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1.3 Die Japanmode regiert die Kunstmärkte

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In den 1980er-Jahren erlebten die internationalen Kunstmärkte den größten Boom der Nachkriegszeit. Die Marktentwicklung dieses Jahrzehnts wurde definiert durch die zunehmende Verflechtung mit den Finanzmärkten, der damit verbundenen Einschätzung von Kunst als Investment und dem Auftreten japanischer Käufer auf den westlichen Marktplätzen.12 Das steigende Interesse japanischer Sammler an impressionistischer Kunst, welche sich mit der fernöstlichen Ideenwelt beschäftigte, ist zentral für die Marktentwicklung dieser Jahre. Der Grund dafür liegt in den herausragenden ökonomischen Rahmenbedingungen Japans und der Entwicklung seiner Währungsnotierungen in dieser Phase. Zwischen 1945 und 1980 hatte sich das internationale Handelsvolumen aller Märkte verzwanzigfacht. Von dieser Entwicklung profitierten einzelne Staaten in besonders starkem Masse. 100 Jahre nach dem Höhepunkt der Japanbegeisterung in Europa führten die erstarkte japanische Ökonomie und diese historische künstlerische Verbindung dazu, dass japanische Millionäre auf westlichen Märkten »japonesque« Kunst kauften, vor allem eben Werke des französischen Impressionismus.13

Der Japonismus als Brücke zwischen Europa und Asien

Freier Handel ist die Basis nicht nur von nationalem Wohlstand, sondern auch von Verständigung zwischen den Kulturen. Strategisches Vorgehen zur Etablierung und Sicherung von Handel wie auch die Wertschätzung auslän­discher Produkte haben oft die Befassung mit einer fremden Welt zur Folge, deren Auswirkungen auf die eigene Kultur gar nicht unterschätzt werden können. Trotzdem sind diese kulturellen Effekte in aller Regel schwierig zu erfassen oder gar zu definieren.

Eines der wenigen erfahrbaren Beispiele bietet die europäische Japan-Mode in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Japan war ein gegen die westliche Welt abgeschottetes Land und öffnete unter US-amerikanischem Druck erst 1858 seine Häfen für ausländische Schiffe. In der Folge kam es rasch zu Handelsverbindungen mit Europa und Amerika, die sich zunächst auf die offensichtlichen Handelsgüter wie Tee, Lack oder Seide konzentrierten. Die Kunde von dieser exotischen Welt, die sich so sehr von anderen, bekannteren asiatischen Kulturen unterschied, führte zu einer starken Nachfrage nach japanischen Produkten. Vor allem der Wunsch, diesen Bedarf auch mit heimischer Produktion im japanischen Stil zu stillen, führte zu Gebrauchsgegenständen, deren stilistische Entwicklung eine wichtige Quelle für den späteren Jugendstil wurde.

Dieser neue Einfluss erschöpfte sich nicht in der Gestaltung von industriell gefertigten Gütern oder Kunsthandwerk, sondern führte auch in der Bildenden Kunst zu einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der japanischen Formensprache. Botschafter dieser Gestaltungsprinzipien waren japanische Farbholzschnitte, die zur Verpackung von Handelsgütern eingesetzt wurden und in Europa rasch Verbreitung fanden. Künstler wie Vincent van Gogh, Camille Pissarro, Edgar Degas oder Paul Gauguin wurden von diesen kulturellen Zeugnissen stark beeinflusst und trugen mit ihrer Arbeit zur Schaffung des Japonismus bei.14

Die große Finanzmacht der japanischen Nachkriegsgesellschaft in den 1980er-Jahren wurde ab September 1985 zudem durch die staatlich kontrollierte Devaluation des Dollars unterstützt: Bis 1987 hatte der Dollar gegenüber dem japanischen Yen 51% seines Wertes eingebüßt. Im Frühjahr 1987 wurde die Situation durch einen neuen Weltrekord zusätzlich angeheizt: Christie’s versteigerte van Goghs Sonnenblumen für 24,75 Millionen Pfund. Dass es sich hierbei um den ersten Zuschlag handelte, der einem Telefonbieter erteilt wurde, zeigt die Internationalisierung, die die Kunstmarktstrukturen zu diesem Zeitpunkt erreicht hatten. Es war der erste Weltrekord, der nicht durch ein Altmeistergemälde erzielt wurde, und diese Botschaft verfehlte ihre Wirkung auf die Märkte nicht.15

Der Zuschlag hatte eine Lawine von hochkarätigen Gemäl­deauktionen zur Folge, die die Weltrekorde immer rascher brachen, ungeachtet des sogenannten »Schwarzen Montags«: Als der Aktienmarkt am 19. Oktober 1987 zusammenbrach, blieb der erwartete Folgecrash auf den Kunstmärkten zunächst aus, obgleich der Dow Jones einen historisch maximalen Kursverlust (Maximum Drawdown) innerhalb von lediglich 38 Tagen auswies – dieser Rekord wurde erst im Frühjahr 2020 gebrochen. Stattdessen etablierte Sotheby’s schon im November 1987 einen neuen Preisrekord für das Œuvre des Malers, als van Goghs Schwert­lilien für 53,9 Millionen Dollar verkauft werden konnten. Kunst war als Assetklasse akzeptiert worden, nachdem der Markt substanziell gewachsen war und damit die für eine gewisse Datendichte notwendige Zahl von Transaktionen aufwies. Damit wurden die Kunstmärkte zum Ziel der anderweitig abgezogenen Gelder. Regelmäßige Rekordmeldungen sorgten für Nachschub in Angebot und Nachfrage, denn die Entwicklung traf auf eine wachsende Zahl vermögender Abnehmer. 1987 hatte das Forbes Magazine erstmals zusätzlich zur sogenannten »Rich List« auch eine »Bil­lionaires List« publiziert, die in jenem Jahr 140 Indivi­duen ver­zeichnete.16

Der Schwarze Montag 1987 zeigte Parallelen zu der Börsen­situation im Frühjahr 2020. Ausgangspunkt war in beiden Fällen ein als recht sicher empfundener, langandauernder Bullenmarkt; sinkendes Wachstum traf auf anziehende Inflationsraten. Schon 1987 reagierte das Federal Reserve Board (FED) der USA mit einer restriktiven Geldpolitik. Die Teilnehmer der Finanz­märkte waren durch die neu eingeführte Portfolioabsicherung weitgehend sorglos, ein langanhaltendes Wachstum wurde für nach­gerade selbstverständlich hingenommen. Nach dem Crash am Schwarzen Montag wurden erstmals automatische Handelsunterbrechungen eingeführt, und die Kurse erholten sich vergleichsweise zügig: Bereits im Juli 1989, nach weniger als zwei Jahren, überschritt der S&P500 seinen vormaligen Höchststand wieder.17

Die Flucht des Geldes in Richtung Kunstmärkte erfasste zwischen 1987 und 1989 zunehmend auch Werke der Bildenden Kunst, die nach 1945 entstanden waren (und in Auktionen als »zeitgenössische Kunst« kategorisiert wurden), deren Markt nun ebenfalls erste Anzeichen einer Überhitzung zeigte: Ganz öffentlich war die hohe Frequenz der Rekordpreise. Eher ein Indikator für Marktinsider hingegen die rapide ansteigende Zahl von aktiven Tradern, also Kunsthändlern, die ganz ohne Räume, Bestand, Ausstellungen oder Publikationen schlicht Werke kommerziell vermittelten, schnell und gegen Kommission. Trotzdem schien niemand eine Abkühlung oder gar eine Krise vorausgesehen zu haben, weder bei den impressionistischen noch bei den zeit­genössischen Werken. Die Marktteilnehmer investierten weiter in ihre Infrastruktur. Noch gegen Ende 1989 unternahm Galerist Larry Gagosian eine signifikante Expansion, als er in den großzügigen früheren Räumlichkeiten von Sotheby’s an der Madison Avenue seine zweite New Yorker Galerie eröffnete. Auch die Pace Gallery investierte in New York noch im Frühjahr 1990 in neue, von Leo Castelli übernommene Räume.18

Höhepunkt dieser rasanten Entwicklung war zweifellos die­jenige Woche im Mai 1990, in der der japanische Papierproduzent Ryoei Saito in New York bei Christie’s das Portrait des Dr. Gachet von Vincent van Gogh für 82,5 Millionen Dollar und bei Sotheby’s Auguste Renoirs Gemälde Au Moulin de la Galette für 78,1 Millionen Dollar ersteigerte. Die Transaktionen waren beispielhaft für den Boom: Er wurde getragen von impressionistischer Kunst und vielfach bezahlt mit japanischem Geld.19

Kurz vor diesen Rekordmeldungen gab es dann erste Anzeichen, dass der Markt seinen Höhepunkt überschritten hatte. Zahlreiche Einzelfaktoren, vor allem stagnierende Wirtschaftsdaten in Japan als Vorboten der Asienkrise der 1990er-Jahre, steuerpolizeiliche Untersuchungen von Kunstkäufen und steigende Rücklaufquoten auf den Londoner Sommerauktionen hatten zur Folge, dass spekulative Investoren sukzessive ihre Gelder vom Kunstmarkt abzogen. Zuvor nur vereinzelt wahrnehmbare Aspekte erhielten mit der irakischen Invasion Kuwaits am 2. August 1990 und dem sich daraus entwickelnden ersten Golfkrieg ein medienwirksames Symbol, gleichzeitig Krisensignal und -ursache.20

Zwischen Frühjahrs- und Herbstsaison des Jahres 1990 kam der Markt zu einem kompletten Stillstand, auf den Novemberauktionen ging über die Hälfte der angebotenen Werke unverkauft zurück. Durch Panikverkäufe verloren viele Anleger ihre Einsätze, Kunst war als Spekulationsgut vorerst diskreditiert. Die Investoren der ersten Stunde mussten schmerzhaft erfahren, dass steigende Wertnotierungen von vergleichbaren Werken sich nicht immer durch die Verkäufe der eigenen realisieren lassen. Zudem wurde vielen deutlich, dass auf den Kunstmärkten ein Wertzuwachs (auch im Falle eines erfolgreichen Wiederverkaufs) nicht mit einer hohen Rendite gleichgesetzt werden kann. So mancher hatte die Transaktionskosten unterschätzt, sowie die Kosten während der Haltedauer: Die Kehrseite der durch Preissteigerungen suggerierten Wertzuwächse war nämlich erstmals ein direkter Anstieg der Folgekosten, denn der Aufwand für Sicherheitsvorrichtungen, Klimatisierung, Versicherung, Mehrwert-, Erb­schafts- und Schenkungssteuer steigt proportional zum Wert des Kunstwerks. Um überhaupt einen Gewinn zu erwirtschaften, muss ein Kunstwerk alle fünf Jahre seinen Wert um 50 Prozent steigern – im Hochpreisbereich konnte nicht ein­mal der Boom der späten 1980er-Jahre derartige Performances liefern.

Und so verließen in der zweiten Jahreshälfte 1990 die Investoren die Kunstmärkte in Scharen. Das erfasste auch die Galerien, denn ohne positive Wertprognose wurde die jüngere Kunst nicht länger als Pipeline für Handelsobjekte zur Erzielung künftiger Profite angesehen. »The telephone literally didn’t ring...,« erinnerte sich Larry Gagosian an den gespenstischen Winter 1990/91 zurück. Besonders stark hatte der Einbruch die den Wachstumsbereich Impressionismus getroffen: David Nash, der damalige Abteilungsleiter, erinnert sich, dass seine Abendauktion bei Sotheby’s, die im Mai 1990 noch ein Umsatzpotential von 350 Millionen Dollar aufgewiesen hatte, im Herbst auf 35 Millionen Dollar geschrumpft war. Dieser Umsatzrückgang war weniger sinkenden Preisen zuzuschreiben als dem Fehlen bedeutender Werke, deren Eigentümer der Nachfrage nicht ausreichend vertrauten, um die Bilder auf den Markt zu bringen.21

Die Krise wurde ab 1992, spätestens 1993 als überwunden angesehen, zumindest auf den Primärmärkten, die positive Signale aussandten: Manuela und Ivan Wirth expandierten und eröffneten eine New Yorker Niederlassung; auch David Zwirner schien neue Chancen auszumachen, denn er eröffnete eine Galerie in SoHo. Die Sekundärmärkte hingegen zeigten erst ab 1994 wieder steigende Umsatzzahlen, weiß David Nash. Umsatztreiber waren dann aber nicht länger Werke des Impressionismus, sondern der Klassischen Moderne und der Nachkriegskunst.22

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