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Von der Geschlechtsvergessenheit systemischen Denkens zur Integration von Gender?

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Das Thema »Geschlecht« erfordert einen differenzierten Umgang mit systemischen Prinzipien und Haltungen wie denen der Allparteilichkeit oder der Veränderungs- und Konstruktneutralität. Die Unmöglichkeit einer beobachterunabhängigen Wirklichkeit ist nach der Kybernetik 2. Ordnung erkenntnistheoretisch etabliert und auch für die Auseinandersetzung mit dem Thema Gender produktiv:

»Denn wie ›neutral‹ können wir unseren eigenen Bildern und Vorstellungen von Geschlechtern gegenüber sein? Schließlich sitzen wir als sozial gewordene Männer und Frauen unseren männlichen und weiblichen Klienten gegenüber und interagieren mit diesen verbal und nonverbal in einem komplexen Geschehen, das sich – durch die Unmittelbarkeit und den Handlungsdruck – der Selbstreflexion über weite Strecken entzieht« (Kirschenhofer u. Kuttenreiter 2010, S. 80 f.).

Mit der oben gestellten Frage beschäftigten sich einige Systemikerinnen vor allem Mitte der 1980er- bis Mitte der 1990er-Jahre (s. Hare-Mustin 1991; 1994; McGoldrick, Anderson u. Walsh 1991; Rücker-Embden-Jonasch u. Ebbecke-Nohlen 2000; Walters et al. 1995): Sie äußerten Kritik an vermeintlich geschlechtsneutralen systemischen Konzepten und forderten eine Auseinandersetzung mit dem Thema »Geschlecht(erbeziehungen)«. Rachel Hare-Mustin (1991) beschrieb die Leugnung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern in den bestehenden Konzepten als Beta-Vorurteil im Gegensatz zum Alpha-Vorurteil, welches in der Überbewertung von Unterschieden bestehe: Beide Vorurteile führten dazu, dass Ungleichheit verdeckt würde. Marianne Krüll plädierte für die entsprechende Erweiterung des therapeutisch-beraterischen Kontextes um die Genderperspektive:

»Systemisch-rekursive[s] Denken nun öffnet den Blick für die ›Spielregeln‹ der Geschlechterbeziehungen, nach denen wir uns in jeder Situation – im Alltag oder in der Therapie – wechselseitig Zuschreibungen machen« (1991, S. 82).

Historisch bezog sich diese Kritik im Übergang von Kybernetik 1. zu Kybernetik 2. Ordnung vor allem auf strukturelle und strategische Therapieformen.

Obwohl eine Integration der Geschlechterperspektive im systemischen Denken vorausgesetzt werden kann, ist vor allem im deutschsprachigen Raum das geringe Interesse an einer theoretischen wie praktischen Auseinandersetzung mit den Implikationen der eigenen Beobachterperspektive in Bezug auf Geschlecht erstaunlich. Im angloamerikanischen Raum beschäftigen sich u. a. narrative Therapeutinnen (z. B. White 2007; Freedman u. Combs 1996) seit vielen Jahren mit der Wirkung dominanter Diskurse. Sie stellen die Bedeutung einer genderbezogenen Positionierung der Therapeutin und ihre Integration in ihr professionelles Handeln heraus, damit normativ-diskriminierende Verhältnisse im therapeutischen Raum vermieden werden können.

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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