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1.2 Facetten einer Krise
ОглавлениеDie Kunstmarktkrise 2000/2001 hatte zwei Gesichter: Den Ab-sturz der Börsen nach dem Platzen der Internetblase, sowie die globale Verunsicherung nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Mauer oder Keule: Die Börse unterscheidet bei der Beendigung einer Wachstumsphase, dem sogenannten Bullenmarkt, zwei Typen. Der Keulenschlag ist ein immenser, unvorhergesehener, negativer Sachverhalt. Bei einer Mauer sind die Kurse gestiegen, bis das Vertrauen in das Wachstum alle Bedenken überlagert. Auf diese Krise traf beides zu, wenngleich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Damit dauerte der Vorgang, der gemeinhin als »Platzen der Blase« umschrieben wird, rund drei Jahre und zeigte zahlreiche Zwischenhochs, deren erneuter Einbruch die Anleger mehr und mehr demoralisierte.41
Implementation und zügige Verbreitung von Internet und mobilen Endgeräten im Laufe der 1990er-Jahre hatte großes Interesse an neugegründeten Start-up-Unternehmen mit internetbasierten Geschäftsmodellen erzeugt. Massives Investment auch vieler Kleinanleger in Technologieunternehmen führte zu einer Spekulationsblase, die in den Notierungen der US-amerikanischen NASDAQ sichtbar wurde: Der Index dieser National Association of Securities Dealers Automated Quotations, dem größten Marktplatz für Technologieunternehmen, war zwischen 1995 und 2000 von unter 1.000 Punkten auf über 5.000 gestiegen.42
Als die ersten Start-ups ihre Ziele nicht erreichen konnten und deutlich wurde, dass einerseits die Geschwindigkeit der Digitalisierung überschätzt worden war, und andererseits diese Unternehmen keinerlei Rücklagen und wenig Unternehmensvermögen aufweisen konnten, kam es im Frühjahr 2000 zu ersten Pleiten und in der Folge zum Abzug institutioneller Investoren. Vor allem Kleinanleger übersahen die Warnzeichen und verkauften in Panik: Der Kursverfall verwandelte sich in einen Kurssturz. Vor allem der inkonsistente Informationsfluss hatte dafür gesorgt, dass Marktinsider erfolgreiche Anlagegewinne erzielen konnten, Novizen hingegen eine harte Lektion erteilt wurde.43
Dieser Zusammenbruch war jedoch wirtschaftlich eingegrenzt auf den sogenannten Neuen Markt, der Technologietitel handelte, und berührte die Kunstmärkte zunächst kaum. Für die zwischenzeitliche Erholung spielte durchaus eine Rolle, was die Krise ausgelöst hatte: Es hatte keine externe Störung der Wirtschaft gegeben, aufgrund derer Prognosen revidiert wurden, sondern einen endogenen Auslöser, denn die Börsenteilnehmer hatten die Situation falsch eingeschätzt. Als Reaktion auf die ersten Krisenanzeichen führte die US-amerikanische Notenbank umgehend massive Zinssenkungen ein, die Investorengelder vor allem auf die Immobilienmärkte lenkte; die sich dort nun formende Blase sollte in 2007 als Subprime-Krise der Auftakt zur globalen Finanzkrise werden. Gleichzeitig hatte sich das Zinsniveau längerfristig im niedrigen einstelligen Prozentbereich etabliert; nicht wenige empfanden »Blue Chip«-Kunstwerke als sichereres, womöglich gar erfolgversprechenderes Investment.44
Insgesamt waren die Märkte 2001 drei Quartale in Folge geschrumpft, als mit den Terroranschlägen auf das World Trade Center ein sogenannter Keulenschlag eintraf. Der Handel an der New Yorker Börse wurde ausgesetzt, nahezu die gesamte Wall Street evakuiert. Als der Handel eine Woche später wieder aufgenommen wurde, stieg der Dow Jones mit Unterbrechungen rasch wieder auf über 80% seines vorherigen Niveaus. Das erschütterte Vertrauen von Investoren und Konsumenten hatte jedoch ein wirtschaftliches Umfeld zur Folge, dass einen sogenannten Bärenmarkt kreierte. In den 18 Monaten seit Beginn der Krise im Frühjahr 2000, seit dem Platzen der Internetblase, hatte der Gesamtmarkt 5 Trillionen Dollar Volumen verloren und der Technologiemarkt schrumpfte auf einen Bruchteil seines einstigen Umfangs: Im Oktober 2002 erreichte der NASDAQ-100 sein Allzeittief, 78% unter dem Allzeithoch des Jahres 2000.45
Die Tage im September sind in ihrer Dramatik und Reichweite mit dem Beginn der Coronakrise vergleichbar, denn auch die Vorgänge an 9/11 hatten Auswirkungen auf die Gesamtheit von Lebenswirklichkeiten der westlichen Welt.
Die folgende Krise war auch deswegen eine solche Zäsur, weil nicht nur die Augenzeugen vor Ort traumatisiert waren, sondern weite Kreise der Weltbevölkerung durch diese Ereignisse (und Fernsehbilder) ihren Glauben an die Stabilität der bekannten Welt verloren. Der große Unterschied zu 2020 war, dass 2001 (zumindest außerhalb Manhattans) die körperliche Unversehrtheit nicht unmittelbar bedroht wurde.46 Wenig überraschend, dass Großveranstaltungen der Kunstmärkte unter diesen Umständen wenig Aufmerksamkeit erhielten. Die New Yorker Herbstauktionen litten nicht nur am mangelnden Interesse der Öffentlichkeit, sondern auch an ganz direkten Einschränkungen: Restriktionen im Flugverkehr verhinderten die Transporte von vor dem Anschlag eingelieferten Werken. Manhattan, New York, die USA insgesamt waren erwartungsgemäß keine Destination, die man gern ansteuerte. Der für Dezember 2001 geplante Ableger der Art Basel in Miami Beach, gedacht als Zugang zu den Märkten der USA wie Südamerikas, wurde umgehend abgesagt und erst im Folgejahr eingeführt.47
Wirtschaftskapitäne der Kunstwelt: Bernard Arnault
Die Konkurrenz zwischen Bernard Arnault und Francois Pinault sowie der Unternehmensgruppen LVMH und Kering wird vor allem von der französischen Presse seit Jahrzehnten penibel dokumentiert. Ausgangspunkt von Arnaults unternehmerischer Tätigkeit ist seine Beteiligung an LVMH. Kern der Gruppe sind die Namenspatrone Louis Vuitton (Taschen und Koffer), Moet & Chandon (Champagner) und Hennessy (Cognac). 1984 konnte Bernard Arnault das Modehaus Dior für einen symbolischen Franc erwerben – für das Geschäftsjahr 2019 schätzte Morgan Stanley den Umsatz auf 6,6 Milliarden Euro. Durch zahlreiche weitere derartige Zukäufe hat Arnault LVMH zum größten Anbieter von Luxusgütern weltweit gemacht – auch, um die diversen, eher kleinen Firmen durch die Konzernzugehörigkeit für hoch qualifizierte Führungskräfte interessanter zu machen.48
Beide Unternehmer, Arnault wie Pinault, präsentieren sich als Freunde der Kunst und passionierte Sammler. Die Rivalität erschöpft sich nicht nur im Kampf um einzelne Kunstwerke. Auch auf dem Kunstmarkt selbst versuchte Arnault mit Pinault gleichzuziehen, indem er Sotheby’s übernehmen wollte.49 Nachdem dieser Plan am Widerstand Alfred Taubmans gescheitert war, konzentrierte er sich auf die damalige Nummer 3, das Londoner Auktionshaus Phillips. Der vergleichsweise moderate Preis von geschätzten 80 bis 100 Millionen Pfund reflektierte den Wert der Marke Phillips als auch den der Firmenimmobilien.50
Arnault sah in Phillips das Potential, zu den beiden Großen der Branche zu einem Zeitpunkt aufzuschließen, als die beiden Marktführer Verstößen gegen das US-amerikanische Kartellrecht bezichtigt wurden, was zu einer erheblichen Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise führte. Mit LVMH-Millionen im Rücken wurde umgehend ein Relaunch der Firma eingeleitet: Neue Corporate Identity inklusive Katalogdesign und massiver Aufstockungen sämtlicher Marketingbudgets einerseits, die Vergrößerung der Abteilungen andererseits. Zudem gelang es Arnault, die Kunsthändler Simon de Pury und Daniella Luxembourg für Phillips zu gewinnen. De Pury war langjähriger leitender Direktor (Chairman) von Sotheby’s Europa gewesen, bevor er sich mit seiner Kollegin Daniella Luxembourg 1996 in Genf selbstständig machte; er galt zu dieser Zeit als einer der weltbesten Auktionatoren.51
Schwerpunkt von Phillips’ Expansion waren die lange vernachlässigten USA. Im November 2001 fusionierte die Londoner Filiale mit Bonhams; Phillips sah seine Zukunft ausschließlich im Spitzenbereich des Marktes, gab die kleineren Abteilungen ab und verlegte seinen Firmensitz nach New York. Simon de Pury hatte den Wunsch und das Bestreben, sich auf den Spitzenbereich des Marktes zu konzentrieren, seit seinem Eintritt in das Auktionshaus häufig geäußert.
Allerdings war die Konkurrenz nicht annähernd so angeschlagen wie erwartet. Zwar erschien dort der Anteil an bedeutenden Einlieferungen dezimiert, doch die Geschäftsverbindungen waren nach wie vor tragfähig. Phillips fiel es, trotz der subventionierten Garantievergabe mit Geldern der Mutterfirma, zusehends schwer, sich im Kampf um Einlieferungen zu behaupten. Vor dem Hintergrund der Krise nach dem Platzen der Internetblase, 9/11 und fallender Börsenkurse der LVMH-Gruppe entschied Arnault 2002, sich aus dem Unternehmen zurückzuziehen.52