnt zusammen, das hast du mir ja noch gar nicht erzählt!“

„Ja, wir sind vor einem halben Jahr zusammengezogen, in eine Zwei-Zimmerwohnung am grünen Markt in Rosenheim, ist auf die Dauer einfach billiger. Aber die Geldprobleme von armen Studenten dürften dir ja wohl mittlerweile nur noch ein müdes Lächeln entlocken.“

Damit schnitt sie ein für Steffi heikles Thema an.

Bedingt durch ihre Herkunft aus ganz einfachen Verhältnissen – ihre Eltern hatten einen Kleinbauernhof in der Nähe von Seebruck, den ihr Vater seit dem Tod ihrer Mutter praktisch alleine bewirtschaftete – hatte sie schon immer ein gespaltenes Verhältnis zu den Schönen und Reichen gehabt. Bedingt durch ihren Job und den unerwarteten Erfolg bewegte sie sich fatalerweise inzwischen selbst in diesen Kreisen, wollte aber den Promi-Status hier bei ihren alten Freunden auf gar keinen Fall heraushängen lassen. Andererseits war Claudia ihre älteste und beste Freundin, die sie einfach nicht anlügen wollte.

„Ach weißt du, am Anfang waren die Gagen ja bei weitem nicht so toll, wie du das vielleicht denkst, aber dann kam vor einem Jahr der Vertrag mit Adidas und vor drei Monaten hat dann Carsten tatsächlich unseren ersten richtig dicken Fisch an Land gezogen, einen Wahnsinnskontrakt mit Nike.“

„Carsten? Nur als Manager oder bist du mit dem immer noch zusammen?“

Claudia hatte Carsten Winhold bei einem Besuch in Düsseldorf kennengelernt und ihn von Anfang an nicht besonders sympathisch gefunden. Dreiunddreißig Jahre alt, Anzugträger, immer höflich, immer charmant, aber irgendwie auch völlig undurchsichtig. Bereits beim ersten Treffen hatte Claudia den Eindruck gehabt, dass man nie wirklich hinter seine Fassade schauen konnte. Schon damals hatte sie sich mit Steffi fast zerstritten, weil sie diesbezüglich kein Blatt vor den Mund genommen und klipp und klar gemacht hatte, dass sie deren Freund im Grunde unmöglich fand.

„Der Typ ist nicht nur 10 Jahre zu alt für dich, sondern auch viel zu seriös und unsportlich. Du hast doch ständig Hummeln im Hintern, was willst du denn mit so einem geleckten Managertypen?“

„Ach komm, geleckt ist für euch in Oberbayern doch jeder, nur weil er einen Anzug trägt. Ich glaube, du kommst einfach generell mit Nordlichtern nicht klar. Außerdem hat er mir in meiner Anfangszeit wahnsinnig geholfen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich den ganzen organisatorischen Mist ohne ihn auf die Reihe gekriegt hätte.“

„Und dann hat sich der Manager gleich das blutjunge Modepüppchen als Trophäe geschnappt, das ist ja schon fast klassisch blöd von dir.“

„Das kannst du ihm nachher am besten gleich selbst an den Kopf schmeißen, wenn er vorbeikommt“, erwiderte Stephanie leicht eingeschnappt.

„Carsten kommt hierher?“

„Er hatte heute im Rahmen eines Coaching-Kurses eine Ballonfahrt von Sondermoning aus und ist deshalb ganz in der Nähe. Die hatten ja ein wirkliches Megawetter heute.“

„Und was hat’s jetzt mit diesem Nike-Deal auf sich?“, wechselte Claudia wieder vorsichtig das Thema.

„Tja so, wie’s ausschaut, habe ich’s in der Modelbranche jetzt wirklich geschafft. Das Ganze ist immer noch nicht richtig in meiner Großhirnrinde angekommen, aber mit dem Vertrag werde ich tatsächlich reich werden, obwohl das für mich damals eigentlich gar nie an vorderster Stelle stand. Ich wollte nach dem Biathlon einfach wieder irgendein Ziel, in das ich mich richtig reinhängen kann.“

„Jetzt eiere nicht ständig um den heißen Brei herum, sondern spuck’s einfach aus: Wie viel kriegst du von den Amis?“

„Zwei Millionen Dollar vorab für zwei Jahre Exklusivrechte, nochmal so viel am Ende der Vertragslaufzeit!“

Die tote Zeugin

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