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3.3.3 Der Henker von Edzard Schaper Schaper, Edzard

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Der Roman räumt dem EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian eine besondere Stellung ein, dieser Zug ist so ausgeprägt, dass im vorliegenden Beitrag nur auf einige Regelmäßigkeiten hingewiesen werden kann. Obwohl manifest keine längeren Passagen auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian vorkommen, stehen mehrere Eigennamen, Organisationsnamen, Zeitungstitel, Ortsbezeichnungen etc. auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian; auch latentelatent Erwähnung des EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian kommt häufig vor und es gibt mehrere Überlegungen und Diskussionen über die Sprachen.

Quantitativ am auffälligsten sind die Namen, angefangen mit dem Protagonisten Ovelacker, der im Roman von den Esten als „Timukas“ (315, 318),1 bezeichnet wird. Die Eigennamen der Figuren estnischer Herkunft werden meistens auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian wiedergegeben, und die SprachmischungSprachmischung kann man lediglich bei manchen Hofnamen, womit die Eigennamen ergänzt werden, bemerken, z.B. „Pöldsche“ (469) anstatt Põllu. Dem estnischsprachigen Leser ist der Hofname der estnischenEstland/Estoniaestnisch Hauptfigur Koiri-Jaan besonders auffällig – Koiri ist klangähnlich mit dem estnischenEstland/Estoniaestnisch Wort „koer“, welches Hund bedeutet. Wahrscheinlich handelt es sich nicht um einen Zufall, weil die Hauptfigur mehrere Male mit TiermetaphernMetapher/metaphor charakterisiert wird. Auf diese Ähnlichkeit wird im Roman auch explizit hingewiesen: „Aber so etwas wie Koer oder Koeras oder Koiri hatte man draußen gesagt […]“ (321), in der deutschenDeutschlanddeutsch Grundsprache wird der mögliche Hintergrund des Namens nicht weitergegeben und der deutscheDeutschlanddeutsch Leser bekommt dies daher nicht mit. Es kommen auch weitere Situationen vor, wo die estnischenEstland/Estoniaestnisch Namen den DeutschbaltenDeutschbalten etwas unklar bleiben, z.B. „Korras hieß er, glaube ich, oder so ähnlich.“ (608) oder „Darauf stand ein belangloser Name, Konstantin Sirg oder so ähnlich“ (699).2 Interessant ist noch, dass, während es sich bei den ersten zwei Beispielen um die Namen der estnischenEstland/Estoniaestnisch Bauern handelt, die wegen der MündlichkeitMündlichkeit undeutlich bleiben, im dritten Beispiel auch der geschriebene Name des estnischenEstland/Estoniaestnisch Studenten nicht wichtig genug ist für den Grafen von Ovelacker. Dies scheint ein Mittel zu sein, womit die gesellschaftlichen Beziehungen und die Hierarchie dargestellt wird.

Ebenso vielsagend ist die Anwendung der Toponyme. Bei den Kreisen, Städten und anderen größeren Orten, die in den heutigen Gebieten EstlandsEstland/Estonia, weniger auch LettlandsLettland/Latvia liegen, werden meistens die deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Namen benutzt. Dabei spielt eine bedeutende Rolle, dass es sich meistens um die realen Orte handelt, wohingegen Drostenholm, der Gutshof von Graf von Ovelacker, ein fiktiverFiktivitätfiktiv Ort ist. Besonders auffällig wird diese Tatsache in der estnischenEstland/Estoniaestnisch ÜbersetzungÜbersetzung/translation (SchaperSchaper, Edzard, übers. von Kaugver 2002), weil bei den realen Orten die estnischenEstland/Estoniaestnisch Namen verwendet werden, aber Drostenholm DeutschDeutschlandDeutsch bleibt. Auf dieselbe Weise wie Ovelacker mit den deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Namen assoziiert wird, ist Koiri-Jaan mit dem estnischenEstland/Estoniaestnisch Kontext, der auch durch die Namen reflektiert wird, verbunden. Exemplarisch dafür stehen „Er fuhr in den eisigen Wind, der vom Kibejöggi-Moor herüberkam, dem großen Morast um das Bett des ,bitteren Flusses‘“ (220) oder „ Aber mit diesem Schmerz war es wie mit den Wassern des Salajöggi“ (246). In den beiden Fällen werden die estnischsprachigen, auf Emotionen basierenden Ortsnamen (Kibejõgi, Salajõgi) benutzt und deren Bedeutung dem deutschenDeutschlanddeutsch Leser erklärt.

Der estnischeEstland/Estoniaestnisch kulturelle Kontext wird nicht nur durch die Namen, sondern auch durch die Figurenrede bzw. durch innere Monologe wiedergegeben. So fragt sich Olli, die estnischeEstland/Estoniaestnisch Magd von Koiri: „Zogen die Schwäne, kam jetzt der Schnee?“ (228)3 und pfeift ein estnischer Jungknecht „Wie weit es noch bis Ösel ist…“ (507).4 Dem deutschenDeutschlanddeutsch Leser wird der Hintergrund dieser Passagen nicht erläutert.5

Die Sprache bestimmt grundlegend die Angehörigkeit zu einer Gruppe:

Weil sie sich nicht als Herren unter Knechten fühlten, sondern als Bürger unter Bürgern, waren die meisten der DeutschenDeutschlandDeutsche, die erst in jüngster Zeit aus dem Reich zugezogen, den Alteingesessenen verächtlich geworden. Sie taten, was denen als schwere Verfehlung wider das kolonialeKolonialismuskolonial Gesetz galt: sie heirateten ins VolkVolk der Letten und Esten. LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian oder EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian wurde oft genug ihre Umgangssprache, ihre Kinder fühlten sich, kaum daß sie wußten, was sie fühlten, als Letten und Esten und verleugneten ihre Herkunft, wenn sie nicht sogar das DeutscheDeutschlandDeutsch zu hassen begannen. Wie sprach der Verwalter mit ihm? EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, so unvollkommen der Westfale das beherrschte. […] Und es wäre besser so, hatte der Verwalter beharrt, wie lebhaft auch sein Gutsherr ihm widersprach. Eine Sprache für die Leute und eine andere, die die Leute am besten gar nicht verstünden, für die Herrschaft. Mit dem Förster estnisch zu sprechen, darauf wäre er natürlich nicht verfallen, weil dieser Reichsdeutscher war. Der gehörte zu den Herrschaften, war Reserveoffizier, besaß Manieren. Mit den einfachen Leuten die Sprache der Herrschaft sprechen zu müssen, war peinlich. Sie hatten ja nicht die Umgangsformen von Herrschaften und konnten das Ansehen des DeutschenDeutschlandDeutsch nur vermindern. […] Er, Ovelacker, hatte sich als bedingungsloser Gegner dieser Umvolkung bekannt, aber was half es, […]. (404–405)

Solche Ausführungen verweisen auf den soziokulturellen Hintergrund der Sprachverwendung und des SprachwechselsSprachwechsel. Es wird jedoch ersichtlich, dass Risse in der vorher beschriebenen Sprachhierarchie möglich waren und Bewegung zwischen den Gruppen vorkam. Dies hilft auch, den symbolischen Wert des Romanendes besser zu kontextualisieren, wenn der Deutschbalte Graf von Ovelacker auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian zu sprechen anfängt: „Ich werde schreiben, daß der… der Junge kommt! fügte er in seinem mühsamen EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian hinzu, ohne auch nur im mindesten zu zögern, ohne daß sein Stolz sich dawider empörte.“ (749) Dieser latentlatent dargestellte SprachwechselSprachwechsel illustriert, wie die Sprache die gesellschaftliche Position und Haltung definierte, und unterstreicht den symbolischen Akt der Versöhnung.

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